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Parteitag US-Demokraten
Ein Parteitag wie kein anderer

Joe Biden DNC 2020
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Carolyn Kaster  

Es war ein Parteitag wie kein anderer zuvor, ein rein virtueller, ohne die Grundelemente einer traditionellen Parteitags-Atmosphäre: Applaus, Jubeln und Luftballons. Es war ein Parteitag für das Volk - eine Reise durch Amerika und eine Darstellung der amerikanischen Vielfalt, ein Argument für eine parteiübergreifende Politik in einer Zeit scharfer politischer Spaltungen, ein hoffnungsvoller Blick in die Zukunft in einer Zeit der Pandemie, der Arbeitslosigkeit und der globalen Unordnung. Es war ein Parteitag, der dazu diente, den Amerikanern zu verdeutlichen, wie sich das chaotische Verhalten von Präsident Donald Trump in den vergangenen vier Jahren auf das Land und die Welt ausgewirkt hat und wie eine stabile Präsidentschaft mit Joe Biden an der Spitze aussehen könnte.

Durch aufwendige Videos, Montagen und inszenierte Reden hoben die Demokraten die Vielfalt - Rasse, Geschlecht, Alter - hervor, von der sie glauben, dass sie ihnen helfen wird, Trump im Herbst zu schlagen. Nichts ist eine bessere visuelle Darstellung dieser Vielfalt als die Kandidaten, die sie diese Woche offiziell als Vertreter ihrer Partei nominiert haben: Joe Biden, einen 77-jährigen weißen Großvater aus Delaware, als Präsidentschaftskandidaten und Kamala Harris, die erste schwarze Frau und erste Frau indischer Abstammung, die von einer großen Partei für das Amt des Vizepräsidenten nominiert wurde, als ihre Vizepräsidentschaftskandidatin.

Vier Abende lang lang hatten die Demokraten die außergewöhnliche Aufgabe, eine geschlossene Front aus Gemäßigten und Progressiven sowie einigen Republikanern und "Never Trumpers" zu präsentieren. Das der Partei ist im Moment die Abneigung gegen Trump. Der große Wunsch, Trump zu schlagen, setzt alle anderen Faktoren außer Kraft. Aber in mehreren politischen Kernthemen, wie dem Gesundheitswesen, ist die Partei immer noch gespalten. Die Herausforderung, die vielen verschiedenen Wählergruppen, aus denen die ihre Koalition besteht, zufrieden zu stellen, bleibt bestehen. Die Hauptverantwortung, diese politischen Lager zu vereinen, wird wahrscheinlich auf Harris fallen, die Figur, die die Brücke zwischen einer gemäßigten Generation und jüngeren Progressiven sein soll.

Angesichts des breiten Wählerspektrums innerhalb der Demokratischen Partei, war es für die Demokraten entscheidend, alle vier Abende zu nutzen, um sowohl die Gemäßigten zu gewinnen, die mit Trumps Führung unzufrieden sind, als auch die Linken, die von Biden nicht unbedingt begeistert sind. An den ersten beiden Abenden ging es hauptsächlich darum, Biden und sein Mitgefühl und Einfühlungsvermögen den Amerikanern nochmal vorzustellen, denn 58% der Biden-Wähler sagen, ihre Stimme sei mehr eine "gegen" Trump als eine "für" Biden.

In einer Zeit, in der die Coronavirus-Krise zum Hauptthema dieses Wahlkampfes geworden ist, wurde ein Großteil des Parteitages natürlich von diesem Thema überschattet. Die Demokraten eröffneten ihren viertägigen Parteitag mit harten Angriffen auf Trumps Missmanagement der Coronavirus-Krise. Eine Schlüsselbotschaft, die die Demokraten immer wieder in den Vordergrund stellten, war, dass Trump zwar nicht für das Virus, aber für die Reaktion Amerikas verantwortlich war. Ihr Angriff auf Trumps Umgang mit der Pandemie war während der ganzen Woche allgegenwärtig.

Die Dringlichkeit, im November wählen zu gehen, war ebenfalls eine Botschaft, die sich durch die ganze Woche hindurch zog, angefangen mit Michelle Obamas leidenschaftlicher Rede am Montagabend, in der die Amerikaner aufgefordert wurden, zur Wahlurne zu gehen. Ein Redner nach dem anderen, darunter republikanische Überläufer, demokratische Parteiführer und gewöhnliche Amerikaner, erinnerten das Publikum daran, dass sie im November Biden wählen müssen, um das Chaos zu beenden, das während der vier Jahre von Trumps Präsidentschaft entstanden ist. Die Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi erinnerte die Wähler daran, dass für die Demokraten mehr auf dem Spiel steht als das Weiße Haus, nämlich auch das US-Repräsentantenhaus und der US-Senat.

Während der erste Teil des Parteitages auf die alte Garde ausgerichtet war, rückte die Partei am dritten Abend drei Schlüsselthemen in den Mittelpunkt, die vor allem junge Wähler ansprechen sollten: Waffen, Klimawandel und Einwanderung. Gerade die Klimapolitik ist einer der Bereiche, in denen Biden bei der jüngeren und progressiven Koalition, die Senator Bernie Sanders aus Vermont unterstützte, Fuß fassen kann.

Abgesehen von diesen einem Abend war die Rednerliste des Parteitages jedoch eher altmodisch - weniger eine Vision der Zukunft der Demokratischen Partei als vielmehr eine Brücke ins 20. Jahrhundert. Nostalgie für ehemalige demokratische Führer und wichtige republikanische Kollegen von Biden war ein wesentlicher Bestandteil aller vier Abende. Viele fragten sich, warum sollte man sich zum Beispiel auf den ehemaligen republikanischen Gouverneur John Kasich konzentrieren, anstatt junge Wähler zu inspirieren, indem man die demokratischen Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez eine größere Rolle zuweist? Die Parteistrategie hier ist darauf ausgerichtet, die wichtigen Wechsel-Wähler davon zu überzeugen, Biden zu unterstützen. Und am Ende könnte es tatsächlich einfacher sein, einen Trump-Wähler davon zu überzeugen, für Biden zu stimmen, als einen Neuwähler dazu zu bringen, zur Wahlurne zu gehen.

Der nostalgische Blick in die Vergangenheit setzte sich auch am letzten Abend fort. Als er die demokratische Präsidentschaftskandidatur in seiner eigenen Rede vor einer virtuellen Menschenmenge am Donnerstag annahm, verwies Biden häufig auf seine Vergangenheit. Seine tiefe Erfahrung in Washington und sein Charakter sprechen offensichtlich für seine Wählbarkeit. Seine Ideen propagierten wie man mit der jetzigen Krise umgehen kann und zeigten seine Fähigkeit, eine Vision für die Zukunft zu geben.

Die Rede wurde dem Moment gerecht: mehr nüchtern als jubelnd, mehr zurückhaltend als prahlerisch, in seinem Bemühen, dem amerikanischen Volk angesichts außerordentlicher Krisen eine Vision von beständiger Führung und nationaler Einheit zu bieten. Er warb auf der Grundlage seines Charakters, seines Einfühlungsvermögens für normale Amerikaner und der Tatsache, nicht Donald Trump zu sein. Und vielleicht ist das in diesem beispiellosen Jahr genug.

Die nächsten 75 Tage bis zum Wahltag werden zeigen, ob diese viertägige visuelle Wahlwerbung für Biden die Demokratische Partei und ihre Unterstützer hinreichend motivieren wird, um Trump zu schlagen.