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Parlamentswahlen Ukraine
Absolute Mehrheit für Präsidentenpartei

Die Partei des prowestlichen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj hat nach eigenen Angaben die absolute Mehrheit der Sitze errungen
Wolodymyr Selenskyjs Partei „Diener des Volkes“ ist Favorit bei der Parlamentswahl

Wolodymyr Selenskyjs Partei „Diener des Volkes“ ist Favorit bei der Parlamentswahl

© picture alliance/APA/picturedesk.com

Am Sonntag fanden vorgezogene Parlamentswahlen in der Ukraine statt. Die Partei „Diener des Volkes“ des prowestlichen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj hat nach eigenen Angaben die absolute Mehrheit der Sitze errungen. Demnach könnte die Partei ohne Koalitionspartner regieren. Möglich werde dies durch die Vielzahl gewonnener Direktmandate, teilte die Partei weiter mit.

Es wäre das erste Mal seit der Unabhängigkeit der Ukraine, dass eine Partei eine absolute Mehrheit innehätte. Auf die Frage nach dem Premierminister kündigte Selenskyj an, einen "Wirtschaftsguru" mit politisch reiner Weste zum Regierungschef zu machen. Einen Namen nannte er allerdings nicht. 

Als der unlängst gewählte ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Ende seiner Inaugurationsrede die Auflösung des Parlaments verkündete, kam dies zwar nicht völlig unerwartet, war aber dennoch ein Paukenschlag. Während die Hand des in einer beispiellosen Protestwahl ins Amt gewählten Schauspielers fast noch vom Amtseid auf Bibel und Verfassung lag, zeigte seine erste Amtshandlung bereits einen mangelnden Respekt der letzteren: Experten schlossen fast einhellig aus, dass eine Auflösung der Werchowna Rada weniger als sechs Monate vor dem regulären Wahltermin verfassungsmäßig möglich sei. Doch wo ein politischer Wille ist, ist zumindest in der Ukraine auch ein Weg.

Das Verfassungsgericht bestätigte Ende Juni die Rechtmäßigkeit der Parlamentsauflösung und machte so den Weg frei für vorgezogene Neuwahlen am 21. Juli. Der Präsident hatte so die Möglichkeit, den Schwung der Präsidentschaftswahl zu nutzen, bevor die absehbar ausbleibenden Wunder seiner Präsidentschaft in Enttäuschung bei den Wählern umgeschlagen wären. Die Taktik ging auf: Nach eigenen Angaben erzielte seine Partei bei den Parlamentswahlen eine absolute Mehrheit.

Kommt nun der Wandel?

In kürzester Zeit hatten sich die Parteien auf die Wahlen vorbereitet. Chancen auf einen Einzug ins Parlament hatten sowohl alte Kräfte als auch neue Parteien. Der bisher lediglich auf dem Papier existenten Partei des Präsidenten „Diener des Volkes“ – namensgleich mit der Fernsehserie, in der Selenskyj den volksnahen Präsidenten Holoborodko spielt – wurde aber bereits vor der Wahl ein deutlicher Sieg prognostiziert. Ob es nun einen echten Wandel gibt, wird jedoch erst die Arbeit im Parlament zeigen.

Die Vielzahl an erwarteten Parlamentssitzen stellte den Präsidenten vor die Herausforderung, genügend geeignete Kandidaten sowohl für die Liste als auch für die Mehrheitswahlkreise zu rekrutieren. Seine Bedingung war es, dass keine derzeitigen oder ehemaligen Abgeordneten für ihn antreten durften. Dass dies nicht ganz einfach zu bewerkstelligen war, zeigt schon, dass jedermann sich online für einen Listenplatz bewerben konnte. Zu den aussichtsreichsten Listenkandidaten gehörte aber etwa auch der Chef des Fernsehsenders 1+1, der dem Oligarchen Ihor Kolomojskyj gehört, dem enge Verbindungen zu Selenskyj nachgesagt werden.

Sehnsucht nach Erneuerung

Es bleibt die Frage, inwieweit die vielen Angehörigen der „Diener des Volkes“-Fraktion ohne politische Erfahrung und ohne die Erfahrung einer gemeinsamen Parteiarbeit effektiv zusammenarbeiten werden. Dass der Präsident und seine Partei (wie im Übrigen auch fast alle anderen) so gut wie keine programmatischen oder ideologischen Aussagen getroffen haben, trug und trägt sicher zum großen Anklang in der Bevölkerung bei.

Genau diese Unbestimmtheit kann jedoch zum Hindernis werden, wenn es gilt, gemeinsam konkrete Politikentwürfe zu entwickeln und zu vertreten: Denn Korruption muss bekämpft und wirtschaftliche sowie politische Reformen dringend umgesetzt werden. Ob der Erfolg der „Diener des Volkes“ einen solchen positiven Wandel anstoßen wird, bleibt abzuwarten.

Dieser Text basiert auf einer Analyse von Beate Apelt, sie ist Projektleiterin Ukraine und Weißrussland.