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Orbán
Erst Wahlkampf, dann Wertekampf

Die Europäische Volkspartei (EVP) legt die Mitgliedschaft der ungarischen Fidesz-Partei und schwierige Entscheidungen vor der Europawahl auf Eis
Orbán rechtsnationale Fidesz-Partei hat keinen Platz mehr in der EVP

Orbán rechtsnationale Fidesz-Partei hat keinen Platz mehr in der EVP

© picture alliance / AP Photo

Die nationalkonservative Regierungspartei Fidesz des ungarischen Premierministers Viktor Orbán wurde von der Europäischen Volkspartei (EVP) wegen Missachtung des EU-Rechts suspendiert. Somit hat sich die EVP zwischen Ausschluss und Suspendierung auf einen sehr kleinen Nenner geeinigt und schwierige Entscheidungen über die Wertefragen, die die Parteimitglieder spalten, auf die Zeit nach der Europawahl verschoben. 

Die EVP stimmte der Entscheidung mit 190 Stimmen und drei Gegenstimmen am Mittwoch in Brüssel zu. Laut der Entscheidung, die Orbán als Kompromiss darstellt, muss Fidesz verschiedene Bedingungen erfüllen, um die volle EVP-Mitgliedschaft wiederzuerlangen. Ein dreiköpfiges Gremium (der Belgier Herman van Rompuy, der Deutsche Hans-Gert Pöttering und der Österreicher Wolfgang Schüssel) wird entscheiden, ob die Partei die Regeln und Werte der EVP einhält.

Die Abstimmung erfolgte nach mehreren Monaten angespannter Beziehungen und heftiger Debatten zwischen Orbán und der EVP – und fünf Jahre, nachdem das Europäische Parlament zum ersten Mal offiziell die Besorgnis über angebliche Verstöße gegen das Rechtsstaatlichkeitsprinzip in Ungarn geäußert hatte.

Orbán, der seit Jahren gegen muslimische Einwanderer in Ungarn agiert und sich für die Verwandlung Ungarns in eine "illiberale Demokratie" einsetzt, ist in den letzten Jahren zunehmend mit der Europäischen Union in Konflikt geraten. Kritiker werfen ihm Angriffe auf die Unabhängigkeit der Justiz, Einschränkungen der Medienfreiheit, Verstöße gegen die Rechte von Minderheiten oder Maßnahmen gegen Nichtregierungsorganisationen vor.

13 Mitglieder der EVP aus Skandinavien und den Benelux-Staaten hatten sich gegen Orbán gewandt, nachdem seine Regierung eine Plakatkampagne mit eindeutigen antisemitischen Mustern startete. Ziel der Kampagne waren der Präsident der Europäischen Kommission und EVP-Mitglied, Jean-Claude Juncker, sowie der Philanthrop George Soros. Öl ins Feuer goss Orbán auch, als er Mitglieder der EVP als “nützliche Idioten” der Linken betitele. 

Um die volle EVP-Mitgliedschaft wiederzuerlangen, muss Fidesz u.a. die Anti-Juncker-Kampagne beenden und den Rechtsstreit über den Status der von George Soros gegründeten Central European University (CEU) in Budapest lösen, die Orbán schließen will. Außerdem erwartet die EVP, dass die ungarische Regierung wieder rechtsstaatlichen Prinzipien folgt und ihren Anti-EU-Kurs aufgibt.

Laut Viktor Orbán ging es beim Treffen am Mittwoch nicht um die unbefristete Suspendierung seiner Partei, sondern um "die Zukunft der Europäischen Volkspartei". Die nächsten Monate würden zeigen, ob die EVP überhaupt überleben werde, meinte Orbán. Dass die EVP an ihrer Wiederbelebung arbeitet, indem sie über den Ausschluss des Fidesz aus der europäischen Familie der Christdemokraten diskutiert, bezeichnet Orbán als ein Geschenk für die politischen Rivalen. Orbán hat bereits seine eigenen „drei weisen Frauen und Männer“ (Katalin Novák, Judit Varga und József Szájer) benannt, die mit der EVP-Untersuchungskommission "verhandeln" werden.  

Mit der Entscheidung zieht die EVP späte Konsequenzen aus den Warnungen der ungarischen Zivilgesellschaft und internationaler Menschenrechtsorganisationen: Der Abbau der Rechtsstaatlichkeit und der Regierungskurs, der europäischen Grundwerten (und den Werten der EVP selbst) deutlich zuwiderläuft, war scharf kritisiert worden.

Die Plakatkampagne gegen einen Politiker aus den eigenen Reihen brachte das Fass zum Überlaufen: Die öffentliche Kritik an der zaghaft agierenden EVP, die den Fidesz trotz seiner undemokratischen Methoden, der feindseligen Haltung gegenüber Migranten, der Desinformationspolitik gegenüber „Brüssel“ und des angeblichen Missbrauchs von EU-Mitteln, bisher schützte und verteidigte, konnte nicht mehr ignoriert werden.

Der Fraktionschef der EVP, Manfred Weber (CSU), lobte noch vor den Parlamentswahlen in Ungarn letztes Jahr Orbáns Migrationspolitik und signalisierte klare Unterstützung für dessen Führungsstil. Er änderte seine Rhetorik, nachdem er seine Bewerbung als Spitzenkandidat der EVP für die Europawahl angekündigt hat.

Zuletzt wurde sogar über einen Ausschluss des Fidesz aus den Reihen der EVP diskutiert. Das wäre sowohl für Orbán als auch für die EVP mit unvorhersehbaren Problemen verbunden gewesen. 

Der Platz innerhalb der Fraktion der europäischen Christdemokaten bietet Orbán die Sicherheit, die Position der EVP als stärkste Kraft im Europäischen Parlament zu erhalten. Noch vor der Abstimmung hatten Fidesz-Vertreter gedroht, im Fall einer Suspendierung aus der EVP auszutreten. Am Ende schien es für die Fidesz-Vertreter jedoch so auszusehen, dass ein Austritt ihnen politisch schaden würde.

Es wird eine schwierige Aufgabe sein, die Parteifamilie zusammenzuhalten. Bereits ein Mitglied hat angekündigt, die EVP zu verlassen, wenn der Fidesz ausgeschlossen wird. Auf der anderen Seite wird mindestens eine Partei die EVP verlassen, wenn der Fidesz bleibt. Auf beiden Seiten könnte es andere geben, die sich ihnen anschließen.

Eine gespaltenere EVP bedeutet auch ein gespaltenes Parlament, in dem EU-Skeptiker mehr Sitze erhalten.

Mit der Entscheidung auf bloße Suspendierung hat sich EVP also mehr Zeit für die Selbstevaluation gekauft, aber die Hoffnung auf einen politischen Kurswechsel der ungarischen Regierungspartei wird immer kleiner. 

 

Toni Skorić ist Projektmanager für Mitteleuropa und die baltischen Staaten im Stiftungsbüro in Prag.