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Mit Hariris Rückkehr werden die Karten neu gemischt

Feierstimmung im Libanon?
Spielkarten

Mit der Rückkehr von Saad Hariri werden die Karten neu gemischt.

© iStock/ tam_odin

Der bisherige libanesische Premierminister Saad Hariri kehrt zwei Wochen nach seiner Rücktrittserklärung im Ausland nun erstmals wieder in den Libanon zurück. Seine Unterstützer bereiten sich seit Tagen mit bombastischen Willkommensfeiern überall im Land darauf vor. Das zeigt Geschlossenheit und Zuversicht, verschleiert aber den Blick auf die wahre Dramatik der Situation. Freiheit.org hat zur aktuellen Lage mit Dirk Kunze, Büroleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Beirut, gesprochen.

Wie sind die Bilder aus dem Libanon einzuordnen?

Überall in der libanesischen Hauptstadt Beirut hängen Plakate von Ex-Premierminister Saad Hariri. "Kulna ma'ak" - "Wir sind alle bei Dir" - oder - "Kulna Saad" - "Wir sind alle Saad" - verkünden sie. Dies ist ein seltenes Zeichen des Zusammenrückens. Denn die Interessen des Landes vor die Interessen der eigenen Religionszugehörigkeit zu stellen, gehört nicht zu den Stärken des Libanon. Als Saad Hariri am 4. November von seinem Amt als Regierungschef zurücktrat, waren alle geschockt. Noch am selben Tag begann aber auch der Kampf um die Deutungshoheit dieser Situation. Die Unterstützer von Saad Hariri haben diesen bisher nicht gewonnen. Im Gegenteil, das Narrativ des - von einer fremden Macht - unschuldig festgehaltenen Regierungschefs, hatte sich sehr schnell in den Köpfen verfangen und wurde selbst von höchsten offiziellen Stellen kommentiert.

Mit der Rückkehr von Saad Hariri werden die Karten neu gemischt. Morgen feiert sich der Libanon selbst; der 22. November ist der libanesische Unabhängigkeitstag. Ein öffentlicher Feiertag für alle Libanesen. Überall im Land bereiten sich nun die Unterstützer Saad Hariris darauf vor, große Solidaritätskundgebungen für seine Rückkehr zu veranstalten. Der Wert dieser Veranstaltungen ist nicht zu unterschätzen und derzeit wahrscheinlich das größte Potential, das sich dem Saad Hariri Lager bietet. Willkommens- und Unterstützungskundgebungen haben im Libanon eine große Relevanz und wirken in viele Richtungen: der sunnitischen Basis zeigen sie, dass ihr Führer zurück ist und auf eine starke Unterstützung vertrauen kann. Die Partei „Future Movement“, dem parteipolitischen Partner der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit, zeigt den ungebrochenen Organisationsgrad, auf den Saad Hariri als Parteiführer weiter bauen kann. Und international, insbesondere an das Königreich Saudi-Arabien gerichtet, wird signalisiert, dass die Führungsfigur Saad Hariri nichts von ihrer Macht verloren hat. Dies ist möglicherweise die wichtigste Aussage, denn den Sunniten steht zukünftig die „Quadratur des Kreises“ bevor. Sie wissen um die Hintergründe des Rücktritts von Saad Hariri und die Rolle, die das Königreich Saudi-Arabien darin gespielt hat. Sie zelebrieren und dringen auf die Unabhängigkeit des Libanon und weisen damit zugleich auf den Einfluss Irans hin. Sie haben selbst jedoch keine andere Wahl, als sich auf eine Partnerschaft mit Saudi-Arabien einzulassen. Sich wieder stärker an Saudi-Arabien zu binden, ohne sich selbst zu verleugnen: das wird die Aufgabe der kommenden Monate sein.

Straße in Beirut

Saad Hariri ist derzeit im Beiruter Stadtbild omnipräsent. "Kulna Saad" - "Wir sind alle Saad." verkünden diese Plakate.

© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Wie geht es weiter im Libanon und der Region?

Zunächst einmal bedeuten die Entwicklungen im Libanon Stillstand. Politisch, aber auch wirtschaftlich, und dies ist die eigentlich unangenehme Nachricht. Sämtliche zarten Versuche und Planungen wirtschaftlicher Reformen der Regierung Hariri sind mit seinem Rücktritt zurückgestellt. Was dies für die im Jahr 2018 anstehenden großen internationalen Konferenzen in Paris und Rom bedeutet, ist noch nicht absehbar.

Zurück in Beirut wird Saad Hariri seinen Rücktritt erneut beim Präsidenten einreichen. Dieser wird dann - in Abstimmung mit dem Parlament - den schwierigen Prozess zur Bildung einer neuen Regierung einleiten. Da dieses Amt im Libanon einem Sunniten vorbehalten ist, ist davon auszugehen, dass dieser Auftrag erneut Saad Hariri zufällt. Vor dem Hintergrund der für Mai 2018 geplanten Parlamentswahlen würde diese neue Regierung zwar nur eine kurze Lebensdauer haben, aber wahrscheinlich ohne eine Beteiligung der Hisbollah auskommen. Der Libanon hätte damit wieder alte Konfliktlinien aktiviert und ein Wiedererstarken der beiden "Märzlager" angestoßen. Saudi-Arabien hat somit die iranische Herausforderung angenommen und die Tonlage verschärft. Der Libanon wird wieder zum Austragungsort des Kampfes um die Vormachtstellung ausländischer Kräfte in der Region. Bereits am Sonntag konnte man das beobachten, als die Arabische Liga in einer Dringlichkeitssitzung scharfe Kritik an der Politik Irans im Libanon und der Region äußerte. Auch vor diesem Hintergrund wird Saad Hariri vor seiner Rückkehr nach Beirut noch mit dem ägyptischen Präsidenten Al-Sisi zusammentreffen. Vordergründig führt er somit seine Regierungsgeschäfte weiter - die aktuelle libanesische Regierung ist weiter geschäftsführend im Amt -, indem er den Reigen seiner internationalen diplomatischen Reisen weiterführt. Schlussendlich sollen damit aber auch die Bemühungen von Al-Sisi gewürdigt werden, in dieser an Krisen nicht armen Region für Stabilität zu sorgen. Denn sicherheitspolitisch hat derzeit keine der beteiligten Parteien ein Interesse an einem weiteren bewaffneten Konfliktherd. Iran und die Hisbollah sind in Syrien, im Irak und im Jemen gebunden, auch Saudi-Arabien führt seinen bisher schmerzhaften Stellvertreterkrieg im Jemen, und Israel hat an einem Dreifrontenkrieg (Syrien, Libanon und mit den Palästinensern im eigenen Land) ebenfalls kein Interesse. Es wird somit beim Spiel mit dem Feuer bleiben und die Rhetorik an Schärfe nicht verlieren. Einseitige Schuldzuweisungen, wie sie derzeit von dem geschäftsführenden deutschen Außenminister kommen und zu diplomatischen Spannungen führen, helfen an der Stelle somit keinesfalls weiter.

Noch ein Wort zum morgigen Unabhängigkeitstag?

Am 11. November 1943 - drei Tage nachdem das libanesische Parlament das französische Mandat im Libanon einseitig abgeschafft hatte - verhafteten französische Truppen hochrangige libanesische Regierungsmitglieder. Sie lösten das Parlament auf und ernannten einen neuen Präsidenten. Die Freilassung der Gefangenen am 22. November wird seither als libanesischer Unabhängigkeitstag gefeiert. Es ist die Ironie der Geschichte, dass der Libanon im Jahr 2017 ausgerechnet an diesem Feiertag wieder ein Stück abhängiger geworden ist.

Dirk Kunze leitet das Stiftungsbüro in Beirut.