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Migration
Wir brauchen einen nationalen Integrationspakt

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger plädiert für eine sachliche Debatte über Migration und Einwanderung
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

© picture alliance / AP Images

Dieser Artikel erschien erstmals auf t-online.de am 28. November 2018. Autorin: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. © t-online.de. Alle Rechte vorbehalten.

Wir leben in einer seltsamen Zeit. Der unscheinbare UN-Migrationspakt erhält durch rechte Trolle im Internet eine Wucht, als ob morgen massenhafte Einwanderung bevorsteht. Und in Teilen der Union bricht eine Debatte über die Frage aus, ob man nicht nach Syrien abschieben kann.

Gleichzeitig kommt die große Koalition bei der Gestaltung von nationaler Einwanderung und Integration allenfalls im Schneckentempo voran. Ein Einwanderungsgesetz liegt jetzt zur Beratung im Bundestag, das den Namen kaum verdient. Immerhin, so könnte man argumentieren, wird jetzt weniger über die Flüchtlingskrise des Jahres 2015 geredet. Der Blick in die Vergangenheit hat noch nie die Probleme von heute gelöst.

Nur hat sich der Tenor in der Berichterstattung verändert. Wenn schreckliche Ereignisse, wie die Vergewaltigung der jungen Frau in Freiburg passieren, dann entsteht breite mediale Berichterstattung. Über die kleinen alltäglichen Erfolge der Integrationspolitik wird dafür umso weniger geredet. Dabei gehört beides zusammen.

Die Innenminister der Länder hätten es eigentlich in der Hand, in der Integrationspolitik einen echten Schritt nach vorne zu machen. Warum sollten Menschen, die vor einem Bürgerkrieg flüchten, aber keine guten Chancen auf Asyl besitzen, nicht eine dauerhafte Chance in Deutschland erhalten? Wenn jemand gut integriert ist und gute Arbeitschancen auf dem Arbeitsmarkt besitzt, dann wäre das doch die logische Konsequenz.

Dieser so genannte Spurwechsel wird von FDP, Grünen und SPD unterstützt – nur die Union tut sich dabei unendlich schwer. Umso bemerkenswerter ist es, dass mit dem CDU-Innenminister Stahlknecht jetzt ein Hardliner auf der Innenministerkonferenz genau diesen Spurwechsel einfordert. Auch wenn er es anders nennt.

Weite Teile der Union beschäftigen sich lieber mit dem Schattenboxen der Flüchtlingskrise von 2015. So bleiben die Chancen auf diesen Vorstoß wohl am Ende wieder ungehört. Ehrlichkeit und Transparenz in der Migrationspolitik würden aber auch wieder Vertrauen in der Gesellschaft schaffen.

Natürlich werden die geflüchteten syrischen Flüchtlinge zu großen Teilen in Deutschland bleiben. Ähnlich wie damals mit dem Bürgerkrieg auf dem Balkan leben heute Menschen bei uns, die auf absehbare Zeit keine Perspektive in ihrer Heimat haben. Wir haben keine Gäste zu Besuch, wie es immer bei den türkischen Gastarbeitern hieß, sondern eine enorme Kraftanstrengung vor uns. Deutschland ist schon lange ein Einwanderungsland und hat diese Herausforderung viel zu spät angenommen.

Warum gibt es keine flächendeckenden Ganztagsschulangebote, die auch helfen, Kindern mit Migrationspolitik bessere Chancen zu geben? Warum gibt es keinen staatlichen Islam-Unterricht an deutschen Schulen, der der Radikalisierung durch die Hinterhöfe entgegenwirkt?

Neben einem klassischen Einwanderungsgesetz, das über ein Punktesystem Einwanderung ermöglicht, brauchen wir eine systematische Neuordnung. Wer heute in das Ausländerrecht schaut und die unterschiedlichen Zuständigkeiten von Bund, Ländern und Kommunen in den Blick nimmt, der braucht sich über das Scheitern von Abschiebungen nicht wundern.

Es ist an der Zeit, der Schwarz-Weiß-Debatte über Migration und Einwanderung rationale Antworten entgegenzusetzen. Bund, Länder und Kommunen müssen dabei vorangehen. Wir brauchen einen nationalen Integrationspakt, der trotz der Unübersichtlichkeit des Rechts und der Zuständigkeiten jetzt politische Antworten formuliert.