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Migration
Nichts zu verlieren: 3400 Kilometer Hoffnung und Gewalt

Der Marsch der Verzweiflung von Honduras bis zum Rio Grande

Wie groß muss die Verzweiflung sein, fragen sich viele, wenn sie die Bilder unbegleiteter Minderjähriger oder Mütter mit Neugeborenen in der Karawane Tausender Migranten sehen, die sich seit über einer Woche von Honduras auf dem Weg zur US-mexikanischen Grenze befinden. Auf über 7.000 Menschen ist der Zug mittlerweile angeschwollen, diesen Freitag wird er in Mexiko-Stadt erwartet. Während die Migration aus Zentralamerika – und hier insbesondere aus den Ländern des „Nördlichen Dreiecks“, also Guatemala, El Salvador und Honduras – eigentlich zu einer der Konstanten der Region gehört, ist der Marsch angesichts der Masse an Menschen und der medienwirksamen Bilder in vielerlei Hinsicht längst zu einem Politikum geworden.

Die Push-Faktoren

In den zentralamerikanischen Ursprungsländern wächst in der Bevölkerung angesichts der globalen Berichterstattung die Scham darüber, dass sie nicht in der Lage sind, ihren eigenen Söhnen und Töchtern die Aussicht auf ein Leben in Sicherheit und ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Perspektive zu bieten. Die traurige Realität in den Armenvierteln Zentralamerikas ist oftmals, dass insbesondere junge Männer sich der Rekrutierung durch die kriminellen Banden, die dort herrschen, kaum erwehren können. Sie und ihre Familien werden mit dem Tod bedroht und häufig reicht der lange Arm der Kartelle bis in die USA, sodass selbst dort Vergeltungsmorde drohen, wenn sie sich zur Flucht entschließen. Ökonomisch sind große Teile der Bevölkerung ohnehin ausgeschlossen, die Armutsraten sind dramatisch und der Klimawandel verschärft die Probleme noch zusätzlich – die Region gilt als eine der gefährdetsten weltweit. Hinzu kommt, dass Zentralamerika eine der jüngsten Regionen der Welt ist – der Migrationsdruck wird in den kommenden Jahren also noch weiter ansteigen, wenn es nicht gelingen sollte, die Sicherheitslage zu verbessern und vor allem, wirtschaftliche Beteiligungschancen zu erhöhen (die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit setzt sich mit ihrem Programm „Innovate“ deshalb insbesondere für die Förderung von Unternehmertum und Startups in Zentralamerika ein).

Mexiko zwischen Ablehnung und Hilfsbereitschaft

In Mexiko hingegen zeigt sich anlässlich der großteils aus Honduras stammenden Menschen ein schockierendes Maß an Fremdenfeindlichkeit in Teilen der Bevölkerung, die sich vor allem in den sozialen Netzwerken Bahn bricht. Wer gedacht hätte, dass es angesichts des ja auch politisch instrumentalisierten Ressentiments gegenüber Mexikanern in den USA hier mehr Sensibilität gäbe, wird also zumindest zum Teil enttäuscht. Andererseits gibt es in Mexiko schon seit Tagen Aufrufe zu Sachspenden für die Geflüchteten und sowohl der neu gewählte, noch nicht amtierende Präsident López Obrador, als auch der Gouverneur des wichtigen Bundesstaates Guanajuato riefen dazu auf, die Menschenrechte der Migranten zu respektieren und haben diesen ihre Unterstützung zugesichert. Das Land sollte die aktuelle Debatte in jedem Fall dazu nutzen, seine eigene Haltung gegenüber den zentralamerikanischen Migranten neu zu definieren und vor allem auch eine Strategie zum Schutz dieser Menschen entwickeln, die das Land auf dem Weg gen Norden durchqueren. Denn es spielen sich, von der mexikanischen Öffentlichkeit kaum beachtet, auf dem Weg durch Mexiko die furchtbarsten Menschenrechtsverletzungen ab. Nicht wenige der Migranten erreichen die US-mexikanische Grenze im Norden gar nicht. Auf ihrem gefährlichen Weg durch Mexiko werden sie Zielscheibe und Opfer von Erpressung und Missbrauch, vor allem durch kriminelle Banden und die mexikanischen Drogenkartelle.

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Die Rolle des Ziellandes – der USA

Während das Ausmaß der Migrationsbewegungen nach Europa in den letzten Jahren die aktuellen zentralamerikanischen Fallzahlen insbesondere aus deutscher Perspektive doch recht überschaubar erscheinen lässt, zeigt sich an der Haltung der USA deutlich, dass hier das zentrale Wahlkampfversprechen Donald Trumps, die Abwehr illegaler Immigration, in den Fokus gerückt wird. Dieser hat deshalb bereits umgehend angekündigt, die Finanzhilfen für die Länder des Nördlichen Dreiecks zu kürzen, da sie die Karawane offenbar nicht aufhalten konnten oder wollten – Fluchtursachen bekämpfen einmal anders. Zudem hat er Grenzschutz und Militär in Alarmbereitschaft versetzt – es ist davon auszugehen, dass es in den kommenden Wochen dramatische Bilder von der südlichen Grenze der USA geben wird, die im Wahlkampf für die US-Midterm Elections ihre Wirkung sicherlich nicht verfehlen werden. 

Seit dem Ende des kalten Krieges, als es hier zahlreiche Stellvertreterkriege gab, steht Zentralamerika nicht mehr im Fokus der Außenpolitik der Vereinigten Staaten, aber der Einfluss des Landes ist weiterhin groß – in den letzten Jahrzehnten aber mit klarer entwicklungspolitischer Herangehensweise. Der gescheiterte, weil aus ökonomischen Gründen gar nicht zu gewinnende Krieg gegen die Drogen war der wohl größte Faktor dafür, dass zwischen Kolumbien und Texas unzählige rivalisierende Kartelle entstanden sind, die heute ganze Landstriche mit Gewalt übersähen, die traditionelle Wirtschaft vertreiben und mit viel schmutzigem Geld die Politik für ihre Interessen gewinnen kann. Insbesondere die kleinen zentralamerikanischen Staaten mit ohnehin schwacher Staatlichkeit haben dem wenig entgegenzusetzen.

Dennoch würde eine einseitige Schuldzuweisung an die USA für die haarsträubenden Verhältnisse in Zentralamerika viel zu kurz reichen, weil sie die Eliten in Zentralamerika komplett aus der Verantwortung entließe. Insofern könnte Donald Trumps Ansatz, Hilfszahlungen zu verringern, unter Umständen sogar Erfolg zeigen – zumindest vordergründig. Denn Geld regiert die Welt, insbesondere in Zentralamerika, wo der Griff ins Staatsportfeuille vielfach zum guten Ton gehört. Leider ist aber in der Konsequenz zu befürchten, dass die Bemühungen dort weniger in Richtung einer substanziellen Verbesserung der Lebenschancen der Menschen gehen, als in die Behinderung von Flucht aus Armut, Gewalt und Hoffnungslosigkeit.

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Für Medienanfragen kontaktieren Sie unseren Zentralamerika-Experten der Stiftung für die Freiheit:

David Vincent Henneberger
David Vincent Henneberger
Telefon: +5255 5550 1039