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Mexiko
Mexiko in der Zange zwischen Migranten und Trump

45 Tage zur Eindämmung der Migration: Zwischenprüfung bestanden – Ausweg gefunden
Kinder aus Guatemala sitzen auf dem Weg in die USA in Mexiko fest.

Kinder aus Guatemala sitzen auf dem Weg in die USA in Mexiko fest.

© picture alliance / NurPhoto

Anfang Juni drohte US-Präsident Trump Mexiko mit Strafzöllen in Höhe von fünf Prozent auf alle Waren aus Mexiko, wenn die mexikanische Regierung die anhaltenden Migrationsströme aus Zentralamerika nicht deutlich eindämmen würde. Um einen schmerzhaften Handelskrieg zu verhindern, haben sich beide Länder in einer Eilvereinbarung auf einen Reaktionszeitraum von 45 Tage geeinigt.

Seitdem nahm der Druck aus den USA auf den südlichen Partner täglich zu: Die Frist war außerordentlich knapp und Erfolgsindikatoren waren zumindest für die Öffentlichkeit unbekannt. Nichtsdestotrotz nahm die Regierung in Mexiko-Stadt umgehend die Arbeit auf, damit die derzeit labile Wirtschaftslage nicht vollends kollabiert. Seit diesem Montag, 22. Juli, ist das Ultimatum abgelaufen und Mexiko-Expertin Diana Luna zieht Bilanz: Welche Maßnahmen wurden ergriffen? Wie haben sich diese ausgewirkt? Wie geht es nun weiter?

Die Kehrtwende und drei Maßnahmen

Um einen kurzfristigen Erfolg bei der Mammutaufgabe der Grenzsicherung zu erzielen, musste der vor einem Jahr gewählte Präsident Andres Manuel López Obrador (AMLO) von seiner bislang humanitären Migrationspolitik abweichen. Während die AMLO-Regierung bis vor kurzem noch „humanitäre Visen“ für einen Teil der Migranten aus Zentralamerika verteilte, wurde eine Kehrtwende in der Migrationspolitik eingeläutet, die mit drei wesentlichen Maßnahmen flankiert wurde:

  1. Die neu geschaffene Nationalgarde, die ursprünglich für Sicherheit im gesamten Land sorgen sollte, widmet sich seitdem der Grenzsicherung. Über 21.000 Nationalgardisten wurden sowohl an die US-mexikanische Grenze als auch an die Südgrenze Mexikos zur Abschreckung geschickt, da 75 Prozent der irregulären Migranten aus Guatemala, Honduras und El Salvador stammen. Die Nationalgarde ist verpflichtet, die Menschenrechte der Migranten zu achten. Ob sich diese Praxis auch mittelfristig etabliert, muss zumindest kritisch geprüft werden. 
  2. Um insbesondere mittel- und langfristig die Fluchtursachen vor Ort zu bekämpfen, hat die mexikanische Regierung einen Entwicklungsplan für Zentralamerika beschlossen. Diese regionale Initiative soll durch notwendige Infrastrukturprojekte Arbeitsplätze schaffen, und damit die fragilen Staaten des Norddreiecks Zentralamerikas stützen. Im Fall von El Salvador hat die mexikanische Regierung beispielsweise Investitionen in Hohe von 30 Millionen USD zugesagt. Andere Partner wie die deutsche Bundesregierung haben ihre finanzielle Unterstützung zugesichert, ohne jedoch eine konkrete Summe zu benennen.
  3. Der mexikanische Chef-Diplomat Außenminister Marcelo Ebrad und sein gesamter Stab wurden damit beauftragt, den Dialog auf allen Kanälen mit relevanten US-Akteuren zu suchen, um die Themen Migration und Handel zu trennen. Ein starkes Zeichen innerhalb der letzten 45 Tage war ein Brief von allen 26 republikanischen Gouverneuren an den US-Kongress mit einem Plädoyer für eine schnelle Ratifizierung des neuen Freihandelsabkommens zwischen den USA, Mexiko und Kanada, auch bekannt für ihre Abkürzung USMCA.

Eine Zwischenbilanz

Am Montag lief das Migrations-Ultimatum aus und die Außenminister Pompeo und Ebrad trafen sich in Mexiko-Stadt, um die Zahlen der irregulären Migrationsströme zu prüfen. Das offizielle Ergebnis: Die Migration konnte um 36 Prozent gesenkt werden. Damit konnte Mexiko die potenzielle Einstufung als sicheres Drittland zunächst vom Verhandlungstisch räumen. Jedoch reicht das noch nicht aus. Ein bedeutsamer positiver Schritt wäre die Aussetzung der sogenannten „Remain-in-Mexico“ Politik, die voraussetzt, dass die Zentralamerikaner während der Wartedauer auf Asylentscheide in Mexiko statt in den USA warten müssen. Derzeit liegen bei verschiedenen US-Bundesgerichten Klagen von einigen Asylbehörden vor, die diese Politik als gesetzwidrig einstufen.

Heute hat der US-Richter Timothy Kelly entschieden, die hochumstrittene „Remain-in-Mexico“ Politik nicht temporär zu stoppen. Diese Entscheidung ist zu bedauern, da die Verantwortung der US-Regierung in Bezug auf die Asylsuchenden ein weiteres Mal auf Mexiko geschoben wird. Dies wird sicherlich die Mammutaufgaben für Mexiko nicht leichter machen.

Ist Mexiko der Türsteher der USA?

Die Kehrtwende in der humanitären Migrationspolitik Mexikos aufgrund der drohenden Strafzölle wurde interessanterweise in der Berichterstattung in Deutschland deutlich schärfer als in Mexiko selbst kritisiert. Darüber hinaus haben sich die Popularitätswerte des Präsidenten AMLO von 67 Prozent Zustimmung im Mai auf 72 Prozent im Juni verbessert, obwohl sich die Krise um die Strafzölle weiter intensivierte. Man muss wohl konstatieren, dass auch in Mexiko die Aufnahmebereitschaft gegenüber Migranten seine Grenzen erreicht hat. 55 Prozent der Mexikaner sind der Meinung, dass Asylsuchende aus Zentralamerika in ihre Herkunftsländer ausgewiesen werden müssen. 

Im Prinzip bedeutet eine Aufweichung der Migrationspolitik nicht unbedingt einen Widerspruch an sich, wie oft plakativ berichtet wird. Trotz des Ultimatums und der Drohungen durch den US-Präsidenten besteht für Mexiko die Möglichkeit, aus der Not eine Tugend zu machen und sich um eine kohärente Migrationspolitik zu bemühen. Die Grenze zwischen Mexiko und Guatemala ist seit Langem bekannt für ihre Durchlässigkeit. Dies ist nun nicht mehr der Fall. Sichere Grenzen sind wichtig. Aber ein reiner Militarisierungsansatz stellt keine mittel- beziehungsweise langfristige Lösung dar. Darüber hinaus erscheint es höchste Zeit, den zentralamerikanischen Ländern eine Perspektive anzubieten. Hier ist nicht nur die internationale Gemeinschaft, sondern es sind auch die Regierungen und die Zivilgesellschaften dieser Länder gefragt. In der medialen Aufmerksamkeit wird wenig über die Verantwortung der Regierungen Guatemalas, Honduras und El Salvadors berichtet. Ihr Versagen ist ein wichtiger Faktor in der deprimierenden Geschichte von den Migrantinnen und Migranten, die ein relativ unsicheres Land wie Mexiko durchqueren müssen.

Ein Blick nach vorne

Was kann die mexikanische Regierung tun? Sie kann ihren begrenzten Spielraum schon jetzt nutzen, um eine kohärente und humanitäre Migrationspolitik zu gestalten und damit der Tragödie etwas entgegenzusetzen. Einige dieser Vorschläge könnten auch für die Migration aus der Mittelmeerregion nach Europa sinnvoll sein:

  1. Da Migration ein Geschäft ist, muss das Geschäft unattraktiver für Menschenschmuggler werden. Mexiko hat vor Kurzem angefangen, die Konten von Schmugglern einzufrieren. Eine regionale Kooperation sowie ein engerer Informationsaustausch wären hier sinnvoll.
  2. Die mexikanische Regierung sollte zu den begrenzten humanitären Visen zurückkehren. Die Visa sollen nicht nur auf Südmexiko begrenzt sein. Die Migranten sollten die Möglichkeit erhalten, auch in Nordmexiko zu arbeiten, wo eine reale Nachfrage am Arbeitsmarkt existiert. 
  3. Mexiko benötigt eine enorme Budgeterhöhung und eine Modernisierung seines Migrationssystems und seiner Asylgesetzgebung, um den aktuellen Problemen gerecht zu werden. Ein erster Schritt wäre, die Korruption in den Migrationsbehörden systematisch zu bekämpfen. 

Mexiko hat als Transitland zwischen den USA und Zentralamerika keine einfache Aufgabe. Um diese Aufgabe zu meistern, benötigt das Land Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft sowie eine proaktive Migrationspolitik, die einerseits für sichere Grenzen sorgt und andererseits Wege der legalen Flucht bereithält. Bei dieser Aufgabe sollten sich auch die USA stärker engagieren, anstatt alle Anpassungslasten auf Mexiko abzuwälzen. Schlussendlich sollte sich die internationale Gemeinschaft stärker engagieren, um sowohl in Zentralamerika als auch in der Mittelmeerregion die Fluchtursachen zu bekämpfen. Das erfordert nicht zuletzt ernsthafte soziale und wirtschaftspolitische Reformen in den Herkunftsländern der Migranten, deren Regierungen stärker in die Pflicht genommen werden sollten.  

Derweil tickt die Uhr bis zur zweiten Zwischenbilanz für Mexiko, die wiederum in 45 Tagen ansteht.

 

Diana Luna ist Referentin für Lateinamerika der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.