EN

Marktwirtschaft
Wirtschaft und Corona – Existenzielle Entscheidungen

Hotel Mecklenburg
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Michael Probst

Im Kampf gegen die erneut rasant steigenden Corona-Infektionszahlen ist guter Rat teuer. Einschränkungen des öffentlichen Lebens sind unvermeidlich – aber mit welchen Folgen für die Gesellschaft und Wirtschaft? Die von den Regierungen aus Bund und Ländern beschlossenen Maßnahmen sind teilweise kaum nachvollziehbar und werden von Gerichten regelmäßig gekippt. Jüngstes Beispiel ist das Beherbergungsverbot, laut dem Hotels und Pensionen keine Gäste aus Risikogebieten mehr beherbergen dürfen.

Der Ökonom Karl-Heinz Paqué kritisiert: „Die Hotels praktizieren den Corona-Schutz so gewissenhaft wie reibungslos. Man trägt eine Maske, hält Distanz und die Hotelbar macht ganz oder früher zu.“ Die Maßnahmen einiger Bundesländer, Restriktionen für Urlauber aus deutschen Risikogebieten zu erlassen, erwecken den Eindruck einer „verhängnisvollen Neigung staatlicher Bürokratie, sich mit rasch ausgesprochenen Verboten möglichst jedes Restrisiko vom Leib zu halten und die Freiheitsrechte der Betroffenen gering zu schätzen."

Diese Einschätzung treibt nicht nur den Vorsitzenden der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit um. Das Beherbergungsverbot wird vielerorts als Symbol eines überforderten Staates aufgefasst, der angesichts der Pandemie die Wirtschaft und die Rechtsstaatlichkeit aus den Augen verloren hat.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn versucht derzeit, die ihm im Frühjahr gewährten befristeten Vollmachten auf unbegrenzte Dauer zu verlängern. Gegen dieses Vorhaben regt sich zunehmend Widerstand im Deutschen Bundestag und in der Wirtschaft. Auch Paqué kritisiert eine Verlängerung der Sondervollmachten: „Wir sind an dem Punkt, wo wir die Diskussion über Corona-Maßnahmen im Parlament brauchen, auch wenn diese Diskussion lästig erscheinen mag.“ Die „wirtschaftlichen Interessen“ von Hoteliers oder Kunstschaffenden werden seiner Meinung nach von der Bürokratie oft unterschätzt: „Die Entscheidung, ob ein Saal zu 20 oder 40 Prozent gefüllt werden darf, mag einem Politiker oder Beamten als Detail erscheinen – tatsächlich richtet sie über Existenzen."

Populär ist diese differenziertere Sichtweise in Deutschland aber keinesfalls. Die Mehrheit der Deutschen unterstützt weiterhin die Corona-Politik der Bundesregierung. Wer hierzulande mahnt, der Staat solle bei der Bekämpfung der Pandemie die Freiheit nicht vergessen, wird oftmals in die Nähe von Verschwörungstheoretikern gerückt. So bilden Virusleugner und Maskenverweigerer heute die sichtbarste Corona-Opposition in Deutschland. „Die Maske ist zum Symbol für die Corona-Beschränkungen in Deutschland geworden", konstatiert Paqué, "aber sie ist das völlig falsche Symbol“.

Die wirtschaftliche Freiheit ist ein integraler Teil von gesellschaftlicher Freiheit.

Karl-Hein Paqué
Karl-Heinz Paqué

Der Internationale Währungsfonds (IWF) rät in seinem aktuellen Weltwirtschaftsbericht für den kommenden Winter von Lockdowns ab. Stattdessen sollten gezielte Maßnahmen in betroffenen Regionen ergriffen werden. Ein Konzept, das auch Paqué unterstützt: „Als wir im Frühjahr noch wenig über das Virus wussten, waren weitgehende pauschale Einschränkungen berechtigt. Inzwischen wissen wir viel mehr. Da müssen die Verantwortlichen schon genau begründen, warum eine bestimmte Maßnahme zwingend ist, um die Infektionen einzudämmen.“ So könnten Hotels, Kinos und Theater mit überzeugendem Hygienekonzept geöffnet bleiben.

Paqué geht es bei diesen Überlegungen um mehr als den reinen Wunsch, Deutschland vor einem Rückfall in die Rezession zu retten. Er ärgert sich über die gedankliche Trennung von Wirtschaft und Gesellschaft: „Die wirtschaftliche Freiheit ist ein integraler Teil von gesellschaftlicher Freiheit. Gerade im Gastronomie- und Kulturbereich haben Sie es mit Menschen zu tun, die den eigenen Betrieb nicht nur als Geldquelle sehen, sondern als Lebensinhalt und Selbstverwirklichung.“

Die Beschäftigten in diesem Bereich sind schließlich häufig Geringqualifizierte oder Migranten, die auf dem Arbeitsmarkt Probleme hätten, in anderen Bereichen Arbeit zu finden. „Mit jeder Kneipe und jeder Kleinkunstbühne, die wegen Corona zumachen muss, werden Menschen Lebenschancen genommen“, kritisiert Paqué. Dieser Ansatz taugt durchaus als liberales Leitbild in der Coronakrise. Für Politiker und Beamte allerdings bedeutet er viel Arbeit. Statt lediglich breite Verbote auszusprechen, müssen sie jede Corona-Maßnahme abwägen und begründen – und im Zweifel selbst Lösungen umsetzen.

Die in diesem Beitrag verwendeten Zitate stammen aus einem Interview mit dem Handelsblatt, das sie hier finden können.