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#MachÖkoWiederLogisch
Kostenloser ÖPNV - zukunftsweisend oder illusorisch?

Ein Interview mit Monica Semedo, MdEP aus Luxemburg
Foto: Eine Straßenbahn in Luxemburg
© picture alliance/Oliver Dietze/dpa

In Luxemburg ist der öffentliche Nahverkehr seit dem 01. März komplett kostenlos. Wir haben uns mit Monica Semedo, MdEP aus Luxemburg und Mitglied der regierenden "Demokratesch Partei" über das Projekt unterhalten.

Luxemburg ist das erste Land weltweit, das komplett kostenlosen ÖPNV einführt: wie entstand diese Initiative und was erhofft die Regierung sich aus dem Projekt? Und das Wichtigste: wie wird die Regierung das Unterfangen finanzieren und gleichzeitig ein hohes Qualitätsniveau und Sicherheit gewährleisten? 

Die Idee eines kostenlosen öffentlichen Transports stammt aus dem Programm der „Demokratesch Partei (DP)“ für die Parlamentswahlen von 2018. Wir haben dafür Sorge getragen, dass dieser Punkt im Regierungsabkommen festgehalten wurde und nun umgesetzt wird.

Die Vorteile liegen auf der Hand. Zug, Bus und Straßenbahn werden noch attraktiver. Die Regierung erhofft sich durch die gratis Nutzung einen Zuwachs der Passagierzahlen im öffentlichen Transport, der eine saubere und klimafreundliche Alternative zum Individualverkehr darstellt. 

Die gratis Nutzung alleine genügt natürlich nicht, um den öffentlichen Transport attraktiver als das Auto zu machen. Er ist kein Allheilmittel und wir verteufeln das Auto nicht. Es ist unser Anliegen eine attraktive, gleichwertige und klimafreundlichere Alternative zum Individualtransport anzubieten. Deshalb werden die kommenden Jahre erhebliche Mittel in die Infrastrukturen investiert (z.B.: P&R Auffangplätze, Expressbuslinien). 

Der gratis öffentliche Transport hat aber auch eine soziale Komponente. Ein Jahresabo in der 2. Klasse kostet 440 Euro pro Jahr. Dieses Geld hat der Nutzer des öffentlichen Transports also in Zukunft zusätzlich in der Tasche. Die DP-geführte Regierung ist davon überzeugt, dass dies mehr Menschen dazu bewegen wird, auf Bus, Zug und Tram umzusatteln. Eine Förderung von dezentralen Arbeitsplätzen und Telearbeit trägt zudem zur Vermeidung von unnötigem Verkehrsaufkommen und einer besseren „work-life balance“ unserer Bürger bei. 

Die öffentlichen Transportmittel wurden bisher zu einem Großteil durch die öffentliche Hand subventioniert. 2018 beliefen sich die Ausgaben für den öffentlichen Transport auf knapp 900 Millionen Euro. Die Einnahmen durch den Verkauf von Fahrkarten und Abonnements machten nur rund 40 Millionen Euro aus. Durch den Wegfall von Ticketkontrollen und die Abschaffung des nationalen Ticketverkaufs wird ein Teil der Mindereinnahmen wieder eingespart werden. Die Regierung spricht sich jedoch für eine Aufstockung des Sicherheitspersonals im öffentlichen Transport aus.

Wie wird die Kampagne aufgenommen und inwieweit hat die Regierung ihre Kritiker überzeugen können? 

Der Großteil der Luxemburger ist vom gratis ÖPNV überzeugt und sieht in ihm die beste Verbesserungsmaßnahme in der Mobilität. Nicht nur unsere Bürger und die Menschen, die in Luxemburg arbeiten, auch Touristen können spontan in den Bus, Zug oder in die Tram steigen, um von A nach B zu kommen. 

In der estnischen Hauptstadt Tallinn wurde der kostenloser öffentlicher Transport vor 8 Jahren mit einer dreiviertel Mehrheit eingeführt. Eine Entscheidung, die heute 90% der Bevölkerung begrüßen. 

Die Regierung in Luxemburg reagiert gelassen auf Kritik und setzt auf eine proaktive Informationspolitik. In einem häufig auftauchenden Vorwurf wird z.B. behauptet, dass der gratis ÖPNV durch eine neue CO2-Steuer finanziert wird. Dies ist jedoch nicht der Fall. Eine Hälfte der Einnahmen der CO2-Steuer geht nämlich in Form von sozialer Kompensation direkt an die Bürger zurück, die andere Hälfte durch Investitionen und Klimaschutzmaßnahmen (z.B. Subventionen für energetische Sanierungen).  

Ist kostenloser ÖPNV in anderen Ländern der EU ein realistisches Zukunftsszenario? Werden Sie für dieses Modell bei ihren Kolleginnen und Kollegen im europäischen Parlament werben?

Ich kann nicht beurteilen, ob der gratis ÖPNV eine realistische Alternative für andere EU-Staaten ist. In der estnischen Hauptstadt Tallinn sind die Passagierzahlen ein Jahr nach der Einführung des kostenlosen ÖPNV jedoch um 14% angestiegen und 90% der Einwohner sind mit dem Angebot zufrieden. Vielleicht wäre ein ähnliches Modell in anderen Großstädten möglich, ein Vergleich mit dem kleinen Luxemburg ist jedoch schwierig. Nichtsdestotrotz werde ich im Europaparlament für das Luxemburger Modell werben. Meine Abgeordnetenkollegen, mit denen ich mich darüber unterhalten habe, sind von dieser Maßnahme auf jeden Fall begeistert.

 

Monica Semedo sitzt seit Beginn der aktuellen Legislaturperiode für die liberale "Demokratesch Partei" als Mitglied der Fraktion "Renew Europe" im Europäischen Parlament.