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Literatur
Thomas Mayer: Die Ordnung der Freiheit und ihre Feinde

Online-Rezensionen des Jahrbuchs zur Liberalismus-Forschung 1/2020
Thomas Mayer: Die Ordnung der Freiheit und ihre Feinde. Vom Aufstand der Verlassenen gegen die Herrschaft der Eliten.
© FinanzBuch Verlag

Der Titel verspricht eine Selbstvergewisserungs- und Erbauungslektüre für Liberale, allein der Verlag macht aber schon skeptisch. Der FinanzBuch Verlag versammelt ein buntes Sammelsurium in seinen Veröffentlichungen – eine Mischung aus Weltbild und Koop Verlag für Manager und solche, die sich dazu berufen fühlen. Neben Lebensratgebern für Erfolg und Reichtum, Biografien von Elon Musk, Donald Trump und Robert Habeck und so illustren Erfahrungsberichten wie „In 80 Frauen um die Welt“ finden sich EU-Krisenbeschwörungen von Bernd Lucke und islamophobe Schriften von Thilo Sarrazin. In diesem Umfeld scheint sich der ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, mittlerweile wohlzufühlen. Heute ist er als Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute tätig, das von der Flossbach von Storch AG, einem deutschen Finanzdienstleister und Vermögensverwalter – in letzter Zeit einem größeren Publikum bekannt geworden durch in der Presse thematisierte Spenden an die AfD – gegründet wurde.

Eine liberale Streitschrift soll es sein, eine „Lanze für den Liberalismus“ will Mayer brechen. Ihn treibt die Sorge an, „dass wir die Grundlagen zerstören, auf denen unsere freie Gesellschaft und unser Wohlstand errichtet wurden“, weil die Idee des Liberalismus „unter die Räder“ kommt (S. 9). Das Buch entpuppt sich dann aber als eine Darstellung dessen, was Mayer und seine Mitstreiter unter „klassischem Liberalismus“ verstehen, einschließlich der bekannten „klassisch liberalen“ Politikrezepte. Wobei die Adressaten dieser „Streitschrift“ bis zum Schluss unklar bleiben. Mayer formuliert häufig emotional, fast schon umgangssprachlich, und mit einem deutlich populistischen Duktus („Kanzlerdämmerung“, „Klimahysterie“, „ungesteuerte und unkontrollierte Zuwanderung“) – durchaus passend und akzeptabel für eine Streitschrift, denn man soll sich daran reiben können. Dann wieder argumentiert er ökonomisch unter Benennung von Modellen und Fachbegriffen. Als Ökonomin waren diese Stellen für mich nichts Neues oder gar Erkenntnisreiches, für ein breiteres Publikum dürften diese Argumentationen allerdings schwieriger nachzuvollziehen sein. Es sei denn, der Autor geht davon aus, dass sei-ne Leserinnen und Leser sich noch eben über das makroökonomische IS-LM-Modell schlau machen. Möglicherweise ist das Ziel aber auch, sich durch wissenschaftliche Argumentation eine Aura von Kompetenz und intellektueller Überlegenheit zu geben, die gegen Kritik immunisiert.

Überhaupt scheint Mayer dem Buch einen wissenschaftlichen Anstrich geben zu wollen, der aber beim zweiten Blick nicht hält, was er verspricht. Es gibt beispielsweise umfangreiche Fußnoten und Belege, in denen dann aber erschreckend häufig „Tichys Einblick“ zitiert wird, selbst Anabel Schunke, Instagram-Model und Quotenfrau der Neuen Rechten, hat einen Fußnotenauftritt. Häufig zitiert wird auch das „Europäische Institut für Klima & Energie“, das weder ein Institut, noch europäisch, noch eine Vereinigung von Klimawissenschaftler*innen ist, sondern ein Verein, der den wissenschaftlichen Konsens darüber, dass die globale Erwärmung menschengemacht ist, ablehnt. Von Stimmen aus Wissenschaft und Presse wird der Verein als Zentrum der politisch aktiven und organisierten Klimaleugnerszene in Deutschland be-schrieben. Bei einem Wissenschaftler kann man sich eigentlich nicht vorstellen, dass er seine Quellen nicht prüft, vielmehr muss man davon ausgehen, dass Mayer hier seine Leserinnen und Leser bewusst hinters Licht führen oder die Weltanschauung einer ganz bestimmten Klientel bedienen will. Richtet sich das Buch allerdings an eine größere Leserschaft außerhalb dieser Blase, dann ist sein Umgang mit Quellen als zumindest unredlich zu bezeichnen.

Dabei tut das dem Grunde nach gar nicht Not. Denn Mayer hat ein paar wichtige Punkte, die es zu diskutieren gilt und bei denen liberale Ansätze den Weg aus der Misere weisen können – seien es der überbordende Sozialstaat am Rande seiner Funktionsfähigkeit oder die immer weiter gehenden Eingriffe des Staates in die individuelle Selbstbestimmung. Aber letztlich argumentiert er in der Gesamtschau sehr ideologisch und offenbart damit ein ähnlich enges und auf absoluten Geltungsanspruch bedachtes Weltbild wie seine erklärten Gegner. Diese hat er in den nicht näher differenzierten „Eliten“ (zu denen er anscheinend nicht gehört) ausgemacht, die den Liberalismus pervertiert haben, indem sie zum Machterhalt an das „Stammesdenken“ der Menschen appellieren, die sich nur nach Wärme im behütenden Wohlfahrtsstaat sehnen, ja zu ungebildet sind, um zu erkennen, was da mit ihnen geschieht, sich nun aber aufgrund der nicht mehr ausreichenden Nestwärme gegen die Eliten auflehnen, wofür man Verständnis haben müsse. Dieses Wutbürgerverständnis kombiniert er mit Klimawandelleugnung und Ablehnung des Umweltschutzes, Kritik an der „ungesteuerten Einwanderung“ und einer Prise Verschwörungstheorie (die ungesteuerte Einwanderung sei nämlich den Eliten ganz willkommen). Im Übrigen bewundert er das chinesische System, das er dem pervertierten Liberalismus für überlegen erachtet.

Aber er verspricht Abhilfe – mit einem Programm zur liberalen Erneuerung. Dieses Programm beinhaltet unter anderem die „klassisch liberalen“ Forderungen nach einer Stärkung der Eigentumsrechte, ein Zurückfahren des Sozialstaats auf das absolute Minimum und, wie würde man es auch anders erwarten, eine Abschaffung des Geldmonopols der Europäischen Zentralbank (EZB). Alles nicht neu und grundsätzlich auch bedenkenswert, aber auch bei Mayer nicht zu Ende gedacht. Die Stärkung von Eigentumsrechten reicht eben noch nicht aus, um die Interessen zukünftiger Generationen an einer intakten Umwelt und einem funktionierenden Ökosystem abzubilden. Ebenso kann man zwar gebetsmühlenartig wiederholen, dass der Sozialstaat nur denjenigen helfen soll, die unverschuldet in Not geraten sind, dann muss man aber auch durchdeklinieren, wie das aussehen soll. Keine kassenfinanzierte medizinische Hilfe bei Komplikationen bei einer gewollten Schwangerschaft oder für Lungenkrebspatienten, die Kettenraucher waren? Knie-Operationen nach Unfällen beim Skifahren nur gegen Vorkasse?

Doch vor solchen konkreten Antworten drückt sich Mayer, stattdessen schlägt er mit Hayek ein Parlament mit zwei Kammern vor, die eine für die Gesetzgebung, die andere für die Regierung. Erstere soll dann aus Mitgliedern im fortgeschrittenen Alter bestehen, die auch gleich für eine längere Zeit gewählt werden. Unterstützt werden sollen die Gesetzgeber durch einen Wissenschaftsrat, der, man ahnt es bereits, aus Wissenschaftlern gebildet werden soll, „die selbst keine eigene Denkschule begründet, aber die vorhandenen Denkschulen als unabhängige Geister kritisch begleitet haben und die den Zenit ihrer wissenschaftlichen Karriere überschritten haben“ (S. 209). Und spätestens bei dieser schmeichelnden Selbstbeschreibung ahnt man es: Hier schreibt einer den Privilegienverlust fürchtender, bornierter älterer Mann, der es nicht versteht, warum sein fachmännischer Rat kein breites Gehör (mehr) findet, für Seinesgleichen. Eine Pflichtlektüre für Liberale? Mitnichten.

 

Zweimal jährlich informiert das Archiv des Liberalismus über Neuerscheinungen zum Thema Liberalismus. Vorgestellt werden diesmal zwanzig wissenschaftliche Publikationen zu Theorie, Geschichte und Gegenwart des deutschen und internationalen Liberalismus. Die Rezensionen sind über das Internetangebot des Archivs des Liberalismus sowie auf der Rezensionsplattform recensio.net dauerhaft abrufbar. Kontaktadresse für alle, die aktiv durch Kommentare oder Rezensionsvorschläge an der wissenschaftlichen Begleitung der Liberalismus-Forschung teilnehmen wollen, ist juergen.froelich@freiheit.org.