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Reform des Geheimdiensterechts: Auf tönernen Füßen

Wie versetzen wir unsere Geheimdienste in die Lage, den Herausforderungen im 21. Jahrhundert wirksam zu begegnen? Bundesinnenminister Horst Seehofer scheint diese Frage ganz eindeutig beantworten zu wollen: Die Geheimdienste brauchen so viele und so weitreichende Befugnisse wie möglich. So könnte man jedenfalls seinen ersten Gesetzesentwurf zur „Harmonisierung des Verfassungsschutzrechts“ verstehen. Neben einer Harmonisierung geht es hierin nämlich vor allem um eine Ausdehnung der Befugnisse der Geheimdienste. Viele der Reformideen des Entwurfs, etwa zur Überwachung Minderjähriger oder zum Umgang mit V-Leuten, stoßen zu Recht auf heftige Kritik. Der Koalitionspartner SPD in Person der ehemaligen Justizministerin Katarina Barley hat den Entwurf komplett zurückgewiesen. Besonders bedenklich ist, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und der Bundesnachrichtendienst (BND) dem Gesetzentwurf zufolge zukünftig die Befugnis zur Online-Durchsuchung bekommen werden. 

Diese heimlichen Eingriffe in IT-Systeme werden zwar, wie 2009 bekannt wurde, bereits seit Jahren durch den BND vorgenommen. Gesetzlich waren sie bisher aber vor allem den Polizeibehörden vorbehalten. Bereits 2008 hatte das BVerfG sehr enge Grenzen für die Online-Durchsuchung gesetzt und dabei ein Landesverfassungsschutzgesetz zur Online-Durchsuchung als unvereinbar mit dem Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme erklärt. Weitere diesbezügliche Verfassungsklagen, auch von mir, sind gegenwärtig noch in Karlsruhe anhängig. Obendrein mahnen Rechtsexperten, dass auch die praktische Umsetzung der Online-Durchsuchung rechtlich problematisch ist. Denn dazu ist die „Infizierung“ der betreffenden IT-Systeme mit einer Überwachungssoftware erforderlich – etwa durch Ausnutzen von Sicherheitslücken, gezielte – staatliche – Täuschung oder gar das Eindringen in Wohnungen. 

Doch damit nicht genug. Der BND soll die Online-Durchsuchungen auch im Auftrag anderer Behörden durchführen, die eine entsprechende Erhebungsbefugnis haben. Damit entsteht das Risiko, dass das Trennungsgebot zwischen Polizei- und Geheimdiensttätigkeit aufgeweicht wird und die demokratischen Kontrollmechanismen unterlaufen werden. Insgesamt steht den Ausdehnungen der Geheimdienstbefugnisse des Gesetzesentwurfs keine äquivalente Ausweitung der parlamentarischen Kontrolle der Dienste gegenüber. 

Hierauf hatten sich Union und SPD im Koalitionsvertrag geeinigt. Seehofer legt gleich noch den nächsten bedenklichenGesetzesentwurf vor. Unverantwortlich erscheint dabei vor allem, die Online-Durchsuchung trotz massiver rechtlicher Bedenken und laufender Verfahren in Karlsruhe einführen zu wollen. Hier muss grundlegend neu angesetzt werden. Andernfalls wird die Arbeit der Geheim-dienste rechtlich auf tönerne Füße gestellt und die gesetzliche Grundlage wohl vor dem BVerfG landen. Fit für die Zukunft werden die Dienste damit sicherlich nicht gemacht. Die Stärkung der parlamentarischen Kontrolle ist unbedingt erforderlich.

 

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist stellvertretende Vorsitzende des Vorstands der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.