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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

#JetztMutMachen
Zurück nach Schengenland!

Die Grenzschließungen in der EU richten schweren Schaden an. Und dabei nützen sie nach Ende des Shutdowns fast nichts.
Grenze zwischen Deutschland und Luxemburg
Die Grenze zwischen Deutschland und Luxemburg © picture alliance / ATP | ATP

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Es ist eine böse Ironie des Schicksals: Am 9. Mai, genau 70 Jahre nach der wegweisenden Rede des großen Franzosen Robert Schumann zur Europäischen Integration, waren so gut wie alle Grenzen zwischen den EU-Ländern abgeriegelt. Im Februar und März hatten die nationalen Regierungen dies veranlasst, unkoordiniert und ohne gegenseitige Konsultation - in einer Art Notstand der sich abzeichnenden Corona-Krise, die alle Länder betraf, wenn auch in sehr unterschiedlichem Maße.

Ein höchst bedauerlicher Vorgang! Allerdings einer, der bei steil ansteigenden Infektionszahlen politisch gerade noch nachvollziehbar war. Welcher verantwortliche Regierungschef lässt sich schon gerne vorwerfen, er versäume es, die eigene Bevölkerung zu schützen, zumal im Falle Deutschlands ja tatsächlich in der Frühphase der Krise vor allem Bayern und Baden-Württemberg bei der Kontrolle der heimkehrenden Skiläufern aus den Urlaubsgebieten Italiens, Österreichs und der Schweiz komplett versagt hatten, was die erste Welle der Infektionen in Süddeutschland erst richtig in Schwung brachte.

Inzwischen ist die Lage eine ganz andere. Und sie ist europaweit sehr viel ähnlicher geworden. Überall deuten die Statistiken der Neuinfektionen darauf hin, dass jedenfalls die erste Welle der Pandemie am Abklingen ist; überall gibt es restriktive Regeln der Kontaktbeschränkung, wenn auch deren konkrete Details unterschiedlich ausfallen; überall werden diese Regeln nun schrittweise, aber mit Vorsicht gelockert, damit eine Rückkehr in Richtung normales Leben mit einem dichten Sicherheitsnetz aus Masken, Mindestabständen und baulichen Maßnahmen im Gesellschafts- und Wirtschaftsleben möglich ist; und überall wird dieser Prozess genau beobachtet - mit besonderem Blick darauf, wo wieder neue Hotspots entstehen, die eine zweite Pandemiewelle auslösen könnten, wenn sie nicht durch harten, aber punktuellen Zugriff etwa mit Ausgangssperren, Betriebsschließungen und Quarantänen bekämpft werden.

Genau diese Hotspots können natürlich überall auftauchen, wie in Deutschland allerjüngst in der Fleischindustrie. Mit dem Verkehr über die nationalen Grenzen haben sie wenig zu tun, viel dagegen mit den Arbeits- und Lebensbedingungen vor Ort. Es gibt deshalb keinen Grund, die transnationalen Wertschöpfungsketten in Europa weiter zu behindern. Diese sind essenziell für die langsame Erholung der Volkswirtschaften - und damit für den zumindest längerfristigen Erhalt der Arbeitsplätze nach den kurzfristigen Wellen von Entlassungen und Kurzarbeit. Immerhin besteht fast zwei Drittel des gesamten Handelsvolumens der EU-Länder aus grenzüberschreitendem Handel mit Waren und Diensten innerhalb der EU. Ohne dessen rasche Wiederbelebung wird es keine konjunkturelle Erholung und keine Rückkehr zum Wachstum geben.

Auch die Freizügigkeit der Menschen muss wiederhergestellt werden, vor allem für die grenzüberschreitenden Arbeitnehmer und die Kunden des Einzelhandels. Das Risiko für einen Norddeutschen, sich bei einem Dänen anzustecken ist derzeit wohl geringer als das Risiko, sich bei einem Thüringer zu infizieren. Entscheidend sind die Vorkehrungen am Arbeitsplatz selbst, und nicht die nationale Identität des Beschäftigten. Das Gleiche gilt für den Einkauf, etwa von Schweizern aus Kreuzlingen im benachbarten deutschen Konstanz.

Jenseits von Wirtschaft und Arbeitsplätzen geht es natürlich auch um ein europäisches Symbol erster politischer Ordnung. Denn sollte nur der Verdacht aufkommen, dass nationale Regierungen die Gelegenheit nutzen, eine unerwünschte Ab- oder Zuwanderung sowie Handel und Integration bei Gelegenheit einer Pandemie auf Dauer begrenzen oder stoppen zu wollen, dann droht der europäische Geist ganz schnell zu verfliegen und die Atmosphäre zu vergiften. Dies gilt umso mehr, als Europa schon vor Corona in der Krise steckte: mit dem Brexit der Briten zu Beginn des Jahres und den politischen Alleingängen von Polen und Ungarn, deren nationalkonservative Regierungen an den Grundfesten ihres Rechtstaats sägen. Auch das jüngste kritische Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Legitimität der Europäischen Zentralbankpolitik hat die Sache nicht leichter gemacht.

Eile und Nachdruck sind deshalb geboten. Es braucht ein klares positives Signal für die großen vier Grundfreiheiten der EU: Freiheit des Warenhandels, der Dienstleistungen und des Kapitalverkehrs sowie Freizügigkeit der Bürgerinnen und Bürger. Nur so kann der Virus vollständig besiegt werden, auch politisch!

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