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COVID-19: Die Mär von den nützlichen Handydaten

In Spanien stellen die Behörden Bürgern eine App zur Verfügung, mit der Symptome erfasst und verfolgt werden.
In Spanien stellen die Behörden Bürgern eine App zur Verfügung, mit der Symptome erfasst und verfolgt werden. © picture alliance/ZUMA Press

Diese Woche gerade noch aus dem Gesetzesvorschlag von Gesundheitsminister Spahn getilgt, dürfte es dennoch nicht lange dauern, bis die Frage nach der Nutzung von Bewegungsprofilen wieder gestellt wird. Zeit, um mit einigen Mythen der Handy-Ortung aufzuräumen.

In Zeiten der Corona-Krise ist man für Vorschläge zur Eindämmung und Früherkennung des Virus dankbar. Einer dieser Vorschläge hat in den vergangenen Wochen an Popularität gewonnen: mit Handydaten die Kontaktpersonen von Infizierten ermitteln. So könnten diese frühzeitig informiert werden und sich in Quarantäne begeben. Was sich sinnvoll anhört, hat aus Sicht der Effektivität und der technologischen Machbarkeit aber gleich mehrere Haken.

Um ein Handy zu orten bedarf es einer Funkzellenabfrage. In Funkzellen wählt sich jedes Mobiltelefon automatisch ein, um ein Signal vom jeweiligen Mobilfunkanbieter zu erhalten ohne das bspw. ein Telefonat nicht möglich ist. Funkzellen sind groß: Der Durchmesser reicht von einigen Kilometern auf dem Land bis zu unter 100 Metern in Innenstädten. Durch Triangulation (eine geometrische Methode der Abstandsmessung) kann man im besten Fall den Standort einer Person auf wenige Meter ermitteln. Die notwendige Genauigkeit von 1,50m lässt sich so nicht herstellen.

Die Nutzung von GPS Daten ist zwar um einiges genauer, funktioniert aber nur im Freien. Ob ich mit meinem Nachbarn am Küchentisch zusammensitze oder zwischen uns fünf Stockwerke liegen, geht aus den Daten nicht hervor. Zudem lässt sich das GPS Signal jederzeit am Smartphone abschalten.

Um in einer Stadt oder bundesweit eine Genauigkeit zu erreichen, die es zulässt, dass nicht Tausende Menschen fälschlicherweise informiert werden, bräuchte es wohl eine Mischung aus Funkzellen-, GPS-, WLAN-Daten sowie Daten von Bluetooth Beacons, mit denen man eine Positionsbestimmung in Gebäuden vornehmen kann (die in Deutschland aber nicht flächendeckend verbreitet sind). Zusätzlich müssten die Bürgerinnen und Bürger diese Services an ihren Mobiltelefonen permanent einschalten bzw. überhaupt erstmal ein Smartphone besitzen. Letzteres ist gerade bei der Risikogruppe der Älteren noch lange nicht durchgängig der Fall. Hinzu dürfte kommen, dass die Daten flächendeckender Videoüberwachung mit Gesichtserkennung eingesetzt werden müssten, um die notwendige Genauigkeit aufrecht zu erhalten, wenn es nach dem Ende von Kontakt- und Ausgangssperren wieder zu größeren Menschenansammlungen in Bahnhöfen oder auf Plätzen kommen wird.

Es würde also eine dauerhafte Infrastruktur geschaffen, die massiv in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger eindringen würde. Sowas ist in Diktaturen wie in China durchaus vorstellbar, aber mit der Idee einer offenen Gesellschaft nicht vereinbar.

Dabei können aggregierte Bewegungsdaten durchaus sinnvoll sein, um den öffentlichen Personennahverkehr besser zu planen oder die Verkehrsführung so zu gestalten, dass nicht zu viele Fußgänger in enge Gassen laufen. Man kann mit solchen Cluster-Daten auch ggf. erkennen, ob sich an den Bewegungsmustern der Menschen nichts verändert und als Reaktion darauf, bspw. die Maßnahmen anpassen oder die Kommunikationspolitik ändern. Und in Zukunft könnte es sinnvoll sein, wenn Bürgerinnen und Bürger auf freiwilliger Basis in Apps angeben, wo sie sich in den vergangenen zwei Wochen bewegt haben, um im Fall einer Infizierung andere Mitbürger per App zu warnen. Datengetriebene Lösungen zur Eindämmung der Corona-Krise sind also nicht per se zu verdammen. Man muss aber zu keiner Zeit wissen, wer sich hinter den Daten verbirgt. Sprich, die Daten müssen anonymisiert sein und idealerweise nach einer festgelegten Frist wieder gelöscht werden. Zudem darf man nicht vergessen, dass technologische Lösungen weiterhin fehleranfällig und ungenau sind. Wenn sich Bürgerinnen und Bürger in Sicherheit wiegen und darüber vernachlässigen, die Anweisungen der Politik zu befolgen, ist niemandem geholfen.

Es bedarf keiner Bewegungsprofile, um "Social Distancing" zu betreiben oder für die Einsicht, dass in vielen Fällen die Wohnung gerade der sicherste Platz ist. Ganz wichtig wird es sein, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht den Eindruck gewinnen, dass die Politik die Schraube mit Scheinlösungen und Phantomdebatten überdreht. Sobald Misstrauen gegen staatliche Anordnungen und Entscheidungen aufkommt, wird es Menschen geben, die an sich sinnvolle Beschränkungen ignorieren werden.

Zudem spiegelt die Diskussion über Bewegungsprofile eine merkwürdige Prioritätensetzung von Teilen der Regierung wider: Wo sind die Testkits, die wir für bundesweite Tests benötigen? Welche Exitszenarien gibt es eigentlich, um irgendwann aus Lockdown und Ausgangssperre herauszukommen? Was können wir von anderen Staaten lernen, die offensichtlich besser vorbereitet waren? All das wären Fragen, die prioritär behandelt werden sollten, anstatt in irriger Technologiegläubigkeit darauf zu vertrauen, dass Datensammlungen, die massiv in Grundrechte eingreifen, schon zu irgendeinem Ergebnis führen werden.