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Independence Day
Independence Day: Trump und die polarisierten Staaten von Amerika

Der Oberste Gerichtshof hat ein entscheidendes Urteil über Gerrymandering gefällt. Hanna Rudorf analysiert die Konsequenzen am Independence Day
Donald Trump

Donald Trump bewirbt sich nun auch offiziell für eine zweite Amtszeit.

© picture alliance / AP Photo

Heute feiern Amerikaner traditionell ihren Unabhängigkeitstag. Amerikas Geburtstag ist seit langem mit der unpolitischen Feier der Grundrechte und Werte, für die das Land steht, verbunden: Demokratie, Freiheit und das Streben nach Glück und Erfolg. In diesem Jahr stehen die Feierlichkeiten allerdings unter einem polarisierten Stern: letzte Woche wurde ein entscheidendes Urteil über „Gerrymandering“ vom Obersten Gerichtshof gefällt – mit weitreichenden Konsequenzen. 

In diesem Jahr steht im Herzen der amerikanischen Hauptstadt nicht die Gründungsprinzipien der Nation im Mittelpunkt der Feierlichkeiten: US-Präsident Donald Trump hat sich mit seinen Plänen zum 4th of July selbst mitten in die Feierlichkeiten hineingepflanzt. Das übliche bunte Feuerwerk wird parteipolitish-getönt abgeschossen. Trumps Pläne, einen großen Bereich vor dem Lincoln Memorial abzusperren, der nur für Würdenträger, Familienmitglieder und Freunde reserviert ist, schreien lauthals gegen den vielzitierten Anfang der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika und das Grundthema des Tages: „We the people“ - „Wir, das Volk“.

Am dem 243. Geburtstag Amerikas ist das Land gespaltener, als es dies seit dem Bürgerkrieg jemals der Fall war. Der Kontrast zwischen dem derzeitigen Bewohner des Weißen Hauses und dem ehemaligen Präsidenten, Abraham Lincoln, dessen Denkmal der Hintergrund für Trumps Rede sein wird, ist genauso stark wie die derzeit politische Polarisierung in den USA. Hier steht ein Präsident, der Gleichheit, Gerechtigkeit und Demokratie missachtet, vor dem Denkmal eines Menschen, der dafür gesorgt hat, dass Amerika eines Tages seinen Gründungsprinzipien gerecht wird. 

Die Zerschneidung der Demokratie

Letzte Woche fällte der Oberste Gerichtshof eine wichtige Entscheidung über den Gerrymandering-Prozess. Als Gerrymandering bezeichnet man jene Strategie der amerikanischen Parteien, Wahlbezirke in den USA immer neu zuzuschneiden, um das politische Gewicht zu den eigenen Gunsten zu verschieben. Es wird oft als die Verkörperung vielen Übels im politischen System der USA gesehen. Frustriert über den Mangel an Parteienwettbewerb in den USA? Schuld ist Gerrymandering. Entsetzt über die wachsende Zahl von ideologischen Extremisten im Kongress? Schuld ist Gerrymandering. Was ist mit dem politischen Stillstand im Kongress? Gerrymandering hat es verursacht. Und jetzt wurde dieser Verfahrensweise auch noch grünes Licht gegeben.

In einem Urteil mit weitreichenden Auswirkungen auf die politische Landschaft Amerikas, hat die konservative Mehrheit des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten letzten Donnerstag den Republikanern einen Sieg beschert. Der Gerichtshof entschied, dass Bundesgerichte nicht berechtigt sind, gegen die extreme parteipolitische Optimierung der Wahlbezirke zur Erzielung gewünschter Mehrheitsverhältnisse vorzugehen. Die Richter argumentierten, der Supreme Courthabe nicht über diese politische Frage zu entscheiden.

Es handelte sich in dem jetzigen Fall um die höchstrichterliche Beurteilung zweier Klagen zum Gerrymandering. Die eine stammte aus dem Bundesstaat Maryland, wo die Demokraten einem bisher republikanischen gesicherten Wahlkreis so viele demokratische Wähler aus den Vororten der Hauptstadt Washington zuschoben, dass sie den infrage kommenden Regierungssitz schließlich übernehmen konnten. Der zweite Fall betraf North Carolina, wo es die Republikaner dank Gerrymandering schafften, in den letzten vier Wahlen 10 der 13 Wahlkreise zu erobern, obwohl sie jeweils nur knapp über die Hälfte der Stimmen erhielten.

Die vier liberalen Richter des Gerichts sahen in dem beanstandeten Wahlbezirkszuschnitt in North Carolina eine unzulässige Bevorzugung der dort herrschenden Republikaner. Die Wahlkreiseinteilung in Maryland wird als Wahlvorteil für die dort herrschenden Demokraten kritisiert. Sie warnten auch davor, dass immer bessere Wählerdaten und ausgefeiltere Software-Systeme die Praxis des sogenannten Gerrymandering einfacher und präziser als je zuvor gemacht haben.

Der Supreme Court kam zu dem Schluss, dass North Carolinas derzeit von Republikanern gezeichnete Wahlbezirkskarte, die laut Kritikern zu den ungeheuerlichsten Beispielen für Überparteilichkeit im Land gehört, Bestand hat. Auch die von den Demokraten verzerrten Wahlkreise im Bundesstaat Maryland sind nicht verfassungswidrig. In vielen Staaten wird jetzt die jeweils herrschende Partei, die zu diesem Zeitpunkt das Landesparlament und Amt des Gouverneurs kontrolliert, in der idealen Position sein, um die Wahlkreise zu ihren Gunsten zuzuschneiden. So kann sie die politische Macht für die kommenden Jahre festzurren. Das Urteil wird wahrscheinlich auch dazu führen, dass ähnliche Fälle über Wahlkreismanipulation aus parteipolitischen Gründen in Michigan, Ohio und Wisconsin abgewiesen werden.

Gerrymandering: ein altes Machtinstrument

Die umstrittene Praxis, die Wahlbezirke in den USA neu zuzuschneiden, um sich einen Wahlvorteil zu verschaffen wird von beiden Parteien ausgeübt. Aber die Republikaner haben diese Manipulationstaktik in den letzten Jahren effektiver und öfter implementiert. Der aktuelle Rechtsfall vor dem Supreme Court begann mit den Zwischenwahlen 2010. Die Republikaner errangen damals weitreichende Siege zudem erlangten sie in politisch gespaltenen Staaten wie Pennsylvania, Ohio, Michigan, Wisconsin und North Carolina die volle Kontrolle. Ausgerüstet mit neuen Volkszählungsdaten, zeichneten die republikanischen Gesetzgeber neue Wahlkreise, in denen eine deutliche Mehrheit ihrer Kandidaten fast garantiert war. 

Nach 2010 hatten die Republikaner die Kontrolle über die Zuschneidung von Wahlbezirken in 21 Bundesstaaten, die Demokraten nur in acht. Laut einer Analyse der Associated Press haben die Republikaner bei den Kongresswahlen 2016 allein durch das Gerrymandering bis zu 22 Sitze im Repräsentantenhaus mehr gewonnen, als statistisch erwartbar gewesen wäre – was ihnen zu einer komfortablen Mehrheit verhalf. 

Da sich die Politik in den USA entlang der geografischen und rassischen Grenzen über die letzten Jahrzehnte zunehmend polarisiert hat, hat sich der regelmäßige neue Zuschnitt der Wahlbezirke zu einem Wettrüsten der Parteien entwickelt. Selbst kleinste Entscheidungen darüber, wo Bezirksgrenzen gezogen werden sollen, können die Machtdynamik im Kongress erheblich verändern - ohne dass ein einziger Wähler die Partei wechselt oder umzieht.

Viele Politikwissenschaftler halten die Wahlbezirkskarten des Repräsentantenhauses in von Republikanern kontrollierten Staaten wie North Carolina, Michigan, Ohio und Texas für besonders parteipolitisch geprägt. Unter den demokratisch besetzten Staaten gelten Maryland, Illinois und - für einige Beobachter - Kalifornien als die am meisten parteipolitisch beeinflussten Staaten.

Ein Schlag für das Vertrauen der Wähler

Das jüngste Urteil des Obersten Gerichtshofs ist vor allem ein Schlag gegen das Vertrauen der Wähler, dass ihre Stimme wirklich zählt und nicht zum Nutzen einer bestimmten Partei manipuliert wird. Es gibt aber noch einen Silberstreifen am Horizont: Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs dürfte Kampagnen ankurbeln, die dafür eintreten, dass unabhängige Kommissionen anstelle von Politikern für den Wahlkreiszuschnitt zum Einsatz kommen, um den Einfluss der Parteien zu limitieren.

Die nächste Volkszählung findet 2020 statt. Im Rahmen dieser Volkszählung werden auch Wahlbezirke neu zugeschnitten, um Schwankungen in den Bevölkerungszahlen auszugleichen. In den meisten Bundesstaaten entscheidet die Mehrheit in den Landesparlamenten über die Neustrukturierung der „congressional districts“ sowie der „state legislative districts“. Da nun die offizielle Entscheidung getroffen wurde, Gerrymandering nicht einzudämmen, befürchten Kritiker, dass die nächste Umgestaltung der Wahlkreise zu noch extremeren und parteiischeren Wahlkreisen führen wird und damit das politische System der USA grundlegend verändert wird.

 

Hanna Rudorf, Communications Officer, Transatlantisches Dialogprogramm, Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.