EN

Heimat-Debatte - zwischen Ruhrpott und Homs

Bernd Ulrich (ZEIT) und Souad Abbas (ABWAB) im Gespräch über eine große Verunsicherung mit optimistischem Ausblick
Heimat-Debatte - zwischen Ruhrpott und Homs

FNF-Diwan:"(Neue) Heimat Deutschland" mit Dr. Dorothee Nolte, Souad Abbas, Bernd Ulrich und Sascha Tamm

© Hussein Ahmad

In der Veranstaltungsreihe „Diwan“ in Kooperation mit dem Tagesspiegel diskutieren der Politik-Chef der ZEIT und die syrische Chefredakteurin der Flüchtlingszeitung ABWAB, wie Deutschland eine (neue) Heimat für alle hier lebenden Menschen sein kann.

Ist Heimat ein Ort, die Familie, eine Landschaft oder eine bestimmte Esskultur? Der Begriff ist in aller Munde, unter Deutschen und hier lebenden Geflüchteten. Eine allgemeingültige Definition gibt es nicht, aber der Begriff sollte inklusiv sein - darin waren sich die syrische Chefredakteurin der Flüchtlingszeitung ABWAB, Souad Abbas, und der stellvertretende Chefredakteur der ZEIT, Bernd Ulrich, einig. Bei einer Podiumsdiskussion in der Veranstaltungsreihe „Diwan“, die von der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Kooperation mit dem TAGESSPIEGEL ins Leben gerufen wurde, versuchten sie sich aus unterschiedlichen Perspektiven dem Begriff anzunähern.

„Im Arabischen bedeutet „Watan" ein Stück Land, auf dem man beschließt, sich niederzulassen“, erklärt Abbas. Damit habe Heimat immer etwas mit persönlicher Entscheidung zu tun, sagt die studierte Völkerrechtlerin und Bauingenieurin, die seit Herbst 2017 die auf Arabisch und Deutsch erscheinende Zeitung ABWAB führt, die mit einer Printauflage von 40.000 Exemplaren monatlich erscheint und online mehr als 100.000 Follower hat. Bernd Ulrich, der aus dem Ruhrgebiet stammt, definiert für sich Heimat als eine Zone, wo Sicherheit herrsche und gleichzeitig Raum für Unsicherheit möglich sei. Heimat sei ein Prozess, und kein feststehendes Gut, da sich die Gesellschaft und das persönliche Leben verändere - auch unabhängig vom Zustrom von Flüchtlingen. Alte Heimaten gingen verloren und die Deutschen müssten sich gerade neu „beheimaten“, sagt der Autor des Buches: „Guten Morgen Abendland. Der Westen am Beginn einer neuen Epoche. Ein Weckruf“.

Die aus Homs stammende Syrerin Abbas, die seit vier Jahren in Deutschland lebt, fühlt sich in Berlin zu Haus. In Düren bei Köln, wo sie zuvor gelebt hatte, sei sie nie angekommen, berichtet sie. Sie beschreibt, dass Orte wie die Sonnenallee in Neukölln, „wo ich alle syrischen Dialekte höre“ dazu beitrügen, dass sie Berlin als neue Heimat betrachten kann. Wenn man sich aber nur unter Landsleuten aufhalte, könne man nicht ankommen, fügt sie gleich hinzu. Auch für Bernd Ulrich stehen Sprache, gemeinsame Geschichte und eine bestimmte kulturell geprägte Mentalität im Zentrum der Identität. Aber als seine Heimat könne er nur eine Gesellschaft betrachten, in der auch Platz für Menschen wie Souad Abbas sei. 

Den Deutschen gehen laut Ulrich gerade viele Gewissheiten gleichzeitig verloren: Die Globalisierung sei in einer Phase, wo 500 Jahre westlicher Dominanz zu Ende gingen. Gleichzeitig stelle sich die ökologische Frage, in der Räume enger würden, und die soziale Ungleichheit in der Gesellschaft werde immer weniger akzeptiert: Dies seien die Gründe für die verständliche große Verunsicherung der Deutschen - die Schaffung eines Heimatministeriums sei ein Ausdruck davon. „Dabei sind wir Deutschen besser als andere Nationen gewappnet“, findet Ulrich: Deutschland habe eine gute Integrationsgeschichte, wenn man an die Eingliederung der Vertriebenen denke oder an spätere Einwanderungswellen. Aufgrund ihrer „Läuterungsgeschichte“ hätten die Deutschen gelernt, Schuld einzugestehen, „ohne dass ihr Selbstbewusstsein zusammenbricht“.

Vom Podium aus fragt Souad Abbas die Zuhörer ungläubig, ob sie sich wirklich bedroht fühlten durch eine Million Flüchtlinge? Wenn ja, würde ihr das Angst machen. Sie bewundere die deutsche Gesellschaft insbesondere dafür, dass sie sich in eine derart offene und liberale Gesellschaft verwandelt hat. Vielleicht sei es leichter mit der Integration, wenn man die Konzepte von „typisch deutsch“ oder „typisch syrisch“ über Bord werfe. „Ich bin nicht typisch syrisch“ erklärt sie - die Syrer im deutschen Exil lernten erst hier, wie unterschiedlich sie seien. Die ethnischen, politischen, religiösen Unterschiede waren unter der Diktatur der Assads nie diskutiert worden. „Die Frage, was Syrer eigentlich miteinander verbindet, wird unter den Geflüchteten in Deutschland derzeit heftig debattiert.“ Ihr Fazit: „Ich glaube nicht, dass wir eine allgemein akzeptierte Definition finden werden. Aber in Deutschland könnten die Geflüchteten lernen, den Anderen zu akzeptieren, auch untereinander. Eine gute Grundlage für Integration in beiden Richtungen.

Was bedeutet "Heimat" für Sie?:

"Heimat ist, wo man sich hingezogen fühlt, wodurch auch immer!"

"Zugehörigkeit. Das Heimatland gehört mir, dort finde ich Sicherheit und Würde."

"Vertrautheit, Freundschaft, Geborgenheit und Sicherheit."

"Familie, Wurzeln, Freunde - Heimat."

"Da, wo ich mich wohl fühle und akzeptiert werde."

"Menschen, die mich verstehen und schätzen, ohne große Erklärungen."

"Heimat ist der Ort der tiefsten Geborgenheit für mich, auch wenn er nicht mehr mein jetziges Zuhause ist."

"Heimat ist, woher wir kommen, was uns täglich bereichert, somit: wohin wir gehen. Ein geistiges Konzept..."

(Eine kleine Auswahl an Publikumsantworten, FNF-Diwan, 26. Feb. 2018)

 

Für Medienanfragen kontaktieren Sie unsere Journalisten- & Mediendialogprogramm-Leiterin der Stiftung für die Freiheit:

Andrea Nüsse
Andrea Nüsse
Telefon: +49 331 7019 213