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Gustav Stresemann
Stresemann neu betrachtet – Eine Veranstaltung zum 90. Todestag

Ewald Grothe, Alexander Olenik, Christina Stresemann, Karl-Heinz Paqué und Andreas Rödder.
Ewald Grothe, Alexander Olenik, Christina Stresemann, Karl-Heinz Paqué und Andreas Rödder. © freiheit.org

Ein enger Freund des Friedensnobelpreisträgers Gustav Stresemann schrieb unmittelbar nach seinem Tod: „Mehr als ein Verlust – ein Unglück!“ Im Alter von gerade einmal 51 Jahren war der frühere Reichskanzler, langjährige Außenminister und Vorsitzende der liberalen Deutschen Volkspartei (DVP) am 3. Oktober 1929 einem Schlaganfall erlegen. Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit erinnerte mit einer Veranstaltung im Gustav-Stresemann-Institut in Bonn an einen der bedeutendsten Staatsmänner des 20. Jahrhunderts. Nach der Begrüßung durch den Präsidenten des Instituts Dr. h.c. Erik Bettermann hielt Professor Andreas Rödder, Neuzeithistoriker an der Universität Mainz und Präsident der Stresemann-Gesellschaft, einen pointierten Impulsvortrag. Es folgte die von Ewald Grothe moderierte Podiumsdiskussion, an der neben Rödder der Vorstandsvorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit Professor Karl-Heinz Paqué und die Richterin am Bundesgerichtshof und Stresemann-Enkelin Dr. Christina Stresemann teilnahmen.

Gewürdigt wurden Stresemanns politische Erfolge in den relativ wenigen Jahren als Reichskanzler und Außenminister zwischen 1923 und 1929. Es gelangen ihm die Beendigung des Ruhrkampfes und die Währungsreform (1923), die Versöhnung mit Frankreich im Vertrag von Locarno (1925), Deutschlands Eintritt in den Völkerbund (1926) und die Regelung der Reparationsfrage (Dawes-Plan 1924 und Young-Plan 1929). Doch nicht nur die Verdienste des „europäischen Bismarck“ (Harry Graf Kessler) wurden erörtert, es kamen auch der liberale Imperialist im Ersten Weltkrieg und der Herzensmonarchist zur Sprache, der sich in den Anfangsjahren Weimars erst allmählich zum Vernunftrepublikaner wandelte. Rödder betonte die Ambivalenzen Stresemanns, der für soziale Versöhnung und Parlamentarisierung des Kaiserreiches, aber auch für „nationale Realpolitik“ und Siegfrieden gestanden habe. Aber er wies auch darauf hin, dass es Stresemann stets um die deutsche Nation, eine Politik mit Augenmaß und eine ausgewogene Verständigungspolitik gegangen sei. In der Diskussion wurde auch über die gerade gefällte Entscheidung des Berliner Landgerichts gesprochen, die untersagt, eine AfD-nahe Politische Stiftung nach Stresemann zu benennen. Alle Beteiligten waren sich einig, dass man sich gegen solche politischen Vereinnahmungsversuche eines demokratischen Staatsmanns durch rechtspopulistische Kräfte wehren müsse. Vielmehr, so betonte Karl-Heinz Paqué, könne Stresemann auch heute noch ein Vorbild für die Liberalen sein. Nach neunzig Jahren müssen wir das Bild von Stresemann nicht revidieren, sondern es im Lichte aktueller Entwicklungen nur immer wieder „neu betrachten“.