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GRUNDRECHTE
Die Warnung vor der Angst

Die informelle Selbstbestimmung schützt Bürgerinnen und Bürger
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Ihren Vortrag beginnt sie mit dem Grundgesetz. Bei ihrer Buchvorstellung in Ravensburg hält die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger einen flammenden Appell für die deutsche Verfassung. Die Grundrechte hätten bis heute die Zielrichtung, Bürgerinnen und Bürger zu stärken, sagt Leutheusser-Schnarrenberger.

Das Grundgesetz sei die Antwort auf das Unrecht der Nazi-Herrschaft – und bindet jede staatliche Gewalt: Gerichte, Parlament, Regierung. Im Gegensatz dazu steht Großbritannien, ein Land ohne Verfassung – in dem derzeit das Brexit-Chaos herrscht. 

Und kommt so auf Angst zu sprechen. Niemand sei frei von Angst: Diese Angst habe in den 90er Jahren dazu geführt, dass Grundrechte eingeschränkt wurden. Als Beispiel nennt sie den „großen Lauschangriff“ 1993, der aufgrund der Angst vor Kriminalität entstanden ist. „Auch gegenwärtig herrschen Ängste“, erklärt sie und zitiert eine Umfrage des Allensbach-Instituts. So glaubt ein großer Teil der 30- bis 59-Jährigen in Deutschland, die Lage im Land verschlechtere sich, obwohl es ihnen wirtschaftlich besser geht, als in der Vergangenheit. Leutheusser-Schnarrenberger nennt es einen „Mentalitätswandel“. Die Welt wird komplexer, die Bürger verlangen Absicherung. Im Gegensatz dazu verzichten sie gerne auf ein bisschen Freiheit. „Jeder Einzelne ist bereit, sich weitgehend zu entmündigen, solange der äußere Versorgungsrahmen Bestand hat“, fasst es Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zusammen. Daher warnt die ehemalige Justizministerin wieder einmal davor, Freiheiten zu leichtfertig aufzugeben.

Auch im digitalen Raum. Die informelle Selbstbestimmung schützt den Bürger davor, den globalen IT-Unternehmen „tendenziell ausgeliefert“ zu sein. So habe jeder Bürger das Recht auf Privatsphäre. Dies dürfe man nicht leichtfertig aufgeben – gerade in Anbetracht des rasanten technologischen Wandels. 

Das Thema Meinungsfreiheit und deren Grenzen spricht die Politikerin ebenfalls an. Diese sei in einer Demokratie zwar essenziell, habe aber auch ihre Grenzen, beispielsweise wenn es um Verleumdung oder Volksverhetzung geht. So könne sie das aktuelle Urteil vom Landgericht Berlin zu den sexistischen Beschimpfungen gegen Renate Künast nicht nachvollziehen. 

Auf die Frage, was sie von einem Bargeldverbot halte, erklärt Leutheusser-Schnarrenberger, dass es für Bargeld zwar einen Grenzwert geben sollte – um Geldwäsche und Steuerbetrug zu bekämpfen, aber jeder Bürger so bezahlen sollte, wie er wolle. Denn ein Bezahlen per App „ermöglicht die Nachvollziehbarkeit jedes Einkaufs“. „Das Smartphone ist toll, aber es ist auch mein eigenes Überwachungsinstrument“, sagt Leutheusser-Schnarrenberger und spricht über Gesundheitsapps, mit denen Menschen ihre Ernährung und sportliche Aktivitäten aufzeichnen. Krankenkassen könnten darauf zugreifen und womöglich nur noch gesunde und fitte Menschen aufnehmen. „Das ist der Ausdruck, letztens, dass das nur die Freiheit von ganz wenigen ist. Und das ist nicht ein Freiheitsverständnis, wie ich es habe.“