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Gesellschaft
Gegen den Hass

Das Böse ist in mir
Mit Schildern, unter anderem mit der Aufschrift "Hass ist keine Meinung", ziehen Teilnehmer bei einer bunten Parade gegen Rassismus durch die Innenstadt.

Mit Schildern, unter anderem mit der Aufschrift "Hass ist keine Meinung", ziehen Teilnehmer bei einer bunten Parade gegen Rassismus durch die Innenstadt.

© picture alliance/Bodo Marks/dpa

Dieser Artikel ist zuerst im freiraum erschienen

»When you see evil as a thing apart from yourself ›over there‹ […] you can justify murder. Evil is the gaze that sees evil as a thing apart from me.« — Timothy Morton »Being Ecological«

Ich möchte diesen Artikel gerne mit einem Zitat beginnen, das mir sofort in den Sinn gekommen ist, nachdem ich das Thema dieser Ausgabe »Gegen den Hass« gehört habe. Es stammt von dem Professor und Schriftsteller Timothy Morton. Das Buch, aus dem ich es entnommen habe, handelt eigentlich vom ökologischen Sein, Denken und Handeln. Dieser eine, kurze Absatz in diesem Buch bringt aber das Problem auf den Punkt, das meiner Meinung nach essentiell für das Scheitern der Menschheit ist: Hass

Jeder hat es mal benutzt, das Wort »hassen«, oft genug wahrscheinlich auch in Verbindung mit einem Subjekt. Benutzen wir diese Bezeichnung nicht viel zu leichtsinnig? »Ich hasse Mathe.« Das Wort ist enttabuisiert und normalisiert im deutschen Sprachgebrauch. Aber abgesehen davon ist es doch ein extremer und krasser Ausdruck. Jemanden oder etwas »hassen«, das bedeutet nicht einfach die Person oder es nicht zu mögen. Hass geht tiefer. Ein Ausdruck, der so bekannt ist, so weit verbreitet. Aber was wissen wir eigentlich genau über den »Hass«? Wenn man es googelt, sagt Wikipedia einem: »Hass ist ein intensives Gefühl der Abneigung gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen (z.B. Fremdenhass, Frauenhass, Judenhass) und kann zu aggressiven Handlungen gegenüber den Hassobjekten führen.« Woher wissen wir, ab welchem Punkt wir die Grenze überschreiten, hinter der wir auf der anderen Seite die karge und heiße Wüste des Hasses erreichen? Wie grenzt sich Hass von Wut oder Aggression ab? Kann man es überhaupt abgrenzen? Die Forschung auf dem Gebiet des Hasses ist noch ziemlich jung und erschreckend wenig behandelt. Aber schon in der Antike stand Hass zusammen mit Zwietracht und Neid den guten Tugenden gegenüber.

Ich glaube, meistens steckt hinter Hass Angst – Angst um Sicherheit. Um wessen Sicherheit genau, das sei mal dahingestellt. Meistens wahrscheinlich die eigene. Vielleicht gehört Hass einfach zu einem Schutzmechanismus oder einem Schutzbedürfnis. Außerdem würde ich Hass als eine konstante Haltung etwas oder jemanden gegenüber einordnen. Man kann vielleicht mal wütend auf jemanden sein, wenn man aber konstant wütend und aggressiv jemanden oder etwas gegenüber ist, dann würde ich von Hass sprechen. Aber was kann einen Menschen dazu bringen? Vielleicht etwas Unverzeihliches. Dann wäre eine weitere Voraussetzung allerdings eine tiefergehende Verletzung der Persönlichkeit.

Viele würden wahrscheinlich zustimmen, wenn ich sage, es sei als Elternteil gerechtfertigt, den Mörder des Kindes zu hassen. In der Dokumentation »Human« von Yann Arthus-Bertrand spricht gleich am Anfang ein Mann, der lebenslang im Gefängnis saß, weil er seine Frau und sein Kind ermordet hat. Er wurde als Kind von seinem Schwiegervater misshandelt und hatte ein verschobenes Bild von Liebe. Er erzählt, wie er nie wirklich wusste, was Liebe tatsächlich bedeutet und wie man sie lebt. Die Mutter und Großmutter seiner von ihm ermordeten Frau zeigte es ihm schließlich: Sie hasste ihn nicht für das, was er getan hatte, obwohl sie seiner Meinung nach allen Grund dazu gehabt hätten. Wie ist das möglich?

Man muss das ganze Bild betrachten. Menschen, die hassen und Menschen, die anderen Gewalt antun, haben meistens selbst Hass und Gewalt erlebt. Mord, Gewalt und Hass sollten nicht als natürlich angesehen werden. So etwas passiert nicht einfach so. Trotzdem passiert es – wieder und wieder. Das Böse kann man nicht aufhalten. Man konnte es nicht in Tausenden von Jahren Menschheitsgeschichte. Mord, Gewalt und Hass tauchen immer wieder auf und rechtfertigen Diskriminierung, Mobbing, Folter, Krieg und Genozide.

Müssen wir also einfach akzeptieren, dass das Böse und der Hass immer in unserer Welt koexistieren werden? Nein. Es ist sogar noch einfacher: Wir müssen akzeptieren, dass das Böse Teil von uns ist. Von jedem von uns. Und damit auch Hass und Gewalt, alles was unschön ist. Das Böse ist ein intrinsischer Aspekt der Menschen. Es gehört zum Menschsein dazu. Es ist sehr einfältig zu denken, dass das Böse etwas ist, was man loswerden könnte, etwas, was woanders stattfindet, etwas, das andere tun.

Warum entsteht Hass? Weil ich die Schuld auf jemanden (oder etwas) projiziere. Deswegen konnten die Nazis Juden systematisch auslöschen und denken, sie wären damit im Recht. Sie haben alles Böse, allen Hass auf sie geschoben und hatten damit ihre Sündenböcke. So konnten sie sich, vor sich selbst und anderen, für grauenvolle Taten rechtfertigen.

An dieser Stelle könnte ich gut Beispiele von Gruppen, Organisationen und Parteien, wie der AfD, nehmen. Ich könnte sagen: »Schaut, das sind die, die Ausländer hassen. Sie sind verabscheuungswürdig.« Und so geht das weiter und weiter: Damit habe ich meinen Sündenbock. Wer sagt mir denn, dass ich auf der richtigen Seite stehe, als liberaler und sozialer Mensch? Wer bin ich, um zu sagen: »Ich bin richtig, die anderen sind falsch«?

Das ist genau die Denkart, die der Menschheit immer wieder zum Verhängnis wird. Der Punkt ist: Die Menschheit ist eine einzige Symbiose. Ein Mensch ist keine Menschheit. Ich kann nicht sagen, dass ich nicht zu den Menschen gehöre. Und genauso kann ich nicht sagen, dass ich nicht zu DEN Menschen gehöre (denen, die böse sind).

Es ist schwierig und unangenehm, dieses Denken. Der Mensch denkt gerne in Schubladen, denn die Welt ist zu komplex, um sie konstant in ihrer Komplexität zu betrachten, als ganzes Bild. Aber die Wahrheit ist: Es gibt nicht nur Himmel und Hölle, und nicht nur Gut und Böse. Und schlimmer noch: Alles, was wir tun, hat einen Effekt in unserer Umwelt. Selbst wenn ich also frei von Hass wäre, wäre es immer noch ein Potential, das in mir steckt und ich bin indirekt Teil des Hasses von anderen.

Vielleicht kennt ihr den Film »The Butterfly Effect« aus dem Jahr 2004. Das ist das, wovon ich rede. Jede unserer Handlungen hat Einfluss auf die Menschen und die Geschichte der Menschen um uns herum. Und nicht nur das, aber um es kurz zu halten: Alles in der Welt ist zumindest indirekt verbunden. Und so sind wir eben auch mit allem Bösen und allem Hass in der Welt verbunden. Es gehört zu mir. Ich kann mich dem nicht entziehen, also muss ich es akzeptieren.

Das soll allerdings nicht bedeuten, dass wir uns jetzt alle zurücklehnen und unserem Hass, auf was auch immer, freien Lauf lassen, uns so richtig austoben und fies sein können. Das Gegenteil ist der Fall. Nur wenn ich verinnerlichen kann, dass ich Teil des Bösen bin, kann ich andere akzeptieren und werde sie nicht als »die anderen« anprangern, sie als minderwertig darstellen oder zu Sündenböcken machen. Wenn ich mich selbst in jedem Menschen widerspiegeln, wiederfinden kann, kann Hass nicht entstehen. Und die Voraussetzungen dafür liegen nicht bei anderen, sondern bei mir. Und wenn jeder das könnte, dann wäre diese Welt ohne Hass. Und dann hätte auch das Böse keinen Platz mehr.

Aber dafür sind Menschen zu unkontrollierbar und es wird immer Ausbrecher geben. Die Welt ist nicht für perfekte Harmonie geschaffen. Aber wer sagt, dass Harmonie nur aus Perfektionismus entstehen kann? Vielleicht wäre schon einiges besser, wenn wir verinnerlichen, dass wir keinen Grund haben, die anderen zu hassen. Vielleicht teilen wir nicht dieselben Ansichten oder Verhaltensmuster, vielleicht machen sie uns Angst oder irritieren uns. Aber vielleicht geht es ihnen anders herum auch so mit uns. Aber Hass ist keine Antwort, er blockiert meistens nur die Kommunikation. Hass sollte nie gerechtfertigt werden. Man kann ihn nicht rechtfertigen. 

Alicia Barabasch studiert Modedesign in Pforzheim und ist seit April 2018 in der Grundförderung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. 

Dieser Artikel ist zuerst im freiraum erschienen. Der freiraum ist das Magazin der Stipendiaten und Altstipendiaten der FNF und zugleich Mitgliedermagazin des VSA. Der freiraum erscheint viermal pro Jahr in einer Auflage von rund 3.300 Exemplaren. Print und Digitalausgabe sind für Mitglieder kostenlos.