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Georgien
Ein Freedom-Hub für den Südkaukasus

Projektbüro der Stiftung für die Freiheit in Tiflis nach Erweiterung durch die Stellvertretende Vorstandsvorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger feierlich wiedereröffnet
Georgien

Bei der Wiedereröffnung des Büros kamen viele Gäste.

© Freiheit.org

Das traditionelle georgische Volkslied „Mravaljamieri - ...auf ein langes Leben“, vorgetragen von den Geschwistern Marschania war der Auftakt der feierlichen Wiedereröffnung des Projektbüros der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit im Südkaukasus am 19. Juni. Mehr als 120 Gäste waren der Einladung in die Tamar-Chovelidze-Straße im Zentrum der georgischen Hauptstadt zur Präsentation des neuen, erweiterten Büros gefolgt. Unter den Gästen waren Vertreter nahezu aller Partner der Stiftung aus Georgien, Armenien und Aserbaidschan, Vertreter deutscher und internationaler Organisationen und Institutionen, liberale Freunde, Alumni und Ehrengäste.

Neben neu konzipierten Räumlichkeiten für die Mitarbeiter unter Berücksichtigung des neuen Corporated Design sowie die Gestaltung mit zwei „Freedom“-Malereien verfügt das um 50 Prozent Grundfläche erweiterte Projektbüro jetzt auch über einen großen Raum für Veranstaltungen und im neuen „Freedom Studio“ können nun Videoclips, Freedom Talks und Podcasts produziert werden. In seiner Begrüßungsrede lud der Projektleiter der Stiftung im Südkaukasus, Peter-Andreas Bochmann, alle liberalen und freiheitsliebenden Kräfte zum Austausch, zur Diskussion, zur Entwicklung von Visionen und der Umsetzung liberaler Ideen in den „Freedom Hub“ im Südkaukasus ein.

Der deutsche Botschafter in Georgien, Hubert Knirsch, betonte in seinem Grußwort die Wichtigkeit der Arbeit der politischen Stiftungen in der nicht ganz unkomplizierten Region und wünschte dem Team der Stiftung für die Freiheit eine weitere erfolgreiche Arbeit. Aus Deutschland war Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, stellvertretende Vorsitzende des Vorstands der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, gekommen. In ihrer Rede zur Wiedereröffnung beschrieb sie die Arbeit der Stiftung seit ihrer Gründung 1958 in mehr als 60 Ländern durch die Förderung von Freiheit und liberaler Werte und skizzierte die Entwicklung der Arbeit der Stiftung im Südkaukasus seit den 1990-er Jahren, als die FNF mit Veranstaltungen in Aserbaidschan startete. Sie äußerte die Hoffnung, dass das neue „Freedom Office“ immer mehr zu einem Dreh- und Angelpunkt für liberal gesinnte Georgier, Armenier und Aserbaidschaner wird, um liberale Demokratien, effiziente Mehrparteiensysteme und die Freiheit im Allgemeinen in den drei Ländern zu entwickeln.

Erste Georgien-Reise vor 25 Jahren

Es war der zweite Besuch von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in Georgien. Bereits vor 25 Jahren kam sie als Justiz-Expertin im Auftrag der EU-Kommission nach Georgien. Nach ihrer ersten Amtszeit als Justizministerin waren damals ihre Expertise und ihre Empfehlungen bei der Organisation des Justizministeriums, damals geleitet von Lado Chanturia, von 2014 bis 2018 Botschafter Georgiens in Deutschland und seit Januar 2018 Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, gefragt. Ihre Erinnerungen an damals: „Eine angespannte Atmosphäre in der Stadt und die Flüchtlingsproblematik war allerorts spürbar.“ Daher war es für Sabine Leutheusser-Schnarrenberger auch sehr wichtig, ein Gespräch mit der Staatsministerin für Versöhnung und bürgerliche Gleichheit, Ketevan Tsikhelashvili, zu führen.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger informierte sich über die aktuelle Flüchtlingssituation und die Situation in den von Georgien abtrünnigen Gebieten Südossetien und Abchasien. Die Staatsministerin, ehemalige Projektkoordinatorin der Stiftung für die Freiheit in Georgien, informierte über die 2018 gestartete Versöhnungsinitiative der georgischen Regierung „Step Towards a Better Future“. Diese Initiative soll eine Brücke zwischen Georgien und den abtrünnigen Gebieten Abchasien und Süd-Ossetien schlagen. Durch verschiedene Initiativen und Erleichterungen unter anderen in den Bereichen Bildung und Handel sollen Trennlinien überwunden werden. Sabine Leutheusser Schnarrenberger sagte: „Getrennte Dörfer, Gärten, Friedhöfe und auseinander gerissene Familien - bei aller Unterschiedlichkeit in den historischen Prozessen, fühle ich mich in einigen Facetten an die deutsche Teilung erinnert. In den besetzten Gebieten herrscht eine große Perspektivlosigkeit, umso wichtiger sind da die Programme der georgischen Seite die Familien zu unterstützen, den Handel zu erleichtern und Bildungsmöglichkeiten zu schaffen.“

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Sabine Leutheusser-Schnarrenberger begrüßt die Gäste.

© Freiheit.org

Angespannte Situation: Erste Pride-Woche in Georgien

Der Besuch der stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden fand in einer angespannten Situation im Land statt. Nachdem am 17. Mai, dem internationalen Tag gegen Homophobie, aus Sicherheitsgründen die LGBTQI-Community auf alle öffentlichen Veranstaltungen verzichtet hatte, findet nun vom 18. bis 23. Juni die erste „Tbilisi Pride“ mit kulturellen und politischen Veranstaltungen statt. Dies sorgt für massive Widerstände konservativer und rechter Gruppierungen. Am 19. Juni fand ein von der Stiftung organisierter Runder Tisch mit Vertretern von Menschenrechtsorganisationen und den Organisatoren der Tbilisi Pride statt.

Sabine Leutheuser-Schnarrenberger: „Ich bin auch hier, weil sich die Stiftung mit der Situation und den durch die Gesetzgebung garantierten Rechten der LGBTQI beschäftigen. Ich bin beeindruckt vom Mut und dem Engagement der Organisatoren der ersten Pride in Georgien, damit die Rechte, die verfassungsmäßig garantiert sind, auch gelebt werden können. Das sind liberale Werte. Es geht um die Entfaltung eines jeden Einzelnen. Auch wenn die georgische Gesellschaft noch nicht wirklich aufgeschlossen dafür ist. Rechte sichtbar und lebbar machen, darum geht es uns. Deshalb ist es ganz entscheidend, dass trotz der Gewaltandrohung und der Widerstände von Teilen der Gesellschaft gegen die ganze queere Community, auch denen Mut zu machen, die sich noch nicht trauen, sich dazu zu bekennen.“

Starke Frauen in Führungspositionen

Ein weiterer Termin im dichten Programm der zweitägigen Reise des Vorstandsmitglieds war eine Frauenkonferenz mit dem Titel „Frauen in Politik und Gesellschaft“, auf der Sabine Leutheuser-Schnarrenberger eine der Hauptreferentinnen war. Beeindruckt und positiv überrascht war sie über die große Teilnahme besonders von vielen jungen Frauen aus den unterschiedlichsten Bereichen, die sich in ihren Beiträgen und der Diskussion engagiert und unheimlich professionell beispielsweise mit Genderfragen und dem Engagement von Frauen in der Politik auseinandersetzten. „Ich würde mich freuen, wenn in Deutschland eine solche Veranstaltung einen so hohen Zuspruch finden würde“, erklärte Sabine Leutheuser-Schnarrenberger. 

Als dringendste Herausforderung für das Land sieht sie in diesem Zusammenhang Bildung auf allen Ebenen. Dabei sei es einerseits die politische Bildung aber auch die Kenntnisse der rechtlichen Grundlagen und den von der Verfassung garantierten Rechten. „An der Spitze gibt es starke und tolle Frauen in Ämtern und auch auf Ministerposten, aber dies sollte alle Ebenen betreffen und da gibt es einen Nachholbedarf.“ Moderiert wurde die Veranstaltung von der ehemaligen Außenministerin Georgiens, Maia Panjikidze, die als Mitglied der Freien Demokratischen Partei Georgiens eng mit der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit zusammenarbeitet.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zog am Ende ihres Aufenthalts in Georgien ihr Fazit: Im Hinblick auf Gesetzgebung und Pressefreiheit befindet sich Georgien in einer besseren Situation als viele andere Länder, auch einiger EU-Staaten. Georgien sei ein offenes Land mit Entfaltungsmöglichkeiten. Aber es kam in vielen Gesprächen durch, dass es in Hinblick auf die Beteiligung von Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen und bei der Umsetzung von Minderheitenrechten noch zum Teil erhebliche Defizite gibt. Georgien ist auf einem guten Weg. Jedoch auch was wirklich freie und faire Wahlen sowie die Unabhängigkeit der Justiz angeht, sind noch erhebliche Anstrengungen zur Umsetzung erforderlich: „Das sind entscheidende Voraussetzungen für eine funktionierende Demokratie und was Letzteres betrifft, könnte man meine Tätigkeit von vor 25 Jahren fortsetzen.“

 

Peter-Andreas Bochman ist Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit Südkaukasus.

Götz-Martin Rosin ist freier Journalist.