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Gastbeitrag
Zeigt Big Tech die wettbewerbsrechtlichen Folterinstrumente auf!

Big Data / Google

Google gehört zu den Tach-Giganten.

© picture alliance / AP Photo

Dieser Artikel wurde am Dienstag, 16. April 2019 in der Welt veröffentlicht und ist online hier zu finden.

 

Kein Zweifel: «Big Data» führt zu „Big Profit“. Die Weltrangliste der wertvollsten Firmen liefert den Beleg dafür. Zurzeit stehen mit Apple, Microsoft, Amazon und Alphabet/Google vier Datenkonzerne mit großem Vorsprung an der Spitze – Facebook folgt hinter Tencent (einem chinesischen Big Tech Giganten) auf Platz sechs. Da der Börsenwert die abdiskontierten Erwartungswerte aller künftigen Gewinne widerspiegelt, trifft - bei allem Respekt und Verständnis für die Profitorientierung von Unternehmen in Marktwirtschaften - eine triviale Feststellung dennoch unverändert zu: der (erwartete) Gewinn der Big Tech-Giganten wird von deren Kunden zu finanzieren sein, die mehr als die Kosten, die sie verursachen, für die Datennutzung zu bezahlen haben werden. Preise oberhalb der Kosten jedoch sind das Signal dafür, dass Firmen Marktmacht und Monopolpositionen erlangt haben.

Das Wesen von Big Data ist das Monopol. Ursache hierfür sind immense Fixkosten der Datenverarbeitung auf der einen und nahezu keinen variablen Kosten der Datennutzung auf der anderen Seite. Es kostet Millionen bis Milliarden, um YouTube, Netflix, Spotify oder WhatsApp zur Marktreife zu bringen, aber nur wenig bis nichts, um einer zusätzlichen Person die Nutzung zu ermöglichen. Ob die Videos von YouTube, die Filme von Netflix oder die Musik von Spotify von mehreren Personen oft sogar gleichzeitig angesehen und gehört werden, verringert die Qualität von Bildern und Tönen in keiner Weise. Daten nutzen sich durch Gebrauch nicht ab. Sie werden nicht schlechter oder weniger. Millionen von Menschen können zur selben Zeit die gleichen Streamingdienste aufrufen, Homepages ansehen oder elektronische Nachrichtenportale besuchen, ohne dass Informationsgehalt, Seh- oder Lesegenuss geschmälert wird. 

Hohe Fixkosten bei der Leistungserbringung und geringe Zusatzkosten für weitere Nutzer sind der Humus, auf dem Monopole blühen. Ein Anbieter statt mehrerer bedeutet, dass nur einmal statt mehrfach Fixkosten anfallen – beispielsweise für die digitale Konstruktion einer Plattform für Online-Dienste. Bei steigender Nachfrage sinken für einen Monopolisten die Durchschnittskosten. So können Netflix oder Spotify weitere Kunden billiger bedienen als andere, die noch nicht so viele Nutzer bedienen. Ein Monopolist kann sich deshalb jederzeit auf einen Preiswettbewerb einlassen, der für ihn zwar schmerzlich ist, für Konkurrenten jedoch ruinös sein wird. So kann er sukzessive Gewinne erwirtschaften, die ihm als Geldquelle dienen, aus der er die gewaltigen Investitionen in stetige Innovationen finanzieren kann, die mit dem Aufbau einer sich verstetigenden Monopolposition einhergehen. Damit aber ist vorgezeichnet, dass „Big Data“ zu „Big Profit“ führt, was erklärt, wieso die großen Datenkonzerne die Weltrangliste des Big Business anführen.

Angesichts von Marktmacht und Monopolstellung mehren sich die Stimmen, die eine Zerschlagung der Big Tech-Giganten fordern. Der Vorwurf lautet, sie seien so dominant, dass es keinen Wettbewerb, keinen Konkurrenzkampf und damit auch kaum mehr Innovation sowie keinen Schutz der Kunden vor Missbrauch und zu hohen Preisen mehr gebe. Google, Apple, Facebook und Amazon wären nicht nur in ihrem Kerngeschäft – also „Big Data“ - marktmächtig, sondern auch in vor- oder nachgelagerten Gliedern der Wertschöpfungskette, also bei der Hard- und Software, Logistik oder Werbung und bald wohl auch schon Finanzierung und Versicherung. Die marktbeherrschende Stellung würde den Monopolisten ermöglichen, zulasten von Kunden und Zulieferern milliardenschwere Gewinne zu erzielen, die zudem – sehr zum Ärger des nationalen Fiskus – nicht dort versteuert würden, wo sie entstehen, sondern in karibischen Steueroasen, wo sie nahezu ungeschoren blieben.

Der Blick auf Monopole erfolgt in den USA und Europa aus unterschiedlicher Perspektive. In den USA steht der Schutz des Verbrauchers vor zu hohen Preisen im Vordergrund, in Europa der Schutz des funktionierenden Wettbewerbs. Deshalb kommen auf den beiden Seiten des Atlantiks auch differierende Instrumente zum Einsatz. Marktmächtigen Monopolisten droht in den USA die Zerschlagung, in Europa die Regulierung. Europa sollte an seiner gut bewährten Praxis festhalten und sich von einer Amerikanisierung des Wettbewerbsrechts fernhalten. Eine Zerschlagung von Monopolen der Datenökonomie dürfte das Tempo des digitalen Fortschritts eher bremsen als beschleunigen. Europa jedoch bedarf bei der Digitalisierung mehr und nicht weniger Dynamik. 

Aus europäischer Sicht ist es viel klüger, nach einer griffigen Regulierung zu suchen. Sie sollte insbesondere dafür sorgen, dass erstens die Marktposition privater Datenquellen gegenüber den Datenfirmen gestärkt wird. Private Daten gehören den Menschen und nicht den Firmen. Deshalb dürfen private Daten von anderen kommerziell nur genutzt werden, wenn die Urheber explizit zustimmen und dafür materiell entschädigt werden. Ein einfach einklagbarer Missbrauch muss mit abschreckend hohen Bußgeldern geahndet werden. Bei aller berechtigter Kritik an der konkreten Umsetzung folgen neue europaweit geltende Datenschutzverordnungen genau dieser Absicht.

Zweitens gilt es, die Datenwirtschaft offen zu halten, um so möglichen Konkurrenten der Big-Data-Monopolisten den Markteintritt zu erleichtern. Paradoxerweise verlangt das eher weniger und nicht mehr Regulierung für neu in einen Markt drängende Firmen und besonders für Start-ups, für die sehr oft gerade die vielen Vorschriften ein No-Go zur Folge haben.

Drittens schließlich sind Monopolgesetzgebung und Kartellrecht so zu modernisieren, dass sie den Anforderungen des Digitalisierungszeitalters gerecht werden. Mehr denn je geht es in der Datenökonomie um „pro market“ nicht „pro business“. Dabei könnte die Erkenntnis des Wirtschaftsnobelpreisträgers Jean Tirole eine zielführende Richtung vorgeben: Man muss dem Monopolisten Anreize geben, sich fair zu verhalten, ihm aber gleichzeitig und unmissverständlich die wettbewerbsrechtlichen Folterwerkzeuge aufzeigen, die kompromisslos zum Einsatz kommen, sollte Marktmacht zulasten von Gesellschaft, Kunden und Staat missbraucht werden.

 

Thomas Straubhaar ist Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere internationale Wirtschaftsbeziehungen, an der Universität Hamburg und Mitglied im Kuratorium der Stiftung für die Freiheit.