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Fünf Jahre Bataclan
Fünf Jahre nach dem Bataclan-Attentat – Die Angst vor Terror und Spaltung prägt Frankreich bis heute

Bataclan
© picture alliance / empics | Adam Davy  

90 Menschen wurden bei den Anschlägen in dem Konzertsaal im 11. Arrondissement in Paris am 13. November 2015 getötet. Auch wenn die Wunden der Überlebenden und Angehörigen langsam heilen, die neuerlichen Anschläge auf den Lehrer Samuel Paty in Conflans-Sainte-Honorine sowie auf Besucher einer Kirche im südfranzösischen Nizza katapultieren den islamistischen Terror zurück auf die Tagesordnung der französischen Politik. Einmal mehr muss Staatspräsident Emmanuel Macron beweisen, dass Frankreich gegenüber den Angriffen der Feinde der Republik nicht einknickt.

Durch die zweite Welle der Corona-Pandemie werden die diesjährigen Gedenkfeiern jedoch nicht wie in sonstiger Form stattfinden. Die Mobilitätsbeschränkungen führen dazu, dass sich Angehörige der Terroropfer nicht wie gewohnt auf öffentlichen Plätzen, an Orten der Feierlichkeit und der Geselligkeit zusammenfinden können. Wie bereits im Frühjahr hat Frankreich auf eine drastische Ausgangssperre zurückgegriffen, die es seinen Bewohnern lediglich ermöglicht, nach ausgefüllter Bescheinigung innerhalb eines Umkreises von einem Kilometer das eigene Haus zu verlassen.

So steht dieses Jahr die Erinnerung unter besonderen Vorzeichen: Neben das kollektive Gefühl einer durch den Terror tief in ihren Grundfreiheiten getroffenen Nation tritt ein individuelles Gefühl der Beklemmung aufgrund der unmittelbaren Einschränkungen der Freiheitsrechte. So werden Familien und Angehörige vielerorts gezwungen sein, kreative Lösungen zu finden, um ihrer Trauer Ausdruck zu verleihen. Die Befestigung von Blumen oder weißen Trauerbändern am eigenen Fenster ist eine Möglichkeit oder das Platzieren von Blumensträußen an den Anschlagsorten wo möglich. Doch so wichtig das Erinnern an den Anschlag für das kollektive Gedächtnis als auch insbesondere für die Angehörigen auch ist, stellt sich umso mehr die Frage nach konkreten Antworten der Politik im Kampf gegen Islamistischen Separatismus und Terror.

Eine starke Antwort der Politik

Noch vor den Anschlägen im Oktober stellte Emmanuel Macron im Pariser Vorort Les Mureaux seine Ideen für ein zukünftiges Gesetz gegen den islamistischen Separatismus vor, das im Dezember als Gesetzesentwurf vorliegen soll. Eckpunkte des Gesetzes sollen unter anderem sein, Heimunterricht oder Unterricht in staatlich nicht registrierten religiösen Schulen stark einzuschränken, Hass predigende Kultur- und Sportvereine einfacher zu verbieten und die Ausbildung von Imamen in Frankreich zu fördern. Damit knüpft Macron an das im Oktober 2017 von der französischen Regierung vorgelegte Sicherheitsgesetz an, das im Nachgang des zwei Jahre andauernden Ausnahmezustands einen Anti-Terror Plan gesetzlich legitimierte – das aber offenbar nicht ausreichte, um den islamistischen Terror umfassend und wirksam zu bekämpfen.

Das neue Gesetz würde fundamentale Freiheitsrechte einschränken. Es ist eine äußerst schwierig, eine Balance zwischen der Eindämmung islamistischer Hassrede und dem Aufruf zum Terrorismus auf der einen Seite und der Beibehaltung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit auf der anderen Seite zu finden, wie der französische Justizminister Éric Dupond-Moretti kürzlich beteuerte. Dass diese Abwägung nicht leichtfertig geschieht, zeigt beispielhaft die Debatte um einen vorherigen Gesetzesentwurf einer LREM-Abgeordneten 2019 zur Hassrede im Netz, die hohen Strafen für soziale Plattformen wie Twitter oder Facebook vorsah, sollte dort Hassrede verbreitet werden. Ein Inkrafttreten dieses Gesetzes hätte dazu geführt, dass auf Basis von Algorithmen automatisch Unmengen von Beiträgen zensiert worden wären, ein massiver Eingriff in die Meinungsfreiheit, wie dies dann auch vom französischen Verfassungsrat beanstandet wurde.

Die französische Gesellschaft ist tief gespalten

Die aktuellen Debatten zeigen, wie tief gespalten Teile der französischen Gesellschaft sind und dass offenbar das republikanische Versprechen des Laizismus, nachdem Religion Privatsache sei und sich damit im öffentlichen Leben nicht manifestieren sollte, schon lange nicht mehr trägt. So hatte der ehemalige Schulinspektor Jean-Pierre Obin bereits 2004 in einem Bericht festgestellt, dass große Teile der Schülerschaft mit maghrebinischen Wurzeln sich in ihrem Selbstverständnis nicht als Franzosen sehen und im Schulalltag zahlreiche Verstöße gegen das Laizismus-Prinzip zu beobachten seien. Vermehrt wurde in den französischen Medien seit der Enthauptung des Lehrers Paty nun auf diesen Bericht hingewiesen, dem keine Taten gefolgt seien. Eine aktuelle Umfrage von Charlie Hebdo und dem Meinungsforschungsinstitut ifop vom September untermauert diesen Befund auf sehr deutliche Weise: 74 Prozent aller französischen Muslime unter 25 Jahren geben an, den Islam vor die Werte der Französischen Republik zu stellen. Damit sei der Radikalisierungsgrad bei der jungen Generation viel ausgeprägter als noch bei vorherigen Generationen. Auf der anderen Seite sind knapp zwei Drittel der Franzosen der Meinung, dass der Islam inkompatibel mit der Französischen Republik sei.

Aber es gibt auch positive Nachrichten: Bereits im Frühjahr ist das Buch „Es bleiben uns die Worte“ („Il nous reste les mots“) erschienen, das den Austausch zwischen Georges Salines, dem Vater einer während des Anschlags getöteten jungen Frau und Azdyne Amimour, dem Vater von Samy, einem der Dschihadisten des Bataclan-Attentates, wiedergibt. Das Buch wurde als Zeichen der Versöhnung gewertet und sendet die wichtige Botschaft, dass nur Dialog und Austausch für ein gelingendes Zusammenleben sorgen können. Die Zusammenarbeit mit islamischen Akteuren ist auch Ausgangspunkt eines Papiers, mit dem Annegret Kamp-Karrenbauer nun versucht, eine „internationale Allianz zur Förderung eines weltoffenen, moderaten Islams“ zu schmieden.

Frankreich ist Europa: Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit auf europäischer Ebene ausbauen

Der islamistische Terror kennt bekanntlich keine Landesgrenzen und so findet diesen Freitag. den 13. neben den Gedenkfeiern zu fünf Jahren Bataclan-Anschlag auch ein Treffen der europäischen Justiz- und Innenminister statt. Dieses knüpft unmittelbar an das vorbereitende Treffen zwischen dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Österreichs Kanzler Sebastian Kurz, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel an und zeigt, dass Europa gewillt ist, die richtigen Lehren aus der Katastrophe zu ziehen.

Vorschläge, die durch die deutsche Ratspräsidentschaft vorangebracht wurden, beinhalten etwa die Einschränkung der Verschlüsselung von Messengerdiensten wie WhatsApp und Co. oder einen institutionalisierten Dialog mit Plattformen wie Facebook oder Twitter, die wohl noch im Dezember von den Justiz- und Innenministern der EU beschlossen werden könnten. Strittig sind allerdings noch Details wie zum Beispiel Macrons Forderung, islamistische Hassbeiträge durch die Plattformen innerhalb von einer Stunde entfernen zu lassen. Zudem sprach sich Macron für einen verbesserten Außengrenzschutz sowie eine Überarbeitung von Schengen aus – eigentlich ein Raum der Freiheit, Sicherheit und des Rechts, der dieses Jahr sein 35-jähriges Bestehen feierte.

So ist der 13. November nicht nur ein Gedenktag für Frankreich und die schrecklichen Anschläge auf unsere geliebte und gelebte Freiheit in einer offenen Gesellschaft. Vielmehr stellt das Ereignis deutlich heraus, wie wichtig eine europaweite Zusammenarbeit in verschiedenen Politikbereichen ist, denn nur europaweit kann ein Kampf gegen Hass, Ausgrenzung und Terror gelingen.

Jeanette Süß ist European Affairs Managerin im Regionalbüro „Europäischer Dialog“ der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Brüssel.