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Freihandel
Soft Brexit – softer geht’s nicht

Europa sollte Theresa May entgegenkommen. Die Zusammenarbeit des Vereinigten Königreichs und des Kontinents ist von überragender Bedeutung.
Brexit

Theresa May plant ganz klar einen „Soft Brexit“. Wie soll der aussehen?

© iStock / Getty Images Plus / Getty Images / 8213erika

Am 11. Juli fasste unser stellvertretender Vorstandsvorsitzender Professor Paqué Teresa Mays Brexit-Pläne von Chequers zusammen – und dachte über Strategien nach, wie die EU damit umgehen sollte. Das jüngste EU-Treffen in Salzburg, das keine Ergebnisse brachte, ist Grund genug, den Beitrag nochmals zu publizieren. Er ist unverändert relevant, denn nichts ist seither passiert, außer dass wertvolle Zeit verging.

Die jüngsten Beschlüsse des britischen Kabinetts unter Leitung von Theresa May haben es in sich. Und was dann folgte, ist höchst dramatisch: Zwei Mitglieder des Kabinetts traten zurück, darunter Boris Johnson, der populistische Anführer der Brexiteers. Und sie hatten Grund dazu: Die Beschlüsse von Chequers haben die Tür zu einem „Hard Brexit“ zugeschlagen, fester und lauter als man erwarten konnte. Theresa May plant ganz klar einen „Soft Brexit“. Wie soll der aussehen?

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Die Grundstruktur von Mays Brexit-Plan ist einfach: Das Vereinigte Königreich verlässt die Europäische Union, bleibt aber, was den Warenhandel betrifft, faktisch Mitglied im europäischen Regulierungsrahmen, der den Freihandel einschließt. Für eine Übergangszeit bleibt es sogar Mitglied der EU-Zollunion, bis eine „erleichterte Zollpartnerschaft“ formal eine neue Lösung ermöglicht, wobei im Einzelnen noch nicht klar ist, wie diese funktionieren soll. Beim Handel mit Dienstleistungen, der für Großbritannien mit seinem Finanzzentrum London von großer Bedeutung ist, wird es in Mays Plan ein System der gegenseitigen Anerkennung von Regeln geben, von denen allerdings im Handel mit Dritten Abweichungen möglich sind. Dabei will Großbritannien gegenüber der EU zusichern, Umwelt-, Sozial- und Arbeitsschutzstandards nicht zu unterscheiten und eine Streitschlichtung durch den Europäischen Gerichtshof zu akzeptieren.

Soweit die Grundstruktur von Mays Plan. Ganz offensichtlich will die Premierministerin mit höchster Priorität das zentrale politische Problem des Brexit lösen: die Frage der Grenzkontrollen zwischen Irland und dem Vereinigten Königreich einschließlich Nordirlands. Bleibt nämlich, wie Theresa May plant, der Warenhandel zwischen EU und dem Vereinigten Königreich frei, bedarf es keinerlei Kontrollen an der inner-irischen Grenze – und damit auch keine gefährliche Abweichung vom friedensstiftenden „Good Friday Agreement“ von 1998. Hinzu kommt die Rücksicht auf die wirtschaftlichen Interessen der Geschäftswelt und vor allem das typisch britische Bekenntnis zum Freihandel, der ja – weit mehr als in den USA – zum philosophischen Kernbestand des Selbstverständnisses gehört. Selbst die Brexiteers wollen ja – anders als Donald Trump – den Erhalt des Freihandels.

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Gleichwohl sind die Brexiteers entsetzt über Mays Konzept. Der Grund liegt auf der Hand: Das Vereinigte Königreich würde zumindest im Warenhandel zu einem „Anhängsel“ der EU-Politik, ohne diese beeinflussen zu können – eine Art großes Norwegen. In ihren Augen ist dies eine gewaltige Demütigung, wobei von den Brexiteers allerdings bis heute keine realistischen Vorschläge gekommen sind, wie das Problem der inner-irischen Grenze anders gelöst werden könnte. Boris Johnson soll das Ergebnis von Chequers intern als „polishing a turd“ (wörtlich: das Polieren eines Haufen Scheiße) genannt haben. Starke Worte!

Es steht also eine überaus harte innenpolitische Auseinandersetzung in Großbritannien bevor. Ebenso schwierig könnten die Verhandlungen zwischen EU und dem Vereinigten Königreich werden. Beharrt die EU auf ihrem bisherigen Standpunkt, dass Freihandel nur im kompletten Paket mit Freizügigkeit zu haben ist, also die Regeln des Gemeinsamen Marktes gelten, dann ist eine Einigung auf Mays „Soft Brexit“ kaum denkbar. Denn mit ihrem Modell hat Theresa May ihr Land bereits an den Rand eines Souveränitätsverzichts geführt, der ihre Partei tief spaltet. Müsste sie auch noch die Freizügigkeit voll akzeptieren, würde sie scheitern, denn diese war der zentrale Stein des Anstoßes, der überhaupt erst für eine Mehrheit gegen einen Verbleib in der EU sorgte. Der einzige gangbare Weg wäre wohl, eine Art Mobilitätsrahmen zu definieren, der irgendwo einen Kompromiss zwischen völliger Freizügigkeit und geschlossenen Grenzen darstellt.

Das Vereinigte Königreich würde zumindest im Warenhandel zu einem „Anhängsel“ der EU-Politik, ohne diese beeinflussen zu können – eine Art großes Norwegen.

Der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Paqué am Hauptsitz der Stiftung in Potsdam
Kalr-Heinz Paqué

Variable Geometrie

Genau an dieser Stelle ist in der EU größtes diplomatisches Geschick verlangt. Hier liegt Raum für die Phantasie beidseitig gesichtswahrender Lösungen. Kommen diese zustande, könnte Europa eine neue Form der „variablen Geometrie“ erreichen, so wie es schon bei der Einführung des Euro war, der ja eine Reihe von Ländern nicht folgte, obwohl sie die Qualifikationskriterien dafür erfüllten. Es gibt dabei zwei Grundpositionen: Die einen – nennen wir sie die EU-Hardliner – sagen, es darf keine Ausnahme von den Prinzipien des Gemeinsamen Marktes geben, weil sonst ein Präzedenzfall gesetzt wird, dem andere europamüde Nationen folgen könnten. Die anderen – nennen wir sie die EU-Pragmatiker – erkennen in Großbritannien aus historischen Gründen den besonderen Einzelfall der großen weltoffenen Inselnation, die es kein zweites Mal gibt und im Übrigen mit dem Brexit so viel Ärger hat, dass er kaum als nachahmenswerte Blaupause für Nachfolger dienen wird.

Es gibt ein entscheidendes Argument, die pragmatische Position zu unterstützen: Ein Scheitern des „Soft Brexit“ würde zu einem „Hard Brexit“ führen, einer Art Scheidung im Unfrieden mit einem lange nachwirkenden bitteren Beigeschmack der Demütigung und Frustration. Das Vereinigte Königreich würde sich in seiner gesamten Politik zwangsläufig umorientieren – in Sicherheits- und Verteidigungs- wie in Handelsfragen. Das starke militärische und politische Gewicht Großbritanniens fände sich nicht mehr von selbst im europäischen Lager. Dies wäre eine gewaltige Schwächung des liberalen Westens in allen internationalen Konflikten, sei es mit Russland, der Türkei oder China oder auch mit dem Protektionismus eines Donald Trump. Europa wäre auf Dauer viel schwächer als mit einem „EU-assoziierten“ Großbritannien, das freundschaftliche und konstruktive Beziehungen mit Brüssel pflegt.

Im Übrigen ist es fragwürdig, ob nach dem Brexit-Votum überhaupt noch eine vernünftige Option besteht, ein Europa der variablen Geometrie zu vermeiden. Zu gewaltig ist der Schock, den das Votum der Idee des linear verlaufenden Prozesses der europäischen Integration versetzt hat. Eine zweite Abstimmung zum Brexit im Vereinigten Königreich würde daran nichts ändern, denn die politische Spaltung des Landes bliebe erhalten – und damit die wabernde Unzufriedenheit mit dem Status Quo. Es geht darum, das Beste aus der Situation zu machen. Und dazu braucht es eben auch in Brüssel Phantasie, Pragmatik und Vernunft – und keinen rigiden Dogmatismus.