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Freihandel
Schluss einer regelbasierten Freihandelsordnung?

Volkswirte und liberale Politiker aus Russland und Deutschland diskutieren beim liberalen Freihandelsforum in Hamburg
Freihandel

Bei der Debatte ging es um die Zukunft des Freihandels.

© photothek/Benjamin Diedering

Zum Auftakt einer breiteren Debatte um die Zukunft des Freihandelns trafen sich am Mittwoch Volkswirte und liberale Politiker aus Russland und Deutschland beim liberalen Freihandelsforum in Hamburg. Wie der freie Handel vor Protektionismus, Globalisierungsgegnern und Antikapitalismus gerettet werden kann und ob sein heutiger Widerstand selbst verursacht ist und wie man ihm begegnen sollte, waren einige Anknüpfungspukte der Diskussion. 

Während US-Präsident Donald Trump in großen Teilen der Welt als vermeidlich wahnsinniger Zerstörer internationaler Institutionen wahrgenommen wird, folgen viele seiner handelspolitischen Maßnahmen einer klaren Logik bestimmte heimische Industriesektoren (auf Kosten anderer) vor dem Weltmarkt zu schützen und amerikanische Handelsinteressen, im Schwerpunkt gegen China, durchzusetzen. Diese Logik passt zum konservativen Motto seiner am 18. Juni 2019 eröffneten Kampagne zur Wiederwahl: „Keep Amerika great“. Aber auch marxistische Kapitalismuskritik ist tief in der Gesellschaft verankert, wie man am einzigen Hauptpodium zu Wirtschaft und Handel auf dem Evangelischen Kirchentag 2019 ablesen kann, dass nach Berthold Brecht „Wär‘ ich nicht arm, wärst Du nicht reich“ getauft wurde. Während sich linke Kritik auf Fragen von Verteilungsgerechtigkeit richtet, greift Donald Trump als erster Präsident der westlichen Welt vehement den Konsensus an, der seit den 90er Jahren quer um die Welt exportiert wurde, dass Globalisierung und freie Marktwirtschaft mehr Wohlstand für mehr Menschen bietet. 

Prof. Thomas Straubhaar stellte eindrücklich dar, wie Reformen zu Marktwirtschaft und Freihandel seit den 90er Jahren den schnellsten und größten Anstieg von Wohlstand in der Geschichte der Menschheit eingeläutet hatten. Aber gleichzeitig seien mit dem Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) und später der Welthandelsorganisation (WTO) Institutionen geschaffen worden, die nicht mehr zu heutigen Kräfteverhältnissen des Welthandels passten, womit Donald Trump mehr Symptom der Auflösung, als ihr Initiator sei. Prof. Alexander Knobel, Direktor des Moskauer Welthandelsinstituts, bestätigte diese Zusammenhänge. Er sagte aber auch, dass mit dem Wachstum ab den 90er Jahren gleichzeitig Entwicklungen von IT-Dienstleistungen zu sehr viel radikaleren Steigerungen der Arbeitsproduktivität geführt hatten, als die Einkommen der arbeitenden Bevölkerung angestiegen waren. Der haushaltspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Otto Fricke bestätigte die Kritik und schlug vor, im Dienste der Gerechtigkeit auch unser auf Einkommensbesteuerung fokussiertes Steuersystem zu überdenken. 

Otto Fricke warb aber für die Erfolge des Freihandels und erläuterte, dass unsere Wirtschaft, der Handel, persönliche wie internationale Beziehungen von Vertrauen abhängig seien. Vertrauen entstünde vor allem darüber, dass bei wiederkehrenden Interaktionen mit einem Gegenüber entweder einer etwas gibt, obwohl er nicht muss, oder verzichtet etwas zu nehmen, obwohl er es könnte. Diesen philosophischen Exkurs übertrug er auf unsere regelbasierte Handelsordnung, wie auf das Verhältnis zwischen Russland und der EU, das spätestens seit Krim und Krieg in der Ukraine tief gestört sei. Der ehemalige liberale russische Wirtschaftsminister Andrej Netschaew warb mit einem Blick auf die Geschichte, in der immer „Freihändler“ gegen Protektionisten gestritten hätten, einen gewissen Optimismus zu bewahren. Denn: Vertreter freiheitlicher Systeme haben sich in der Wirtschaft immer wieder als erfolgreicher durchgesetzt, für Wohlstand zu sorgen. 

Michael Kruse, Abgeordneter und Fraktionsvorsitzender der FDP-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, beschrieb die enge Verschränkung von Handel und Politik in Hamburg, die auch teilweise erkläre warum sich bei manchem aus einem, auch typisch-hamburgerischen, Gerechtigkeitsempfinden Widerstand gegen Freihandel bilde. Auch bei den Protesten gegen die G20 in Hamburg wäre es nur eine kleine Minderheit von angereisten Demonstranten gewesen, die 2017 die Gewalt in der Stadt eskaliert hatten. Während man Gewalttäter strafrechtlich verfolgen müsse, müsste man im Rest der Bevölkerung für eine Haltung der Offenheit, Freiheit und Verantwortung werben. In Hamburg mit über 30,000 Handelsunternehmen, auf deren Erfolg der Reichtum der Stadt gewachsen war, bleibe die Wirtschaft weiter maßgeblich davon abhängig unter welchen Regeln und wie frei Handel weiter stattfinden könne.

Im Rahmen der Diskussion wurden Themen angeschnitten, wie man nach der Annexion der Krim und dem Krieg im Donbas überhaupt wieder Vertrauen mit dem russischen Präsidenten aufbauen könne, welchen Sinn und welche Wirkung Sanktionen haben, inwieweit die digitale Revolution zu weiterer weltweiter Integration und Segregation führe, wie man mit der drängenden Frage des Klimawandels und Fragen von Menschenrechten in Handelsabkommen eingehen könne, sowie welche Zukunft Nord Stream 2 habe. Prof. Thomas Straubhaar warb dafür, aufgebrachte Themen auch mit in das für Herbst geplante Freihandelsforum in Hamburg einzubringen. Auch das Gaidar-Naumann-Forum in Berlin am 22. November 2019 werde eine Diskussion um die Zukunft des Welthandels weiterführen. Der schottische Nationalökonom und Moralphilosoph Adam Smith hatte den Erfolg des Freihandels seit den 90er Jahren in seinem Resümee vorausgesagt: „Je größer der Markt, desto größer der Wohlstand für alle“. Aber es wird wichtig sein, wie glaubwürdig die Vertreter des Freihandels auch in der Zukunft Fragen von Gerechtigkeit, Menschenrechten und Klimawandel beantworten können. 

 

Julius von Freytag-Loringhoven, Leiter des Stiftungsbüros in Moskau