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Freihandel
Mehr sein als nur Zuschauer

Gabriel Felbermayr im Interview über das Comeback des Protektionismus
Gabriel Felbermayr

Gabriel Felbermayr leitet das ifo Zentrum für Außenwirtschaft am ifo Institut in München und ist Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität.

© Enno Kapitza

Mit seiner rabiaten Handelspolitik stößt US-Präsident Donald Trump viele Partnerländer vor den Kopf. Nach Einschätzung des österreichischen Wirtschaftswissenschaftlers Gabriel Felbermayr eröffnet das aber auch neue Spielräume. In liberal spricht er über die Gründe für das Comeback des Protektionismus und beschreibt, mit welchen Strategien Deutschland seine Handelsinteressen wahren kann.

liberal: Es gibt in der öffentlichen Diskussion immer wieder das pauschale Urteil, protektionistische Tendenzen seien auf dem Vormarsch und die Wohlfahrtseffekte des Welthandels stünden auf dem Spiel. Selten wird das aber konkret belegt. Ich frage Sie als Wissenschaftler: Wie ist es um den Welthandel bestellt?

Gabriel Felbermayr: Vielleicht nicht so schlecht, wie manche das glauben machen wollen, aber das Klima in der Weltwirtschaft hat sich in den vergangenen Jahren durchaus verschlechtert. Ich denke, das Jahr 2008 war in diesem Zusammenhang eine Zäsur. Seitdem hat sich etwas in den Köpfen verändert. Wir haben bis dahin eine historisch wirklich einzigartige Entwicklung gesehen, einen großen, mächtigen Globalisierungszug. Eine ganze Reihe von Ländern sind nach dem Ende des Kommunismus integriert worden in die Weltwirtschaft – China ist zuallererst zu nennen, aber auch die Staaten in Osteuropa. Viele Schwellenländer haben sich geöffnet, Brasilien zum Beispiel oder Indien. Kaum einer weiß, dass der Subkontinent mal protektionistische hohe Zölle hatte, die mittlerweile deutlich abgesenkt wurden. Es gab um die Jahrtausendwende einen Boom bei regionalen Handelsabkommen, überall in der Welt. Als wir in der Phase wirklich dramatisch voranschreitender Globalisierung waren, kam 2008 quasi aus dem Nichts der Knick. Die Pleite von Lehmann Brothers, eine Weltwirtschafts- und Finanzkrise – das hat das Vertrauen erschüttert in die Funktionsweise von Märkten ins gesamt. Das hat bei vielen einfachen Menschen, aber auch Entscheidungsträgern das Gefühl ausgelöst, man könne sich mit einer stärker national ausgerichteten Wirtschaftspolitik besserstellen. Jedenfalls ist in den vergangenen Jahren schon recht deutlich zu beobachten, dass die Handelsbarrieren mehr werden. Das ist nicht leicht transparent zu machen, weil es keine detaillierten Zahlen dazu gibt, aber gleichwohl gibt es diese Tendenz. Es gibt an der Universität in St.Gallen einen Kollegen, der seit 2008 in einer großen Anstrengung versucht, alle Gesetzestexte zusammenzutragen, mit denen der freie Handel mit Gütern und Dienstleistungen eingeschränkt oder ausländische Anbieter diskriminiert werden – und er wird sehr, sehr häufig fündig. Der Trend ist relativ klar: Protektionismus gab es schon vor Donald Trump und seinen Tweets. Auch der in Deutschland so verehrte Barack Obama hat das mit Buy American Act, Dodd-Frank Act und anderen Dinge betrieben. 

Jetzt ließe sich argumentieren, dass die Finanzkrise zu einem starken makroökonomischen Schock geführt hat. Zum Beispiel ist die Abwrackprämie hier in Deutschland ja letztlich auch aus der Idee geboren worden, mit solchen Impulsen in irgendeiner Art und Weise die stark zurückgehende binnenwirtschaftliche Nachfrage aufzufangen. Nachdem sich die Weltkonjunktur wieder gefangen hat und es in den vergangenen Jahren vergleichsweise gut lief im Welthandel, hätte man das theoretisch wieder zurückdrehen können. Warum ist es dazu nicht gekommen?

Na ja, teilweise wurde es schon zurückgedreht. Viele Programme liefen einfach aus wie zum Beispiel die Abwrackprämie. Aber ja: Was fehlt, war beziehungsweise ist ein neuer Liberalisierungsschub, ein Weitermachen dort, wo man 2008 aufgehört hatte. Es hat sich eben das Denken verändert. Das Vertrauen ist gesunken, dass weite Bevölkerungsschichten profitieren, wenn Handelsbarrieren abgebaut werden. Viele Faktoren haben zu diesem Wandel beigetragen. Das Vertrauen in die Marktwirtschaft ist per se kleiner geworden und offene Märkte verheißen ja etwas Marktwirtschaftliches, Freiheitliches. Dazu kommt, dass in der Krise populistische Kräfte gestärkt wurden in vielen Ländern. Diese Kräfte setzen auf einfache Rezepte. Auch in Deutschland zum Beispiel haben wir im Grundsatz eine sehr eurokritische und europakritische Landschaft bekommen und es gibt eine „Germany First“-Stimmung. In vielen Köpfen hat sich die Vorstellung eingenistet: Die Eurorettung hat uns übervorteilt, in der Flüchtlingspolitik ist es so und in der Handelspolitik läuft es nun auch nicht anders – eine Vorstellung aus dem Jahr 2008 heraus, dass der kleine Mann für eine globale Elite bezahlt und er selbst immer nur die Nachteile serviert bekommt.

Warum ist das so? 

Die Geschwindigkeit des Wandels war einfach sehr hoch zwischen 1990 und 2008. In dieser Zeit sind ganze Industrien verloren gegangen. Zwar sind auch Industrien neu entstanden – aber eben in ganz anderen Regionen und für andere Personen. Die Verlierer auf der einen Seite sind nicht die Gewinner in den Sektoren, die andererseits neu entstehen. Diese Phase der schnell voranschreitenden Globalisierung trägt in sich auch den Keim für den Wunsch nach Entschleunigung, weil viele Menschen einfach überfordert sind. Parallel dazu haben wir in Europa eine zunehmende Überalterung. Auch das ist per se eine Bremse, denn immer mehr Menschen fragen sich in ihrem zunehmenden Alter: Was habe ich davon? Wenn die Regierung mit regulatorischen Maßnahmen versucht, Uber aus deutschen Städten zu halten, dann ist das für die, die mit dem Smartphone nicht viel anfangen können, kein Problem. Die Folge ist, dass in Deutschland zunehmend eine Globalisierungsskepsis einhergeht mit einer Technologiefeindlichkeit – und das hat etwas mit der Alterung der Gesellschaft zu tun.

Weil Sie auf die Demografie ansprechen: Die Gruppe der Alten, der über 60-Jährigen, wächst und wird eine immer bedeutendere Wählergruppe. Spielt Klientelpolitik der Parteien dafür eine Rolle? 

Natürlich, ganz massiv. Klientelpolitik ist überall sichtbar. Wenn wir uns zurückerinnern an die TTIP-Diskussion, war es immer gut, sich mal die cui-bono-Frage zu stellen. Wem nützt das eigentlich? Wenn wir zum Beispiel auf einer Abschottung der Kulturindustrie beharren, wem nützt das eigentlich? Ist das wirklich zum Vorteil der Bevölkerung, oder sind das nicht sehr spezielle Gruppierungen, die sehr häufig in geschützten Räumen agieren? Verbeamtete Kulturschaffende, die sich ihre sicheren Räume bewahren wollen? Und das kann man in vielen anderen Teilbereichen der TTIP-Diskussion wiederfinden. Mein Lieblingsbeispiel: In Österreich gibt es im Prinzip ein Duopol im Lebensmitteleinzelhandel. Einer dieser Duopolisten hat sich ganz stark gegen TTIP gewehrt und ist mit der österreichischen Kronenzeitung, einem Boulevardblatt, de facto einen Pakt eingegangen. Wenn man sich fragt: Warum macht er das eigentlich, kommt man schnell zu dem Verdacht, dass der zusätzliche Wettbewerb, den TTIP gebracht hätte, auf die Margen gedrückt hätte. Und die Margen im Lebensmitteleinzelhandel in Österreich sind deutlich höher als in Deutschland... Es gab eine unheilige Allianz zwischen denen, die TTIP aus ideologischen Gründen ablehnen, und denen, die sagen: Wachstum ist aus ökologischen Gründen sowieso schlecht. Da gibt es ja viele Argumente, die per se nicht absurd sind. Aber diese Gruppierungen sind dann eine Allianz eingegangen mit sehr klaren betriebswirtschaftlichen Interessen.

Der Impuls in der heutigen Zeit ist sehr schnell da, vor allen Dingen für uns Europäer, immer sehr schnell auf Donald Trump zu zeigen. Ist er derjenige, der all diese Dinge nur auf den Punkt gebracht hat und dann letztlich den letzten Schritt gegangen ist? 

Also, er bewegt sich auf einem Nährboden, wenn man es so will, auf dem sich auch viele andere Populisten bewegen. Was ihn wohl auszeichnet, ist, dass er keine Hemmungen hat, Tabus zu brechen. In der Handelspolitik ist das besonders klar, weil da bisher bestimmte Protokolle vorgeherrscht haben, wie man miteinander umgeht und Dinge vereinbart. Letztlich sind das Diplomaten, die sich dafür treffen. Der amerikanische Handelsbeauftragte hat den Titel eines Botschafters! Ähnlich ist das in Europa. Es sind also Diplomaten, die sich treffen, mit sehr gediegenen Umgangsformen irgendwo in Luxushotels, und die dann ein paar Tage und drei Nächte zusammenhocken, um eine Lösung zu finden – und dabei nicht permanent tweeten und vor die Presse gehen und um sich schlagen. Auch in dieser Zeit gab es durchaus ein America First, und das Äußern von Drohungen und auch das Kämpfen mit harten Bandagen war durchaus üblich – nur hat die Öffentlichkeit nichts davon erfahren. Nichts hat den geschlossenen Raum verlassen. Was Trump tut, ist, alles in die Öffentlichkeit zu tragen. Das ist vielleicht der größte Unterschied zu der Zeit vor ihm. Jede halbe Stunde kommt ein neuer Tweet von ihm. Mit dem bricht er dann ganz viele Brücken ab. Es gibt dann kein Zurück mehr. Denn wenn man einmal eine Drohung in die Welt gesetzt hat, die dann über CNN und Fox News verbreitet wurde und von 300 Millionen Menschen gelesen oder gesehen wurde, kann man schlecht eine Stunde später, wenn sich in der Dynamik der Verhandlung etwas Neues ergeben hat, sagen: Ich rudere zurück. Das wäre mit Gesichtsverlust verbunden. Deswegen hat dieses alte Protokoll schon seine Sinnhaftigkeit gehabt. 

Wenn der US-Präsident derjenige ist, der eine Art von Eskalationsspirale in Gang gebracht hat, aus der er schlecht ohne Gesichtsverlust rauskommt, um den Weg zurückzufinden, dann drohen sich die Dinge nur noch im Kreise zu drehen und einzugraben, ohne dass da irgendjemand noch etwas von hat. Es geht nur noch darum, recht zu haben. Und die Frage ist: Wie kommt man aus dieser unseligen Situation wieder raus? Die Wohlfahrtseffekte der Globalisierung stehen doch auf dem Spiel.

Absolut! Wir haben sehr viel zu verlieren, das muss man in aller Deutlichkeit sagen. Wenn alte Tabus, die Schutzfunktion hatten, aufgegeben werden und es eine Rückkehr ganz offensichtlicher Machtpolitik in der Handelspolitik gibt und die Welthandelsorganisation dadurch dauerhaft Schaden nimmt oder gar zerstört werden sollte, dann würden damit die Grundlagen unseres Wohlstands gefährdet werden. Gerade Deutschland ist davon betroffen. Viele Schwellenländer sind davon betroffen. Andererseits muss man einfach auch ein paar Dinge eingestehen. Erstens, die Welthandelsorganisation, die seit 1995 existiert, wurde nach achtjährigen Verhandlungen gegründet. Wenn man zurückrechnet: Die Verhandlungen wurden 1986 begonnen. Die Welt damals sah dramatisch anders aus als heute. Die WTO wurde unter der Annahme geschaffen, dass Francis Fukuyama mit seiner Theorie des „End of History“ recht hat. Also, dass alle Länder, alle Gesellschaften am Ende des Tages ziemlich ähnlich aussehen werden und hinkonvergieren zu einem marktwirtschaftlich liberalen, demokratischen Modell. Diese Grundannahme, das muss man heute sagen, ist nicht richtig gewesen. China konvergiert nicht. Viele andere Länder, die der WTO spät beigetreten sind, wie Russland etwa, divergieren. Das heißt: Die WTO hat ein fundamentales Problem. Sie hat, seitdem sie existiert, es nicht geschafft, das Regelsystem, das unter falschen Annahmen aufgestellt wurde, anzupassen. Klar ist: Es gibt mächtige Spieler, die kein Interesse haben an Reformen. Der andere Punkt ist: Das System, wie wir es heute haben, ist ein asymmetrisches, was die Höhe von Handelsbarrieren angeht. Und das hat Auswirkungen auf die Art und Weise, wie man überhaupt miteinander verhandeln kann.

Die Geschwindigkeit des Wandels war einfach sehr hoch zwischen 1990 und 2008. In dieser Zeit sind ganze Industrien verloren gegangen. Zwar sind auch Industrien neu entstanden – aber eben in ganz anderen Regionen und für andere Personen.

Gabriel Felbermayr
Gabriel Felbermayr

Nämlich welche?

Die USA haben im Durchschnitt die niedrigsten Zölle der Welt, für eine große Volkswirtschaft gesehen. Wenn man so niedrige Zölle hat – wie kann man mit einem Gegenüber wie der Europäischen Union oder China erfolgreich eine Absenkung von deren Zöllen verhandeln? Die Verhandlungen im Welthandel haben eigentlich immer so ausgesehen: Man sagt: Ich gebe dir einen besseren Marktzugang und du gibst mir im Gegenzug dafür einen besseren Marktzugang bei dir. Ein Austausch von Konzessionen. Wenn ich aber nichts mehr herzugeben habe, weil mein Marktzutritt schon frei oder fast frei ist in vielen Bereichen, wird mir mein Verhandlungspartner keine Zugeständnisse machen. Warum sollen zum Beispiel die Chinesen den Zugang ausländischer Investoren verbessern, wenn sie im Ausland annähernd perfekten Zugang bereits haben, vor allem in Europa? Wir hier haben nahezu keine Barrieren mehr – was ja an sich eine gute Sache ist. Aber der Haken ist: Ich habe in Verhandlungen kein Druckmittel mehr, um mein Gegenüber dazu zu bewegen, Zugeständnisse zu machen. Diese asymmetrische Situation muss man sehen.

Wie komme ich aus so einer asymmetrischen Situation heraus?

Das Protokoll bisher war immer so, dass man sagt, wir setzen uns hin, wir verhandeln. Wenn das scheitert, fallen wir zurück auf den Status quo, den die WTO-Länder 1995 beim Beginn der WTO ausgehandelt hatten. Diese Spielregel hat Trump gebrochen. Das ist nicht irrational, weil er sieht: Anders komme ich nicht weiter. Die Chinesen lassen mich immer scheitern bei den Verhandlungen, weil ich ihnen im Prinzip nichts anbieten kann. Wie kommt man da raus? Indem man sagt: Wir fallen nicht zurück auf den Status quo. Wir fallen zurück in eine Situation des Handelskriegs. Wo bei einem Scheitern der Verhandlungen eine Seite mit einem Hochfahren von Barrieren agiert. Diese Drohung hat gewirkt – gegenüber Südkorea, Mexiko, Kanada. Und sie wirkt offensichtlich auch gegenüber Europa, weil die Europäer trotz der Bedrohung mit Zöllen und der schon existierenden Zölle auf Aluminium und Stahl bereit sind, mit den Amerikanern zu verhandeln. Es zeichnen sich sogar erste Spuren in der Wirksamkeit mit China ab, weil die Chinesen beginnen, weitere Sektoren zu öffnen und den Joint-Venture-Zwang bei Investitionen einzuschränken. Da bewegt sich noch nicht viel, aber es scheint in diese Richtung zu gehen. Wenn sich das Problem der Asymmetrie nicht lösen lässt, dann heißt es: Statt immer wieder zurück auf den Status quo zu fallen, stellen wir den Status quo infrage.

Das mag einerseits rational sein. Andererseits birgt das doch aber auch Gefahren, weil der Status quo, der die Errungenschaften vieler Jahrzehnte zusammenfasst, brüchig wird, oder? 

Das ist zweifellos richtig. Aber man muss den Status quo infrage stellen, Europa muss das auch tun. Wenn wir wollen, dass zum Beispiel die Chinesen fairer spielen, zum Beispiel bei Investitionen, dann müssen wir uns fragen: Wie können wir so Druck aufbauen, dass die Chinesen bereit sind, Zugeständnisse zu machen? Auf Basis der heute gültigen Regeln kann ich das nicht. Man muss also eine Drohkulisse entstehen lassen, was Europa ja auch tut.

Gabriel Felbermayr

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© Tom Luther

Was aber auch bedeutet, dass ein Punkt kommen wird, an dem eine Seite klarmachen muss, dass sie es auch ernst meint. 

Glaubwürdigkeit ist auf jeden Fall ein großes Thema. Rund um die Doha-Runde war das zum Beispiel so, als es darum ging, die WTO weiterzuentwickeln. Die Glaubwürdigkeit der einzelnen Angebote und auch der Drohungen, die ausgesprochen wurden, waren schlicht und ergreifend nicht gegeben. Trumphat mit Glaubwürdigkeit ein kleineres Problem. Weil er der Welt sehr klarmacht, dass er als US-Präsident auch das umsetzt, was er androht – selbst wenn das für seine eigene Volkswirtschaft möglicherweise schädlich sein sollte Durch das deutliche Signalisieren, dass die Drohungen nicht einfach nur Geschwätz sind, wie das vor seiner Amtszeit oftmals der Fall war, weil am Ende nichts passiert ist, weil es letztlich leere Drohungen waren, aus diesem Dilemma hat er sich herausgearbeitet.

Hat Trump also die Spieltheorie verstanden?

Das will ich ihm pauschal nicht unterstellen, aber intuitiv weiß er schon, wie man Deals macht und andere unter Druck setzt, auch mit unlauteren Mitteln, und das Recht des Stärkeren einsetzt. Das sind alles unschöne Dinge, die nicht zu unserem Wertekanon gehören. So gehen wir nicht miteinander um im Völkerrecht. Aber de facto ist das der Weg, wie er sich für amerikanische Interessen einsetzt. Und manchmal sind seine Interessen auch unsere Interessen. Wenn es ihm gelingt, China ein Stück weit aufzubrechen, dann haben auch wir Europäer etwa davon. Deswegen muss man ein bisschen vorsichtig sein, Trump als Cowboy hinzustellen, der wild um sich schießt, ein wenig irre erscheint, der sich gefällt, wenn überall Rauch aufsteigt. Das ist vielleicht auch der Fall. Aber durch sein Auftreten entstehen neue Spielräume. Das kann durchaus auch positiv sein. Aber es ist hochriskant – das ist auch klar.

Das hat im Kern etwas Hoffnungsvolles. Aber um bei der Spieltheorie zu bleiben: Das erinnert ein wenig an den Pokertisch. Ein Spieler erhöht den Einsatz. Dann ist der Nächste am Zug und muss nachziehen oder ist raus. Das kann die Runde durchspielen, bis es heißt: all in! Wie lässt sich verhindern, dass es am Ende nur Verlierer gibt, weil die Situation immer mehr eskaliert?

Es scheint so, dass Trump keine Exit-Strategie hat, was China angeht. Er hat aber, was Korea, Kanada, Mexiko und Europa angeht, zumindest in Teilen erreicht, was er wollte. Er hat bei der Reform von Nafta nicht alles bekommen, was er wollte – aber doch Teile davon. So kann er nach Hause gehen und sagen: Ich habe einen großen Verhandlungssieg errungen. Die Lösung mit China besteht darin, dass beide Seiten gesichtswahrend aus diesem Konflikt herauskommen und für beide Seiten das Abschließen eines neuen Deals besser ist als das Weiterführen des Konflikts oder sogar eine weitere Eskalationsspirale.

Die Frage ist: Wie lange dauert es, bis dieser Punkt erreicht ist und sich ein Lösungsansatz herauskristallisiert? 

Beide Seiten können sehr lange spielen, weil der Berg an Chips – wenn wir beim Pokerspiel bleiben wollen – sehr groß ist. Da haben beide Spieler ganz tiefe Taschen. Die USA sind eine wirklich gut diversifizierte Volkswirtschaft, die fast alles außer Seltenen Erden besitzt. Sie ist auf Handel eigentlich nicht angewiesen. Der Schaden eines Handelskrieges ist daher für die USA relativ überschaubar. Es gibt einen Schaden, aber der ist im Vergleich zu kleinen, offenen Volkswirtschaften wie Deutschland oder den Niederlanden gering. Für China gilt das auch. Das Land hat zwar kein Erdöl, kein Erdgas. Aber das Land hat es dennoch geschafft, sich in den vergangenen Jahren aus einer gigantischen Exportabhängigkeit zu befreien. Das ist von vielen unbemerkt passiert. Heute steht China sehr solide da und ist viel weniger erpressbar etwa durch Amerika oder Japan als früher.

Also haben wir es mit zwei Spielern zu tun, die lange durchhalten können und so lange den Rest der Welt in Schrecken versetzen, weil sie mit relativ geringen Schäden herauskommen?

Richtig. Der Anteil am Weltwirtschaftsprodukt, der sozusagen im Feuer steht, ist groß und daher werden viele andere Länder, die Zulieferer sind in die Wertschöpfungsketten im ostasiatischen oder amerikanischen Raum, mit hineingezogen. Da es keine Exit-Strategie gibt, wird erst einmal noch weiter gepokert. Das kann noch lange dauern, bis ein Erfolg sichtbar wird – durchaus länger, als vielleicht die Amtszeit oder gar die Amtszeiten eines Donald Trump hergeben.

Die EU hat eigentlich überhaupt keine schwache Position, wir sind nicht nur Zuschauer. Es ist vielleicht sogar so, dass Europa deswegen nicht direkt am Tisch sitzt, weil wir sozusagen ein Stück weit über diesem Kleinkrieg drüberstehen.

Gabriel Felbermayr
Gabriel Felbermayr

Am Tisch sitzen aber ja auch noch Spieler wie zum Beispiel Deutschland oder Kanada, also kleinere oder mittlere Volkswirtschaften, die teilweise ganz andere Interessen haben. Der Berg an Chips ist bei ihnen nicht so groß. Sie können und wollen daher auch nicht unbedingt mitziehen. Auf der anderen Seite ist es auch nicht eine unbedingt gute Position, wenn das Spiel komplett an ihnen vorbeiläuft und sie nur Zuschauer sind. Wäre es eine Option, wenn sich diese Spieler zusammentun und, um im Bild zu bleiben, ihre Chips zusammenwerfen, um dadurch eine gewisse Kraft zu haben und gehört zu werden, aber auch um über Interaktion in diesen Zweikampf mit eingreifen zu können?

Das ist die einzige Option, die kleinere Volkswirtschaften haben. Dies ist auch im Prinzip der Grund, warum es die Europäische Zollunion gibt. Wir haben ja eine gemeinsame Handelspolitik genau aus diesem Grund, weil Deutschland zu klein ist, um mit seinen vier Prozent der Weltproduktion und dreieinhalb Prozent der Weltnachfrage wirklich zu punkten in einem Spiel, in dem China und die USA den Ton angeben. Aber gemeinsam ist die Europäische Union schon sehr viel stärker, wir sind die wichtigste Exportmacht der Welt. Das heißt, im Prinzip ist es so, dass eigentlich die Schlüsselrolle in der handelspolitischen Diskussion Europa zukommt – etwa wenn sowie jetzt die Nummer zwei und Nummer drei sich in die Haare kriegen. Europa hat außerdem in den vergangenen Jahren erfolgreich Handelsabkommen geschlossen – gerade eben mit Japan. Auch mit Kanada und Mexiko hat Europa Abkommen, sodass es für sich genommen nicht nur eine sehr erhebliche Macht darstellt, sondern auch ein Netzwerk besitzt. Das EU-Japan-Abkommen ist das größte Freihandelsabkommen, das bisher in der Welt überhaupt geschlossen wurde, was das Bruttoinlandsprodukt der beteiligten Partner angeht. Dieses Netzwerk macht Europa noch stärker. Die EU hat eigentlich überhaupt keine schwache Position, wir sind nicht nur Zuschauer. Es ist vielleicht sogar so, dass Europa deswegen nicht direkt am Tisch sitzt, weil wir sozusagen ein Stück weit über diesem Kleinkrieg drüberstehen. Weil wir mit unserer eigenen handelspolitischen Macht durchaus auf beiden Seiten und mit anderen Staaten, mit Drittstaaten, unsere Interessen verteidigen können – unter der Bedingung, dass Europa in der Lage ist, diese Macht auch einzusetzen. Aber genau das ist leider Gottes schwierig, weil die EU-Mitgliedsländer divergierende Interessen haben. Die osteuropäischen Länder schauen sehr stark nach China, weil sich China bei ihnen ein Stück weit eingekauft hat. Das ist ein Problem. Dann haben wir Länder, die sehr stark nach Amerika schauen, weil sie sich davon Schutz gegen Russland versprechen – die baltischen Staaten zum Beispiel. Dann haben wir Länder wie Frankreich, die von Grund auf sehr skeptisch sind, was Freihandelsabkommen angeht – vor allem, wenn sie in den Agrarbereich gehen. Kurzum: Wir haben in Europa diese sehr unterschiedlichen Interessenslagen. Das ist das eigentliche Problem. Wenn Europa das in den Griff bekommen würde, hätten wir gemeinsam mit Partnern wie Japan, Südkorea, Kanada und anderen Ländern, mit denen wir auch verbündet sind, sehr, sehr gute Karten.

Gabriel Felbermayr leitet das ifo Zentrum für Außenwirtschaft am ifo Institut in München und ist Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität. Im März 2019 wird er der nächste Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel. Er sieht die Zunahme des Protektionismus mit großer Sorge. Damit Deutschland weiterhin von offenen Weltmärkten profitieren kann, braucht es für ihn eine ambitionierte Reform der Welthandelsorganisation, aber auch innenpolitisch die richtigen Weichenstellungen in Deutschland.

Dieser Artikel ist zuerst erschienen im liberal-Magazin 04.2018.