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Freedom Fellow
Alexander Görlach: "Empathie ist die Grundlage guter Politik"

Interview mit dem Freedom Fellow Alexander Görlach über sein neues Projekt
Görlach

Alexander Görlach

© David Elmes

Alexander Görlach ist der neue Freedom Fellow der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Als Fellow widmet er sich der Frage, wie robust und zukunftsfest Demokratie ist. Im Interview mit freiheit.org spricht er über sein neues Projekt.

Herr Görlach, Sie sind der neue Freedom Fellow der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Was bedeutet das?

Alexander Görlach: Ich habe mich sehr über diesen Vorschlag gefreut, denn wir sehen ja, leider, dass Freiheit als wichtigste Voraussetzung für ein gutes und gelingendes Zusammenleben heute von Populisten überall auf der Welt infrage gestellt wird. Freiheit „passiert“ aber nicht von selbst, sondern muss erarbeitet und dann auch erhalten werden. Am besten wird das heute ermöglicht im Rahmen der liberalen Demokratie. Der Frage, wie wir diese robust und zukunftsfest machen, widme ich mich in meinem neuen Buch “Homo Empathicus”, das den Untertitel trägt “Von Sündenböcken, Populisten und der Rettung der Demokratie”. Mein Projekt als Freedom Fellow setzt unmittelbar auf diesem Buch auf, an dem ich in den vergangenen Jahren, in denen ich an den Universitäten Harvard und Cambridge zu Gast war, gearbeitet habe.  

Sie arbeiten - als Freedom Fellow - an der Publikation "Ethik des Weltbürgers". Worum geht es dabei?

Die Gegner der Freiheit diffamieren heute – das ist in der Geschichte übrigens nichts Neues – jene, die unter der Maßgabe von Empathie Politik gestalten, als “Kosmopoliten”, als “Elite”, als “Heimatlose”. Dafür gibt es keinen Anhaltspunkt. Jeder kann den Mitmenschen als solchen wahrnehmen und anerkennen, dafür braucht es keine Senator-Vielfliegerkarte oder einen Harvardabschluss. Erst wenn man bereit ist, den anderen zu verstehen, kann man gemeinsam Antworten auf drängende Fragen formulieren. James Fishkin an der Universität Stanford macht das in seinem Modell der "deliberativen Demokratie” vor. Dort werden richtige Fragen, die echte Menschen betreffen, diskutiert und auf lokaler Ebene Entscheidungen herbeigeführt. Entscheidend dafür, dass das klappt, ist, dass in seinem Parlament wirkliche Repräsentanten der jeweiligen Regionen oder Städte sind. Am Ende kommt dabei heraus, dass Menschen bereit sind, Kompromisse einzugehen, Abstriche an ihrer eigenen Position zu machen, wenn dafür etwas Besseres für die Gesamtheit herauskommt. Ganz anders die Populisten. Schauen Sie doch nur zur AfD: Herr Gauland, nach dem Rentenkonzept seiner Partei gefragt, zuckt mit den Achseln. Da geht es nur um Ressentiment, den Gegner der Empathie. Mit Ressentiment können sie aber nicht gestalten, sondern nur Sündenböcke benennen, die von den eigentlichen Problemen ablenken sollen. 

Können Sie ein Beispiel für Ethik in der Politik nennen?

Das kommt darauf an, wie viel Zeit Sie haben! Alles in der Politik sollte heute ethisch sein. Dabei geht es nicht so sehr darum, sich im Bereich des theoretischen zu bewegen, wie Immanuel Kant oder anderen große Philosophen, sondern für Fairness und Gerechtigkeit zu sorgen – übrigens auch zwei Werte, die sie nur mit Empathie erreichen können. Viele Menschen waren nach der Finanzkrise 2008 von Barack Obama enttäuscht, obschon dieser mit seiner Regierung viele Hunderttausend neue Arbeitsplätze schaffen konnte. Sie nahmen ihm übel, dass kein Verantwortlicher für die Banken-Pleite zur Rechenschaft gezogen wurde, und dass die maroden Banken gerettet, die überschuldeten Hausbesitzer aber auf die Straße gesetzt wurden. Das wurde als unfair betrachtet. Einer der Gründe, warum heute Donald Trump im Weißen Haus sitzt. Ökonomie war einmal, auch unter Adam Smith, eine Disziplin der Moralphilosophie. Warum? Weil es dabei um die Güter und um ihre Verteilung geht, die die Menschen zum Leben brauchen. Die Krise der Demokratie mag daher als eine moralische Krise verstanden werden. Wir kommen ihr nur bei, wenn wir die Frage beantworten, wie wir fair und gerecht miteinander leben wollen. Im Katechismus stand als erste Frage: “Wozu sind wir auf Erden?”. Das ist genau unsere Frage heute: Was ist denn unser “um zu”, unser “warum”, weswegen wir als Menschen in einer Gesellschaft zusammen leben wollen und was sind unsere Ziele, die wir dabei in den Blick nehmen? 

Warum ist Empathie so wichtig für moderne Politik?

Die gesamte Weltordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurde, maßgeblich übrigens unter den Vereinigten Staaten und auf der Grundlage, die US-Präsident Roosevelt unter seinen berühmten vier Freiheiten zusammengefasst hat, ist eine, die auf Kooperation beruht. Das gesamte europäische Projekt beruht ebenfalls auf diesem Prinzip der Kooperation, und die Iteration der Demokratie, die wir heute leben und die wir “liberal” nennen, ebenfalls. Wir versuchen, den anderen, seine Beweggründe und seine Handlungsabsichten, zu verstehen, um sie gemeinsam, im öffentlichen, im parlamentarischen oder im medialen Raum zu diskutieren. Sehen Sie im Hinblick auf die globalen Flüchtlingsbewegungen, von den Populisten wird immer gesagt “Wir können doch nicht ganz Afrika aufnehmen!”. Zuerst einmal: Das hat nie jemand gefordert! Aber viel wichtiger: Wir müssen doch lernen und verstehen, warum Menschen auf der Flucht sind oder sich auf lebensgefährliche Wanderschaft in eine bessere Zukunft begeben. Eine solche Empathie hat doch nichts mit dem von Rechts verschrieenen “Gutmenschentum” zu tun, was ja als Gefühlsduselei gebrandmarkt und entsprechen verhöhnt wird. Empathie bedeutet beides: Verstand und Emotion gemeinsam zu befragen.  

Populisten sind also nicht emphatisch?

Genau, sie sind es nicht. Wenn ein AfD-Politker demonstrativ im Landtag sitzen bleibt, wenn einem durch Kopfschuss ermordeten, eigentlich ja demokratisch-parlamentarischen, Kollegen gedacht wird, dann verhöhnt er doch eiskalt und empathiefrei unsere Demokratie, unsere Werte, das Christentum, eigentlich alles, was man an dieser Stelle in die Waagschale werfen mag. Das Verhalten von Ralph Müller hat uns, den Demokraten, aber auch noch einmal gezeigt, wie weit man sich Rechts schon mit seinen Ressentiments in die Öffentlichkeit traut. 

Sie beschäftigen sich in “Ethik des Weltbürgers" mit den "anywheres" und "somewheres". Sind diese Begriffe überhaupt noch zeitgemäß?

Diese Unterscheidung ist ja noch gar nicht mal alt. Als “Anywheres" gelten dem britischen Publizisten David Goodhart jene, die besser ausgebildet sind und in den Metropolen leben. “Somewheres” hingegen sind bei ihm jene, die eher im ländlichen Raum leben, dort zeitlebens verwurzelt bleiben und eher weniger gut ausgebildet sind. Ich will mich nicht an der Terminologie festbeißen, aber es gibt eine in der Sozialwissenschaft messbare Bewegung oder Tendenz, dass man in Metropolen mit Werten lebt, die sich von denen außerhalb unterscheiden. Ich finde die dritte Kategorie bei Goodhart viel spannender die “In-Betweeners”, also jene dazwischen. Gerade von denen gibt es in Deutschland sehr viele, weil wir etliche mittelgroße Universitätsstädte haben, von Lüneburg bis Bamberg, in denen man sehen kann, dass man sehr wohl in der Welt und vor Ort zu Hause sein kann.

Welche Werte sind neben Empathie außerdem wichtig für die Politik?

Ich spreche gerne in diesem Zusammenhang von Freundschaft als Wert. Dabei beziehe ich mich auf das Foto “Earthrise”, das von der Apollo-Mission am Weihnachtstag 1968 aus dem Weltall zur Erde geschickt wurde. Zum ersten Mal konnten Menschen überall auf der Welt ihren Planeten von außen sehen. Das kann man sich nicht groß genug vorstellen! Und es wurde auch deutlich, dass die, die sich vermeintlich ferne stehen, doch sehr nahe sind. Dieses Foto hat die Umwelt- und die Friedensbewegung motiviert. Und es hat denen, die auf Kooperation durch Empathie aus sind, einen großen Schub gegeben. Darum sind seit jenem Tag Bande der Freundschaft zwischen Menschen, Nationen und religiösen Traditionen erwachsen, von denen unsere kriegsgeplagten Vorfahren nicht einmal träumen konnten. Das alles steht heute auf dem Spiel.