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Europawahl
Dank Unionsbürgerschaft: Jeder kann in der EU wählen - überall

Alle Bürger eines EU-Mitgliedslands besitzen die europäische Unionsbürgerschaft. Damit verbunden sind viele Freiheiten und Möglichkeiten
Im EU-Vertrag ist 1992 die Unionsbürgerschaft geschaffen worden. Jeder Staatsangehörige eines EU-Mitgliedsstaates gilt demnach als Unionsbürger.

Im EU-Vertrag ist 1992 die Unionsbürgerschaft geschaffen worden. Jeder Staatsangehörige eines EU-Mitgliedsstaates gilt demnach als Unionsbürger.

© picture alliance / NurPhoto

Egal ob Italiener, Malteser, Schweden, Belgier, Franzosen oder Deutsche – alle Bürgerinnen und Bürger eines EU-Mitgliedslands besitzen die europäische Unionsbürgerschaft. Damit verbunden sind viele Freiheiten und Möglichkeiten. Einige Vorteile der Unionsbürgerschaft, wie die Teilnahme an Regional- und Europawahlen im EU-Ausland, sind jedoch kaum bekannt oder werden vergleichsweise selten genutzt. Das ist bedenklich für die europäische Demokratie.

Umfragen zeigen, dass nur jeder zweite Europäer um seinen rechtlichen Status als EU-Bürger weiß und jeder Dritte ist sich nicht sicher, was dies tatsächlich bedeutet. Das ist ebenso überraschend wie alarmierend, da das Konzept der Unionsbürgerschaft an sich nicht neu ist. Es wurde 1992 mit dem Vertrag von Maastricht eingeführt und im Rahmen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs stetig weiterentwickelt und immer umfassender im EU-Recht verankert.

„Und warum sollte es keine europäische Gruppe geben, die den zerstreuten Völkern dieses turbulenten und mächtigen Kontinents ein Gefühl von erweitertem Patriotismus und gemeinsamer Staatsbürgerschaft verleihen könnte, und warum sollte sie bei der Gestaltung des Schicksals der Menschen nicht ihren richtigen Platz mit anderen großen Gruppierungen einnehmen?“, fragte Winston Churchill bereits 1946.

Unionsbürgerschaft mit zusätzlichen Vorteilen

Die Unionsbürgerschaft ist mehr als eine reine Kopie der Staatsbürgerschaft – sie ersetzt diese nicht, sondern ergänzt sie. Sie verleiht uns Europäern wichtige Rechte; darunter die Freiheit, in einem anderen EU-Land zu leben, zu studieren und zu arbeiten. Die Freizügigkeit als eine der vier Freiheiten der EU (freier Verkehr für Personen, Warenverkehr, Dienstleistungen und Kapital) ist das Rückgrat der Unionsbürgerschaft. Aber es gibt noch mehr Möglichkeiten, die Unionsbürgerschaft zu nutzen. Zum Beispiel wenn es um politische Partizipation und Demokratie in der Europäischen Union geht, so heißt es in Artikel 20 des Vertrags über die Arbeitsweise in der EU: “Es wird eine Unionsbürgerschaft eingeführt. Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt.“

Wenige Tage vor den Europawahlen, die vom 23. bis 26. Mai stattfinden, lohnt es sich, einen Blick auf all jene EU-Bürger zu werfen, die sich am Wahltag im EU-Ausland befinden. Im EU-Jargon spricht man auch von “mobilen EU-Bürgern“. Theoretisch können sie gemäß Artikel 22 (Absatz 2) AEUV als Unionsbürger auch politische Rechte und insbesondere Stimmrechte in ihrem EU-Gastland ausüben. Auch solche EU-Bürger mit Wohnsitz außerhalb des Heimatlandes können also alle fünf Jahre ihre Vertreter im Europaparlament wählen. Trotz umfangreicher Kommunikationsbemühungen mehrerer EU-Institutionen, Aktivisten und politischer Akteure ist dieses Recht kaum bekannt oder wird vergleichsweise selten genutzt.

Sinkende Wahlbeteiligung seit 1979

Seit den ersten Wahlen zum Europäischen Parlament 1979 sank die Wahlbeteiligung stetig; 2014 erreichte sie sogar ein (bisher) historisches Tief von 42,16 Prozent. Die politische Gefahr einer anhaltend niedrigen Wahlbeteiligung besteht darin, dass die EU auf einem System der repräsentativen Demokratie fußt (Artikel 10 EUV). Diese Repräsentativität wird einerseits unmittelbar durch die parlamentarische Repräsentanz aller EU-Bürger durch das Europäische Parlament gewährleistet und konkret durch ihre gewählten Vertreter, den Mitgliedern des Europäischen Parlaments (MdEP). Andererseits sind EU-Bürger mittelbar ebenfalls über die nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten, die über die jeweiligen Regierungen die Ratsmitglieder und damit die einzelnen Minister wählen, repräsentiert.

Eine Wahlbeteiligung von weit unter 50 Prozent bedeutet in der Praxis allerdings, dass nicht einmal die Hälfte aller wahlberechtigten Europäer tatsächlich und aktiv von einem MdEP vertreten wird. Ungeachtet der Diskussion über Demokratiedefizite der EU, ob berechtigt oder nicht, stellt dieser Negativtrend die Legitimationskraft der EU und ihres politischen Systems zumindest infrage.

Unter den Nichtwählern befinden sich allerdings neben denjenigen, die bewusst nicht wählen gehen, jedoch auch einige Menschen, die sich ihrer Rechte und nationaler Verfahren nicht vollumfänglich bewusst sind.

Zwei unterschiedliche Fälle: Im Ausland wohnhafte EU-Bürger vs. Nicht-Staatsbürger

Viele derjenigen, die allgemein nicht wählen, sind im Grunde mobile EU-Bürger. Also Bürger, die in einem anderen EU-Mitgliedstaat als ihrem Heimatland wohnen. Ihre Anzahl belief sich 2018 auf immerhin 14 Millionen wahlberechtigte EU-Bürger - das sind 3,25 Prozent der EU-Bevölkerung. Allerdings stimmen nur acht Prozent dieser mobilen Bürger bei den Europawahlen für die Wahllisten ihres jeweiligen Aufnahmelandes ab, zum Beispiel als eine Brüssel wohnhafte Deutsche für belgische MeEP-Kandidaten. Wie erklärt sich diese niedrige Zahl?

Hauptgrund ist, dass mobile EU-Bürger einerseits meistens zwei Möglichkeiten der Stimmabgabe bei Europawahlen haben, sowohl im Gastland als auch im Heimatland und sich wohl viele für letztere Option entscheiden, um für die eigenen, nationalen MdEP zu stimmen.  

Andererseits sind mobile EU-Bürger besonders von einem Mangel an Information und Aufklärung über ihre (Stimm-)Rechte im Ausland betroffen. Sofern sie bei ihrer diplomatischen Vertretung im EU-Ausland gemeldet sind, erfolgt die Information in der Regel über Botschaften. Haben sie sich zusätzlich bei der jeweiligen Stadt gemeldet, informiert diese im besten Fall ebenfalls über die Stimmrechte für Nicht-Staatsbürger bei Regional- und Europawahlen. Die „europäische“ Hauptstadt Brüssel, deren Bevölkerung immerhin schätzungsweise zehn Prozent EU-Ausländer zählt, machte dies exemplarisch bei den Regionalwahlen im Oktober 2018 sowie bei den anstehenden Europawahlen vor. 

Schwieriger wird es, wenn man entweder in anderen europäischen Städten wohnt oder – da meistens nicht gesetzlich vorgeschrieben – nicht von der ausländischen Administration erfasst ist. Die Frage nach dem Wieund Wo der Wahlregistrierung steht dann im Vordergrund. Leider gibt es in der EU28 in dieser Hinsicht keine harmonisierten Verfahren und Anforderungen für im EU-Ausland wohnhafte Unionsbürger, das heißt für eine Abstimmung als Nicht-Staatsbürger. Häufig muss man sich aktiv zu verschiedenen Fristen in ein Wählerverzeichnis eintragen lassen (einmalig oder auf regelmäßiger Basis), eine minimale Aufenthaltsdauer im Gastland vorweisen und in Einzelfällen zusätzliche Kriterien erfüllen, wie beispielsweise entsprechende Sprachkenntnisse in Griechenland. Diese Zustände verunsichern eher, als dass sie zur Wahlbeteiligung ermutigen. 

Sollte man als im Ausland wohnhafter EU-Bürger für seine eigenen, nationalen Europaabgeordneten stimmen wollen, gestaltet sich dies mitunter auch nicht immer einfach.

Während die meisten EU-Mitgliedstaaten die Möglichkeit bieten, über eine Botschaft oder das Konsulat abzustimmen, gestattet beispielsweise Tschechien als einziges Land ausschließlich die Stimmabgabe im Inland. Als alternative Lösung, um weiterhin die Stimmrechte aus der Unionsbürgerschaft wahrzunehmen, könnten Tschechen für Abgeordnete ihres EU-Gastlandes stimmen. Dies bringt uns zurück zum Ausgangspunkt: mangelndes Bewusstsein und mangelnder Zugang zu Informationen, insbesondere für Nicht-Staatsbürger. Italienische, griechische und bulgarische Staatsangehörige mit Wohnsitz außerhalb der EU können ihr Wahlrecht ebenfalls nicht wahrnehmen. Die fortschrittliche Option der Online-Wahl ist hingegen nur in Estland möglich. Auch bei diesem Fall sind erneut verschiedene Fristen und Arten der Registrierung zu beachten. 

Politische und zivilgesellschaftliche Akteure in der Pflicht 

Mit der 2019 gestarteten Kommunikationskampagne  „Diesmal wähle ich“ wollen das Europäische Parlament und Europäische Kommission die Informationslücke schließen, basierend auf den Schlussfolgerungen des EU-Staatsbürgerschaftsberichts von 2017. So soll vor allem die Beteiligung mobiler und nicht mobiler, sogenannter statischer EU-Bürger am politischen Leben der EU gestärkt werden. Eine verbesserte und verstärkte Kommunikation der EU-Institutionen ist eine mögliche Antwort auf die Probleme, es bleibt jedoch abzuwarten, inwieweit sich eine solche top-down-Initiative als erfolgreich erweist.

Schließlich nehmen die aktuellen Entwicklungen und das ungenutzte Potenzial der Unionsbürgerschaft auch politische Parteien, NGOs und Think Tanks der politischen Bildung in die Pflicht. Sie alle können dazu beitragen, das Potenzial der Unionsbürgerschaft besser zu nutzen und so vielleicht Dornröschen doch noch zu wecken.

 

Carmen Descamps ist European Affairs Manager der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Brüssel.