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Europa
Wie man die Tschechen für Europa begeistern kann

Ein Stimmungsbild aus Mitteleuropa
Prag

Fast zwei Drittel der Tschechen sind stolz darauf, ein Teil Europas zu sein. Und mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist mit der EU-Mitgliedschaft zufrieden.

© Gettyimages/ Buena Vista Images

Die Tschechen gelten gemeinhin als die größten Europaskeptiker der Union. Eine von der tschechischen Agentur STEM mit Unterstützung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Prag durchgeführte Umfrage legt jedoch einen anderen Schluss nahe: Fast zwei Drittel der Tschechen sind stolz darauf, ein Teil Europas zu sein. Und mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist mit der EU-Mitgliedschaft zufrieden. Die Ergebnisse der Studie liefern viele Ansatzpunkte für liberale und pro-europäische Kräfte.

Unsicherheit führt zu Euroskepsis. Das ist die wichtigste Aussage aus dem 60-seitigen Bericht, der die Ergebnisse einer Befragung von 1.000 Personen zusammenfasst. Die Analyse der Antworten wurde von mehreren tschechischen Kommunikations- und Marketingexperten durchgeführt und dauerte über ein halbes Jahr.

Die Studie zeigt, dass die Menschen der EU umso kritischer gegenüberstehen, je weniger stolz sie auf ihr eigenes Land sind. Die Angst vor Souveränitäts- und Bedeutungsverlust des eigenen Landes führt zu Angst vor der EU. Daraus folgt, dass die politische Kommunikation der EU erfolgreicher wäre, wenn sie über starke Mitgliedstaaten spräche, die für ihr eigenes Schicksal verantwortlich sind. Auch der Einfluss und die Mitspracherechte tschechischer Politiker im Europäischen Rat, im Rat der EU oder im Europäischen Parlament sollten daher hervorgehoben werden.

Eine weitere wichtige Erkenntnis der Studie: Die Tschechen sind in Bezug auf die Funktionsweise der EU-Organe nicht gut informiert. 60 Prozent der Befragten wussten nicht, dass der tschechische Premierminister und andere Regierungsmitglieder das Land in Brüssel vertreten; 44 Prozent der Umfrage-Teilnehmer war außerdem nicht bewusst, dass die tschechische Republik ein Netto-Empfänger von EU-Geldern ist und 40 Prozent hatten keine Ahnung, dass jedes Mitgliedsland in wichtigen Politikfeldern über ein Vetorecht verfügt.

Den Tschechen fehlen häufig auch persönliche Erfahrungen im Ausland. 71 Prozent der tschechischen Bürger haben keinen oder nur einen Freund in Westeuropa und nur 12 Prozent der Menschen haben länger als drei Monate im Ausland gelebt. Gerade kosmopolitische Menschen werden jedoch häufig dem pro-europäischen Lager zugerechnet.

Europa, ja bitte! EU, eher nicht ...

Die EU ist eine schwache Marke in den Augen der Bürger. 41 Prozent der Tschechen verbinden keine starke Emotion mit der EU und sitzen damit irgendwo in einer neutralen Grauzone. Andererseits lieben die Tschechen Europa. 71 Prozent sind stolz, Europäer zu sein, und 72 Prozent sagen, dass es toll sei, in Europa zu leben. Die stärkste Assoziation mit dem Wort “Europa” ist das Wort “Heimat”. Überraschenderweise lieben auch diejenigen Europa, die der EU skeptisch gegenüberstehen. Wer also mit einem Tschechen über Politik spricht, sollte lieber von Europa als von der Europäischen Union sprechen, um eine positive Reaktion zu erhalten.

Ein tschechisches Referendum über die EU-Mitgliedschaft, oder besser gesagt über einen CzechOut, also einen Austritt Tschechiens aus der EU, ist ein Thema, das ab und zu in der öffentlichen Debatte auftaucht. Ähnlich wie bei der gescheiterten „Remain“-Kampagne im Vereinigten Königreich, erscheint es allerdings wenig vielversprechend, den Menschen mit den möglichen negativen Folgen eines EU-Austritts Angst zu machen. Denn gerade die Menschen, die sich die größten Sorgen um die Zukunft machen, sind jetzt schon am euroskeptischsten. Sie weiter zu verängstigen, würde vermutlich zu keiner gesteigerten Begeisterung für Europa oder für die EU führen.

Ein besserer kommunikativer Weg wäre, eine konkrete Bedrohung auszuwählen und zu erläutern, wie die EU-Mitgliedschaft dazu beiträgt, dieser zu begegnen. So rückt man die Vorteile der EU-Mitgliedschaft in den Vordergrund.

EU: gut für Frieden und Wohlstand

Was stört die Tschechen an der Europäischen Union? Viele sind der Auffassung, dass sie sich zu viel mit nebensächlichen Fragen befasse; dass sie die Menschen mit übermäßiger Bürokratie belaste und dass die Union insgesamt eine langsame und übermäßig komplizierte Institution sei, die es liebe, Menschen zu belehren und Geld verschwende.

Viele der Befragten schätzen dagegen die Verdienste der EU um den Frieden. Ebenso erkennen sie die Leistungen im Bereich der regionalen Entwicklung, der Kohäsionspolitik und die generellen wirtschaftlichen Vorteile der Mitgliedschaft an. Sogar die Umweltpolitik der EU wird von vielen positiv hervorgehoben.

Die Tschechen wünschen sich, dass die EU sie vor Kriegen, Terrorismus, Migration und militärischen Angriffen aus Drittstaaten schützt. Sie sind auch an der Qualität von Lebensmitteln, Arzneimitteln und der Umwelt interessiert und erwarten, dass die EU-Mitgliedschaft ihnen hilft, ihre Erwartungen in dieser Hinsicht zu erfüllen.

Vereinfacht gesagt: Die Tschechen sehen die EU positiv, solange sie Schutz vor äußeren Einflüssen bietet, sei es vor der Einflussnahme aus Russland, Einwanderung, minderwertigen Arzneimitteln aus Indien oder billigen Arbeitskräften und Smog aus Polen.

Was ist mit dem Rest der Visegrád-Staaten?

Die Tschechische Republik galt lange Zeit als das schwarze Schaf in der stark pro-europäisch eingestellten Visegrád-Region. Jüngste Umfragen des slowakischen Think Tanks GLOBSEC deuten allerdings an, dass sich der Trend dreht. Inzwischen sind es die Slowaken, die die EU derzeit am wenigsten zu mögen scheinen. Nur 22 Prozent der befragten Menschen gaben an, gerne zur westlichen Staatengemeinschaft zu gehören. Die ältere Generation bewertet den Sturz der kommunistischen Regime in Mitteleuropa sogar überwiegend negativ. Bei einer Simulation der Europawahlen an slowakischen Gymnasien erfreute sich die rechtsradikale Kotleba-Partei, das Pendant zur deutschen NPD, einer relativen Mehrheit von 16 Prozent der Stimmen.

Die Ungarn und die Polen dagegen bestätigten ihre Reputation als EU-Liebhaber. Die Mehrheit der Polen ist stark westlich orientiert und davon überzeugt, dass ihr Land zum Westen gehört. Die Wahlbeteiligung bei den Europawahlen am kommenden Wochenende und natürlich die Ergebnisse werden weiteren Aufschluss über die Einstellungen der Tschechen und ihrer Nachbarn zu Europa zu Tage fördern.

Die Ergebnisse der verschiedenen Studien geben pro-europäischen und liberalen Kräften einige Hausaufgaben auf: Die Kommunikation der EU muss sich verbessern, damit sie von allen EU-Bürgern wahrgenommen und verstanden wird. Ebenso wichtig ist es jedoch, dass die EU die Erwartungen der Bürger erfüllt, um ihre Begeisterung für das europäische Projekt zu beleben.

 

Adéla Klečková ist Programmmanagerin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit für Mitteleuropa und die Baltischen Staaten.