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Europa
Nach von der Leyen-Nominierung: Jetzt ist das EP am Zug

Thomas Ilka analysiert die ersten Ergebnisse des EU-Postenpokers
Europäisches Parlament

Das Europäische Parlament.

© picture alliance / CITYPRESS 24

Nach der überraschenden Nominierung von der Leyens als Kommissionspräsidentin darf das Europäische Parlament im Powerplay mit dem Rat nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Das EP sollte jetzt die Chance nutzen, seine Macht auszubauen. Die Liberalen könnten dabei eine zentrale Rolle spielen, analysiert Brüssel-Experte Thomas Ilka.

Die Staats- und Regierungschefs haben gestern ihren Vorschlag für das Spitzenpersonal der Europäischen Institutionen vorgelegt. Ein echter Brüsseler Kompromiss, der den Proporz der Parteien, Geografie und Geschlechter unter Berücksichtigung der politischen Lage abzubilden versucht. Jetzt ist das europäische Parlament (EP) am Zug, denn für den 16. Juli ist die Wahl der Kommissionspräsidentin durch das Parlament vorgesehen. Aber wird es auch so kommen?

Der Vorschlag der Staats- und Regierungschefs (Rat): Ursula von der Leyen soll Kommissionschefin werden, der Liberale Charles Michel Ratspräsident, Christine Lagarde EZB-Präsidentin und der sozialdemokratische Spanier Josip Borell europäischer Außenminister, im Brüsselsprech Hoher Beauftragter. Die Europäischen Verträge sehen vor, dass nun das Europäische Parlament mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder, bei 751 Abgeordneten sind das 376 MdEPs, die Kommissionspräsidentin wählt. Das wird kein einfacher Gang für von der Leyen. Stand heute ist die Mehrheit kein Selbstgänger.

Weber, Timmermans und Vestager nicht berücksichtigt

Das Parlament hat sich seit seiner ersten Direktwahl 1979 über die Jahrzehnte zu einer immer selbstbewusster agierenden Institution entwickelt. Seine Macht ist de jure durch die europäischen Verträge und de facto  durch das Agieren seiner Mitglieder stark und stetig gewachsen. Im Machtpowerplay mit dem Rat muss sich das EP seinen nächsten Zug nun genau überlegen.

Einerseits kann das EP nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen, wenn weder Weber, Timmermans noch Vestager, die als Spitzenkandidaten im Rennen waren, vom Rat berücksichtigt wurden. Anderseits steckte die EU mitten in einer institutionellen Krise ersten Ranges, wenn das EP von der Leyen am 16. Juli durchfallen ließe. Angesicht der Aufgabenliste, ob Klimapolitik, Jobsicherung, Migrationsmanagement oder Sicherheitspolitik, ist das keine Option. Zumal die globalen Konkurrenten des European way of Life nur darauf warten, dass wir uns selbst schwächen.  

Liberale könnten zentrale Rolle spielen

Was also tun? Heute kommt Ursula von der Leyen nach Straßburg, um ihre Vorstellungsrunde zu beginnen. Das EP sollte gleich die Chance nutzen, ein Paket der institutionellen und demokratischen Weiterentwicklung auf den Tisch zu legen: transnationale Listen, Initiativrecht in der Gesetzgebung für das EP, Direktwahl zum Beispiel des Kommissionspräsidenten könnten Elemente sein. Zum Wunden lecken muss später Zeit sein. Jetzt geht es für das EP darum, die Arbeitsfähigkeit der EU-Institutionen mit einem politischen Preis zu verbinden. Das ist legitim, nicht ohne Aussicht und würde die Macht des EP weiter stärken. Das Aktionsfenster ist jetzt da.

Die in der EP-Wahl gestärkten Liberalen können dabei, mit Augenmaß und Leidenschaft, eine zentrale Rolle spielen. Was die TOP-Jobs angeht, sind sie gut aufgestellt: Mit Charles Michel ist ein ausgebuffter Stratege, der nie die Nerven verliert und als Belgier Komplexitätslösungskompetenz in den politischen Genen trägt, künftig Ratschef. Zudem wird Margarete Vestager mit einem starken Portfolio als Vizepräsidentin eine machtvolle Rolle bei der Stärkung Europas spielen.

In den kommenden 14 Tagen steht die EU-Politik vor einer entscheidenden Bewährungsprobe. EP, Kommission und Rat müssen sich zusammenraufen. Eine institutionelle Krise schadet Europa und hilft niemandem - außer seinen Gegnern.

 

Thomas Ilka ist Regionalbüroleiter des europäischen Dialog in Brüssel.