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Europa
Italiens Populisten provozieren ganz Europa

Hundert Tage vor der Europawahl möchten sich Italiens Populisten auf Kosten der EU profilieren
Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte bei seiner Rede zur Zukunft Europas im EU-Parlament in Straßburg.

Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte bei seiner Rede zur Zukunft Europas im EU-Parlament in Straßburg.

© picture alliance / AP Photo

Vergangene Woche zog Frankreich unter großer internationaler Aufmerksamkeit seinen Botschafter aus Rom ab. Der Streit zwischen den beiden Gründungsmitgliedern der Europäischen Union hält zwar schon länger an, erreichte nun aber eine neue Eskalationsstufe. Passend dazu nutzte der italienische Premierminister Conte seine gestrige Rede im Europaparlament zur Abrechnung mit der EU. Hundert Tage vor der Europawahl möchten sich Italiens Populisten auf Kosten der EU profilieren, und scheren sich dabei ebenso wenig um diplomatische Gepflogenheiten wie um gemeinsame europäische Werte.


Italienische Populisten stehen nicht erst seit gestern mit den Brüsseler Institutionen auf Kriegsfuß. Neu ist jedoch, dass nun auch europäische Nachbarländer und insbesondere Frankreich im Visier von Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung sind. Das Resultat ist der Abzug des französischen Botschafters aus Rom. Diese diplomatische Praxis, die in der Regel außereuropäischen Konflikten vorbehalten ist, verdeutlicht die Brisanz der Situation und die politische Verrohung italienischer Populisten. In der Vergangenheit hatte Frankreich erst einmal, im Jahr 1940 nach der Kriegserklärung Mussolinis, seinen ranghöchsten Diplomaten aus Rom zurückbeordert.

Grund der jüngsten Konflikte sind verbale Attacken prominenter Vertreter der rechtspopulistischen italienischen Regierungskoalition gegenüber dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron. Diese reichten vom Vorwurf eines „sehr schlechten Präsidenten“ (Innenminister Matteo Salvini), von dem sich das französische Volk bei der Europawahl am 26. Mai „befreien“ könne, bis hin zu Äußerungen des Vizeregierungschefs Luigi Di Maio, der Frankreich koloniales und von wirtschaftlichen Eigeninteressen bestimmtes Handeln in Afrika vorwarf. Präsident Macron hatte in der Vergangenheit insbesondere mit Blick auf das Rettungsschiff „Aquarius“ die restriktive italienische Flüchtlingspolitik als verantwortungslos kritisiert und damit den Zorn Roms auf sich gezogen. Das Fass zum Überlaufen brachte schließlich ein Treffen zwischen Aktivisten der französischen „Gilets jaunes“ und Di Maio, der wiederholt öffentlich seine Unterstützung die Gelbwesten bekundete. 

„Man kann sich vor Verwunderung nur noch die Augen reiben“, kommentiert Michael G. Link MdB, Vorstandsmitglied der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und europapolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, die jüngsten Ereignisse. „Der italienische Vizeregierungschef düpiert die französische Regierung, und das, obwohl Italien dringend auf Partner angewiesen ist. Denn mit der italienischen Wirtschaft geht es, wie erwartet, steil bergab. Der nächste Streit mit der EU-Kommission ist vorprogrammiert.“ Sein Verhalten entlarve einmal mehr die populistische Überlebensstrategie „Wir-gegen-Die“. „Inhaltlich haben die Populisten bekanntlich wenig zu bieten, nur mit Schaukämpfen können sie Schlagzeilen machen“, so Link weiter. „Di Maio wird sich noch wundern, denn ein partnerschaftliches Miteinander zwischen europäischen Regierungen ist kein Selbstzweck, sondern Basis für jeden Kompromiss.“

Einen kompromissbereiteren Ton als Salvini oder Di Maio schlug gestern der parteilose italienische Premierminister Guiseppe Conte bei seiner Aussprache im Europäischen Parlament an. Denn auch auf europäischer Ebene hatte es zuvor bereits Ärger mit Italien gegeben. Über das EU-Budget genauso wie über die europäische Flüchtlingspolitik. Während Conte seine ganz eigene Sichtweise der Situation und der jüngsten Ereignisse vorstellte, von „Missverständnissen“ mit Frankreich sprach und versicherte, seine Regierung wolle Europa lediglich „aufrütteln“ und die Regeln in Europa ändern, ließ er zentrale Konfliktthemen wie Frankreich, Venezuela und das EU-Budget bewusst aus.

Nach seinen Ausführungen zur Zukunft der EU und insbesondere der Kritik an einer bürgerfernen EU war der anschließende verbale Schlagabtausch zwischen Populisten und Pro-Europäern vorprogrammiert. Zwar wiesen nicht nur die europäischen Liberalen die Behauptungen Contes vehement zurück, jedoch gelang der inhaltlich wie sprachlich eindrucksvollste Auftritt ALDE-Fraktionschef Guy Verhofstadt. Auf Italienisch kritisierte er die politische Entwicklung Italiens der vergangenen zwanzig Jahre. So gehöre mit Italien ein ehemaliger Verfechter europäischer Werte mittlerweile zu den Schlusslichtern und gefährde die europäische Einheit. In Wahrheit sei es Italien, das eine notwendige Mehrheit bei Entscheidungen zur Reform des europäischen Asylsystems verhindere, Migranten abweise und die Einrichtung einer europäischen Küstenwache verzögere. Den Preis einer fehlenden europäischen Lösung müssten letztlich die italienischen Bürgerinnen und Bürger zahlen. Die Strategie, sich mit finanziellen Geschenken und damit Schulden wiederwählen zu lassen, führe letzten Endes zu wirtschaftlicher Stagnation und einer Rezession, warnte Verhofstadt.

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Hundert Tage vor der Europawahl ist das Verhalten der italienischen Populisten eine klare Kampfansage an die Europäische Union. Man will sich auch außerhalb des eigenen Landes rücksichtslos auf Kosten der EU, europäischer Nachbarn und langjähriger Freunde profilieren und setzt dafür Einiges aufs Spiel. Weder gemeinsame europäische Werte noch der innereuropäische Zusammenhalt scheinen derzeit im politischen Mainstream Italiens Konjunktur zu haben, wie auch jüngste Umfragen bestätigen. Demnach würden gegenwärtig rund sechzig Prozent der befragten Italiener bei der Europawahl entweder für die Lega oder die Fünf-Sterne-Bewegung stimmen.

Carmen Gerstenmeyer ist European Affairs Managerin im Regionalbüro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Brüssel.