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Ein fataler Fehler – aber noch korrigierbar!

Der Bundestag lehnt es ab, einen BAMF-Untersuchungsausschuss einzurichten. Er verhindert damit Aufklärung und Transparenz. Das ist Wahlwerbung für den Rechtspopulismus.
Bundestag

Keine Mehrheit im Deutschen Bundestag für den Vorschlag eines BAMF-Untersuchungsausschusses.

© Deutscher Bundestag / Achim Mende

Keine Unterstützung fand in der gestrigen Sitzung des Bundestags ein Antrag der Freien Demokraten mit dem Ziel, einen Untersuchungsausschusses zur Praxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einzurichten. Dagegen wendeten sich nicht nur die Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD, sondern auch DIE LINKE und DIE GRÜNEN. Wenn der Beschluss nicht noch korrigiert wird, ist es ein schwerer Rückschlag im Kampf gegen den Rechtspopulismus in Deutschland. So jedenfalls die Meinung unseres stellv. Vorstandsvorsitzenden Professor Paqué. Er erklärt warum.

Kein politisches Thema hat in den letzten drei Jahren Deutschland so gespalten und aufgewühlt wie die Flüchtlingskrise. Die vorübergehende Öffnung der Grenzen 2015 war aus humanitären Gründen nachvollziehbar, hinterließ aber einen Berg von Folgeproblemen, an denen unsere Gesellschaft noch heute laboriert. Im Übrigen hat sie die politische Landschaft verändert: Der Aufstieg der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) zur drittstärksten politischen Kraft bei der letzten Bundestagswahl wäre ohne den Protest gegen den unkontrollierten Zustrom von Menschen über die deutschen Grenzen nicht denkbar gewesen.
 
Auch im Ausland hatte die Notsituation ganz offensichtlich massive politische Rückwirkungen: deutliche Zugewinne von Rechtspopulisten bei Wahlen in Frankreich, den Niederlanden, Österreich und jüngst in Italien, eine verhärtete politische Front gegen Einwanderung in den ostmitteleuropäischen Ländern sowie das bedauerliche Brexit-Votum in Großbritannien. All dies war maßgeblich, wenn auch nicht allein durch die unkontrollierte Zuwanderung in Richtung Europa bedingt.
 
Dabei ist in Teilen der deutschen Bevölkerung ein Mythos entstanden. Der lautet: Dieser Staat versagt, er erfüllt seine Kernaufgaben nicht, er verdient kein Vertrauen. Schlimmer noch: Er wird gelenkt von Politikern, die unsere Sorgen, Nöte und Ängste nicht verstehen. Es ist ein Staat, der von einer globalisierten, intellektuellen, gut situierten urbanen Schicht gesteuert wird, die mit dem Flüchtlingsstrom gut umgehen kann, weil er sie gar nicht direkt betrifft, was die Konkurrenz für Wohnraum, Arbeitsplätze und soziale Leistungen angeht. Diese verunsicherten Menschen, in der Mehrheit ganz normale Bürgerinnen und Bürger, wurden zum großen neuen Reservoir der AfD-Wähler, zusätzlich zu der immer vorhandenen, aber kleinen rechtsradikalen Minderheit in unserer Gesellschaft.

In Teilen der deutschen Bevölkerung ist ein Mythos entstanden.

Stiftung für die Freiheit - Gaidar-Naumann-Forum Deutsch-Russische Beziehungen unter geänderten Vorzeichen – Wirtschaftskooperation in Zeiten von Sanktionen und neuen Allianzen
Karl-Heinz Paqué

Der britische Journalist und Autor David Goodhart, selbst Mitglied der Labour Party, hat dieses Phänomen mit Blick auf die Brexit-Entscheidung im Vereinigten Königreich 2016 treffend beschrieben. In seinem 2017 publizierten Bestseller „The Road to Somewhere“ unterscheidet er zwei große Gruppen von Menschen: die lokal verwurzelten „Somewheres“ und die globalisierten, smart-geschmeidigen „Anywheres“. Die „Somewheres“ fürchten um ihre angestammte Identität und sind gegenüber Zuwanderung skeptisch, die „Anywheres“ dagegen nicht. Das populistische Brexit-Votum war in dieser Deutung nichts anderes als der erste große Sieg der „Somewheres“ über die „Anywheres“. Und wenn die „Anywheres“ die Sorgen der „Somewheres“ nicht ernst nehmen, dann wird der Populismus weitere Siege feiern.
 
Genau an dieser Stelle stehen wir heute In Deutschland, und zwar ausgerechnet mit der eher parlamentstechnischen Frage, ob der Bundestag für das BAMF einen Untersuchungsausschuss einsetzt oder nicht. Tut er es nicht – trotz der offenkundigen Missstände im BAMF, die schon zu Tage getreten sind – dann signalisiert er klar: Dieser Staat macht einfach so weiter wie bisher, Missstände hin oder her. Er lässt sich dabei nicht in die verdeckten Verwaltungskarten schauen, jedenfalls nicht auf offener parlamentarischer Bühne, sondern bestenfalls im Hinterzimmer eines Innenausschusses des Bundestags. Er bestätigt damit alle Vorurteile, die den Rechtspopulismus begünstigen und stark machen. Er verweigert jene Aufklärung und Transparenz, die dringend nötig ist, um das Vertrauen in den Staat wiederherzustellen. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner hat völlig Recht, wenn er in diesem Zusammenhang von einer „Befriedung“ der Gesellschaft spricht. Um die geht es, und die ist dringend nötig.

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Merkwürdig ist, dass ausgerechnet jene politischen Parteien, die an anderer Stelle (so etwa bei EU-Handelsverträgen oder in der Verteidigungspolitik) ständig maximale Transparenz verlangen, den Untersuchungsausschuss zum BAMF ablehnen: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE. Und dies obwohl beide Fraktionen in der Opposition sind und es in der Vergangenheit waren, also in Ministerämtern auf Bundesebene nichts zu verantworten haben. Sie tun dies offensichtlich, weil sie die Fehlentscheidungen und rechtsfreien Räume nicht präzise identifiziert sehen wollen, die im Gefolge jenes unkontrollierten Zustroms von Flüchtlingen entstanden, den sie gegenüber Kritik immer verteidigten. All dies erinnert fatal an die Bagatellisierungen von Rechtsbrüchen, zu denen Grüne und Linke neigen, wenn es um Gruppen der Gesellschaft geht, die ihnen emotional und politisch nahestehen – wie zuletzt aus Anlass der Gewaltexzesse beim Hamburger G20-Gipfel im Juli 2017 und den rechtswidrigen Berliner Hausbesetzungen in diesem Frühjahr. Damit bestätigen sie exakt die Vorurteile, die von den Rechtspopulisten genährt werden. Schlimmer noch: Sie bezichtigen diejenigen, die für Aufklärung und Transparenz eintreten, das Geschäft der Rechtspopulisten zu betreiben. In Wahrheit ist das Gegenteil der Fall.

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Fazit: Der Bundestag hat einen fatalen Fehler gemacht. Es bleibt nur die Hoffnung, dass sich schließlich doch noch genug Parlamentarier aus den Reihen von CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie DIE LINKE finden, um die Einrichtung eines BMAF-Untersuchungsausschusses zu gewährleisten. Sollte sich das erkennbare Ausmaß des Skandals noch ausweiten, so wäre dies im Zuge der Beratungen des Innenausschusses durchaus noch möglich. Nur so ließe sich der Wind aus den Segeln des Rechtspopulismus nehmen. Derzeit bläst die uneinsichtige Parlamentsmehrheit aber noch mehr Wind hinein.