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Droht die mediale Gleichschaltung?

Größte Mediengruppe der Türkei an regierungsnahen Konzern verkauft
CNN Türk
Gibt es auf CNN Türk künftig nur noch handverlesene Regierungsnachrichten? © CC0 commons.wikimedia.org/ U.S. Air Force/ Nicole Sikorski

Die größte noch halbwegs unabhängige Mediengruppe der Türkei wird an einen regierungsnahen Mischkonzern verkauft. Vor dem Superwahljahr will Erdoğan nichts dem Zufall überlassen.

Letzte Woche Mittwoch platzte eine Nachrichtenbombe in der Türkei: Die Doğan-Mediengruppe, das letzte verbliebene Medienkonglomerat in der Türkei, das nicht direkter Kontrolle eines regierungsnahen Konzerns unterstand, gab bekannt, Gespräche über den Verkauf ihrer Mediensparte mit der regierungsloyalen Demirören-Gruppe zu führen. Wie der Doğan-Konzern in den späten Abendstunden des 21. März bekanntgab, soll der Verkauf in den kommenden Tagen abgeschlossen werden. Der Preis: 1,25 Milliarden US-Dollar. Ein Schnäppchen, so politische Beobachter, wenn man sich den Umfang des Pakets vor Augen führe. Der Verkauf der Doğan-Mediengruppe könnte der letzte Nagel auf dem Sarg des türkischen Medienpluralismus sein. 2011 hatte Doğan schon die beiden Zeitungen Milliyet und Vatan an dieselbe Gruppe verkauft, die seitdem auf einen regierungsfreundlichen Kurs einschwenkten. Berichten zufolge erwägt der Besitzer Aydın Doğan schon länger einen Rückzug aus dem wenig ertragreichen und politisch brisanten Mediengeschäft.

In der Mediensparte der Doğan-Gruppe befinden sich u.a. das Massenblatt Hürriyet (mit 325.000 Exemplaren auflagenstärkste Zeitung des Landes), die englischsprachige Schwesterzeitung Hurriyet Daily News, die auflagenstarke Posta, der einflussreiche Nachrichtensender CNN Türk, die Nachrichtenagentur DHA, viele weitere Nachrichtenseiten im Internet, Digitale Plattformen, Radiosender und Yaysat, eine von zwei Vertriebsorganisationen in der Türkei.

Karikatur
Erdogans Umgang mit der Presse - hier dargestellt anhand einer Karikatur © CC0 commons.wikimedia.org/ Carlos Latuff

„Er kann ab jetzt nicht mal Ortsvorsteher werden“ – Eine Schlagzeile entfacht den Zorn Erdoğans gegen Doğan

Das Verhältnis zwischen dem Medienzar Aydın Doğan und Erdoğan war stets von einem ewigen Machtkampf geprägt. Der 80-Jährige gilt als Teil des säkularen Establishments der Türkei. Präsident Erdoğan ließ in seinen Reden kein gutes Haar an ihm und warf seinen Medien immer wieder vor, gegen seine Person und die regierende AKP eingestellt zu sein. Erdoğan nannte Doğan Vertreter der „Alten Türkei“, während er selbst regelmäßig von der „Neuen Türkei“ spricht. Hürriyet, das selbsternannte Flaggschiff der türkischen Medien, hatte am 24. September 1998, als Erdoğan – damals Oberbürgermeister von Istanbul - aufgrund eines islamistischen Gedichtes zu Gefängnisstrafe verurteilt worden war, geschrieben, das politische Leben von Erdoğan sei nun vorbei. „Er kann ab jetzt nicht mal Ortsvorsteher werden“ hieß der Untertitel. Erdoğans Zorn gegenüber Hürriyet sowie ihrem Besitzer und sein unbändiger Wille, sich zu revanchieren, basieren auf dieser Schlagzeile anno 1998. So wurde Hürriyet immer wieder vorgeworfen, der „zivile Arm“ des postmodernen Staatstreichs von 1997 (der sogenannte 28.-Februar-Prozess war eine politische Intervention der türkischen Militärführung am 28.Februar 1997 gegen die gewählte Regierung des Islamisten Necmettin Erbakan, die ihn und seine Regierung zum Rücktritt zwang, Anm.d.Red.) gewesen zu sein. Spätestens 2009, als die Doğan-Gruppe aufgefordert wurde, eine Steuerstrafe in Milliardenhöhe zu zahlen, wusste Aydın Doğan, dass er im Visier der Regierung stand. Kritiker warfen der Regierung damals vor, Doğan wegen seiner – damaligen – kritischen Berichterstattung zu bestrafen. Von nun an war er einer kritischen Gratwanderung unterworfen Seit der Steuerstrafe achtete Doğan stets darauf, sich nicht weiter mit der AKP und ihrem Führer Erdoğan zu verscherzen. Der Unternehmer fügte sich zunehmend dem Druck aus dem Umfeld Erdoğans, unterzog seine Medien einer Selbstzensur und entließ kritische Kolumnisten und Moderatoren. Doch Erdoğans Zorn gegen Doğan war nicht zu bändigen. Vor den Parlamentswahlen im November 2015 sagte ein AKP-Abgeordneter im Fernsehen: „Wir wissen, wie wir Aydın Doğan die Nägel und die Zähne ausreißen können.“

Inzwischen hatte der Gegenwind Sturmstärke erreicht. Erst im vergangenen Jahr war Enes Berberoğlu, Ex-Chefredakteur der Hürriyet, zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Einer der letzten Züge des Machtpolitikers gegen seinen ewigen Rivalen. Doch dem Anschein nach war das für Erdoğan nicht genug, er will vor dem wichtigen Wahljahr 2019 nichts dem Zufall überlassen. Sein demokratiezersetzendes Autoritätsstreben nimmt der türkischen Pressefreiheit den letzten Atem. Mit dem Verkauf geht dieser lange Machtkampf zu Ende. Ein Machtkampf, den der Vertreter der „neuen“ gegen den Vertreter der „alten“ Ordnung gewonnen hat.

Demirören – der weinende Alte oder das besondere Verhältnis zur Regierung

Der Demirören-Konzern gehört Erdoğan Demirören, der für seine Nähe zu Präsident Erdoğan bekannt ist. Neben den Medien ist die Gruppe u.a. im Energie-, Bau-, Tourismus- und Bildungssektor tätig. Laut Forbes hat der heute 79-jährige Tycoon ein Vermögen von 850 Mio. US-Dollar. Mit dem Kauf steigt Demirören zur größten Mediengruppe des Landes auf. Eine detaillierte Karte von Networks of Disposession zeigt die Verflechtung der türkischen Industrie mit der Politik und ihren Einfluss auf die Medien.

Laut einer Analyse der unabhängigen Zeitung BirGün befinden sich mit dem Verkauf der Doğan-Gruppe nun 21 von insgesamt 29 Medien im Besitz eines Konzerns, der durch seine Loyalität zur AKP-Regierung auffällt. Damit befinden sich etwa 73 Prozent der türkischen Medien unter direkter oder indirekter Kontrolle der Exekutive – eine Entwicklung von enormer Bedeutung vor dem Superwahljahr 2019 mit Lokal-, Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Türkische Journalisten kritisierten die Kaufpläne: „Mit dieser riesigen Übernahme (…) kommt die türkische Massenmedien-Industrie unter die direkte politische Kontrolle von Präsident Erdoğan“, schrieb der renommierte Journalist Kadri Gürsel auf Twitter. Damit sei der Prozess der Medienkonzentration nach dem Modell von Russlands Präsident Wladimir Putin abgeschlossen. Der Ökonom Mustafa Sönmez stellte infrage, dass Demirören selbst das Geld für den Kauf besitzt, und spekulierte, die Übernahme sei eine „Operation des Präsidentenpalastes“.

Cumhuriyet
Mitarbeiter der Cumhuriyet demonstrieren gegen die Festnahme von Redaktionsmitgliedern © CC0 commons.wikimedia.org/ Hilmi Hacaloğlu

Unabhängige Kritiker sind sich sicher, dass Demirören sein Medienimperium im Auftrag der Regierung und unter Anweisung von Präsident Erdoğan führt. 2013  feuerte Demirören die beiden renommierten Journalisten Hasan Cemal und Can Dündar, nachdem Erdoğan ihre Kolumnen offen kritisiert hatte. Ein Jahr später wurde ein Mitschnitt eines Gespräches zwischen Demirören und Erdoğan im Internet veröffentlicht. In dem geleakten Mitschnitt zeigt sich Erdoğan verärgert über die Berichterstattung von Milliyet über ein Treffen zwischen dem PKK-Führer Abdullah Öcalan und Funktionären der Partei des Friedens und der Demokratie (BDP), der Vorgängerpartei der prokurdischen HDP. In dem Mittschnitt fragt Erdoğan nach dem Verfasser des Beitrags und ruft Demiören – zum Zeitpunkt des Gespräches schon 75 Jahre alt – auf, die „notwendigen Maßnahmen“ zu treffen. Demirören, sichtlich verunsichert, weint am Telefon und sichert Erdoğan zu, „alles Notwendige“ zu unternehmen. „Warum habe ich mich nur in dieses Gewerbe begeben?“, weint er am Telefon.

Cumhuriyet&Co.: letzte ‘Oasen‘ der unabhängigen Medien

Als einzige regierungskritische Printmedien sind nur noch das auflagenstarke kemalistisch-nationalistische Hetzblatt Sözcü sowie die kleinen Oppositionszeitungen Cumhuriyet, BirGün und Evrensel geblieben. Ihre landesweite Verteilung lief bisher über die mitverkaufte Firma Yaysat, dem wichtigsten Vertrieb neben der regierungsnahen Firma Turkuvaz. Sie fürchten jetzt, dass sie Probleme mit dem Vertrieb bekommen. Im schlimmsten Falle werden ab demnächst regierungskritische Zeitungen nicht mehr so leicht zu bekommen sein. Das Ende vom Lied ist, dass die türkischen Medien, die schon seit Jahren unter einem enormen Druck der Regierung zu leiden haben, sich nun vor der realen Gefahr einer Gleichschaltung befinden. Vor dem alles entscheidenden Wahljahr 2019 ist der Verkauf der Doğan-Gruppe mehr als nur eine wirtschaftliche Randnotiz. 

Aret Demirci ist Projektkoordinator im Stiftungsbüro in Istanbul.