EN

Die Kurdenfrage

Ein unverändertes Problem ohne Aussicht auf Verbesserung
Kurdische Demonstration in Istanbul

Kurdische Demonstration in Istanbul

© cemT/Shutterstock.com

Seit dem Erscheinen des ersten Bulletins ist die Haltung der Regierung gegenüber den politischen Vertretern der Kurden grundsätzlich unverändert geblieben. Sie werden als Bedrohung für „die unteilbare Integrität/Einheit des Staates und seines Volkes“ wahrgenommen. Aus diesem Grunde war das durch das Verfassungsgericht im Dezember 2009 erlassene Verbot der DTP keine große Überraschung.

 
Vor 10 Jahren im Türkei Bulletin

Vor 10 Jahren im Türkei Bulletin

© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Bis zur Gründung der HDP, die heute als die politische Vertretung der Kurden verstanden wird, sind sechs kurdische Parteien gegründet und verboten worden. Die weitgehend den Sicherheitskräften überlassene Kurdenfrage, Terroranschläge in den Jahren des Ausnahmezustandes, Staatsterrorismus, ungelöste Morde und schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen haben zum wachsenden Misstrauen gegenüber dem Staat und zur Stärkung des kurdischen Nationalismus geführt. Zwangsmigration, Arbeitslosigkeit und schnelle Urbanisierung erschweren die Lösung des Problems.

Der im März 2009 gestartete Friedensprozess wurde mit Unterbrechungen fortgesetzt. Weitere Schritte, wie die Entwaffnung der PKK, die Einrichtung eines kurdischen Fernsehkanals im staatlichen Sender TRT und der Unterricht der kurdischen Sprache Kurmandschi als Wahlfach an Schulen, wurden unternommen.

Am 21. März 2013 forderte Öcalan die PKK auf, die Waffen niederzulegen. Jedoch führte die mangelnde Bereitschaft der PKK, dieser Forderung nachzukommen, zur Fortsetzung bewaffneter Konflikte. Als Präsident Erdogan die Angriffe des IS auf die zumeist von Kurden bewohnte nordsyrische Stadt Kobane mit der Bemerkung kommentierte „Kobane ist gefallen“, löste dies Unruhen unter der kurdischen Bevölkerung der Türkei aus. Bei den vom 7. bis 10. Oktober 2014 landesweit stattfindenden Kobane-Protesten verloren 50 Menschen bei Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten ihr Leben. Die am 28. Februar 2015 erzielte Aussöhnung zwischen der Regierung und der HDP sorgte für Optimismus im Land. Nach dem Verlust der absoluten Mehrheit für die AKP bei der Parlamentswahl im Juni 2015 wandte sich Erdogan allerdings einem nationalistischeren Kurs zu und beendete den Friedensprozess. Zur gleichen Zeit begann die PKK unter dem Leitspruch „Selbstbestimmungsprobe“ („özerklik provası“) in zahlreichen Provinzen des Südostens der Türkei Gräben auszuheben. Dem aber wurde durch umfangreiche Einsätze der Sicherheitskräfte ein Ende gesetzt; viele Häuser wurden zerstört, mehr als 100 Menschen verloren ihr Leben. In zwölf Bezirken waren circa 200.000 Menschen gezwungen, ihre Häuser zu verlassen.

Nach den Parlamentswahlen am 1. November 2015 stieg durch die wiedererlangte absolute Mehrheit der AKP der Druck auf die HDP und die Kurden. Unter dem Vorwand  einer angeblichen „Unterstützung des Terrors“ wurden in Städten und Dörfern des Südostens über 100 Bürgermeister aus ihrem Amt entfernt. Aufgrund der Terroranschuldigungen gegen die HDP wurde mit einer Verfassungsänderung im Mai 2016 die Immunität vieler HDP-Abgeordneter aufgehoben; elf Abgeordnete, einschließlich der beiden Vorsitzenden Demirtaş und Yüksekdağ, wurden festgenommen. Die Verfahren laufen noch. Am 20. Februar 2017 wurde gegen die Verhaftungen Einspruch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt. Die Entscheidungen stehen aus.

Während die gegenwärtige Militäroperation in Nordsyrien („Operation Olivenzweig“) in der Türkei weithin als Reaktion auf  eine „ernsthafte Bedrohung für die Integrität“ des Landes  akzeptiert wird, werden Kritiker des Militäreinsatzes des Hochverrats beschuldigt. Die sich gegen das militärische Vorgehen positionierende HDP wird von der AKP-Propaganda  in Zusammenhang mit der PKK gebracht, womit die Regierung ihre gegen HDP-Mitglieder gerichtete Einschüchterungspolitik  legitimiert. Sollte die Militäroperation im Wahlkampf zu den 2019 bevorstehenden Wahlen instrumentalisiert werden, so kann man unschwer voraussagen, dass eine Lösung der Kurdenfrage in näherer Zukunft nicht in Sicht ist.