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Deutsche Einheit
„Die beste Problemlöserin ist die Wahrheit“

Zeitzeugen und Experten diskutieren über die Arbeit der Treuhand
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Karl-Heinz Paqué im Gespräch mit André Steiner, Michael Burda und Reinhard Hübsch © Lukas Axiopoulos, KAS  

Die Tätigkeit der Treuhandanstalt ist in den letzten Jahren verstärkt zum Gegenstand medialer und politischer Kontroversen geworden. Bis heute wird die Treuhand aus vielen Perspektiven betrachtet und ist mit großen Emotionen verbunden. Inzwischen hat auch die historische Forschung begonnen, sich mit dem Thema zu befassen.

Die Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. und die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit diskutierten auf einer Kooperationsveranstaltung in Dresden mit Zeitzeugen und Experten über Stand und Perspektiven der historischen Forschung zur Treuhandanstalt. Dabei sollte die Arbeit der Treuhand vor dem Hintergrund des schwierigen Erbes der DDR, im Kontext der damaligen politischen Rahmenbedingungen sowie im Lichte der Erkenntnisse der historischen Forschung betrachtet und nach ihrer Bedeutung für die aktuelle Debatte über Ostdeutschland diskutiert werden.

Dabei geht es vor allem darum, wie Dr. Joachim Klose, Leiter des Politischen Bildungsforums Sachsen der Konrad-Adenauer-Stiftung betonte, die Fakten zur Kenntnis zu nehmen: Die historische Aufarbeitung der Treuhandarbeit ziele auch darauf ab, „jeder Form von Populismus und Opfergebaren Einhalt zu gebieten.“

Das Erbe der DDR

Wie André Steiner, Wirtschaftshistoriker am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam, feststellte, hätte die DDR wirtschaftlich noch einige Jahre weiter existieren können. Der Zusammenbruch war in erster Linie ein politischer und gesellschaftlicher. Das grundsätzliche wirtschaftliche Problem sei dagegen die kaum noch beherrschbare Überschuldung gewesen – langfristig sei ein Bankrott der DDR unumgänglich gewesen.

Michael Burda, Volkswirt an der Berliner Humboldt-Universität, ergänzte, die interne Konsistenz der DDR sei davon abhängig gewesen, dass die Länder des Ostblocks als Einheit funktionierten. In dem Moment, in dem die Sowjetunion in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet, stand auch die DDR vor großen Schwierigkeiten. Die in der DDR produzierten Produkte waren in den 80er-Jahren – wenigen Ausnahmen – wirtschaftlich nicht mit westdeutschen Produkten nicht kompetitiv und absetzbar.

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Darin differenzierte Karl-Heinz Paqué, Volkswirt und Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Man müsse, so Paqué, den Zustand der DDR im jeweiligen Umfeld betrachten. Innerhalb des planwirtschaftlichen Systems Osteuropas war der Zustand der DDR vergleichsweise gut. Bewertet am damaligen Weltmarkt in einem offenen System sei der Zustand jedoch desolat gewesen. Dabei seien die mangelnde Ineffizienz oder der drohende Bankrott nicht die vorwiegenden Probleme. In den 40 Jahren der DDR-Existenz war eine globalisierte Arbeitsteilung entstanden, an der die DDR nur in geringem Maße teilhatte. Entsprechend fanden die Produkte der DDR auf dem globalen Markt keinen Absatz – es fehlte an Innovation und Effizienz. Nach dem Mauerfall hätten die Produkte mit Löhnen produziert werden müssen, die den Menschen Perspektiven geboten hätten, dafür aber marktwirtschaftlich nicht absetzbar gewesen wären. Mit dem Mauerfall brach das System zusammen.

Michael Burda stellte dem entgegen, die DDR habe sich bereits in den 70er-Jahren abgeschafft: Der Kapitalstock sei nicht mehr gewachsen, Investitionen in Innovationen blieben aus. Die Wirtschaft lebte vornehmlich von der Substanz – insbesondere mit Blick auf Umweltaspekte. Entsprechend sei Ende der 80er-Jahre nicht mehr viel zu retten gewesen: Eine realistische Möglichkeit, die Abwanderung aus dem Osten zu verhindern, bestand nicht mehr.

Karl-Heinz Paqué befasst sich mit der Wiedervereinigung aus ökonomischer Perspektive
Karl-Heinz Paqué befasst sich mit der Wiedervereinigung aus ökonomischer Perspektive © Lukas Axiopoulos, KAS

Die 70er-Jahre nahmen in der Diskussion einen besonderen Schwerpunkt ein: Westdeutschland wurde in den 70er von schweren wirtschaftlichen Krisen heimgesucht, wodurch Millionen Arbeitsplätze verloren gingen. Durch die „Anpassungskrise“ (Paqué) fand jedoch ein umfassender und notwendiger Strukturwandel statt – ein Wandel, den Ostdeutschland nicht erlebt hat. Langfristig betrachtet konnte die Wirtschaft der DDR so nicht mehr mit den modernisierten westdeutschen und weltweiten Märkten mithalten.

Die mangelnde Innovationskraft der ostdeutschen Wirtschaft betonte auch Michael Burda: Die Planwirtschaft habe der Wirtschaft sämtliche Innovationskraft genommen, ein stabiler Mittelstand sei bis heute nicht vorhanden. Nach der Wiedervereinigung hätten dann westdeutsche Unternehmen die ostdeutschen Marken – ob innovativ oder nicht – übernommen und entwertet. Dies sei allerdings, so Paqué, bereichsabhängig: In der Konsumgüterindustrie habe die Privatisierung verhältnismäßig gut funktioniert (die Sektmarke Rotkäppchen ist heute Marktführer). Betrachte man dagegen den Technologiebereich, in dem Markennamen eine deutlich geringere Bedeutung haben, sei eine Privatisierung deutlich schwerer umsetzbar gewesen.

In der DDR gab es Wachstum ohne Strukturwandel

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Karl-Heinz Paqué

Wie Prof. Steiner zum Abschluss des ersten Panels festhielt, scheiterte die wirtschaftliche Weiterentwicklung der DDR letztendlich an politischen Grenzen: Die politischen Verantwortlichen dachten aus Schutz vor dem System nicht über marktwirtschaftliche Reformen hinaus. Wirtschaftliche Rationalität war zwar vorhanden, traf aber auf keine politische Resonanz.

Politische Rahmenbedingungen und die Praxis der Treuhand

Auf die politischen Rahmenbedingungen und die Praxis der Treuhandanstalt blickten anschließend die Experten des zweiten Panels. Wolf Klinz, Vorstandsmitglied der Treuhandanstalt von 1990 bis 1995, blickte auf die organisatorischen Schwierigkeiten zurück. Es habe erst den Einsatz von Detlev Rohwedder gebraucht, um „funktionale Verantwortlichkeiten“ zu definieren – ein Masterplan habe es nicht gegeben. 

Dies war nicht zuletzt den verschiedenen Interessensgruppen geschuldet: Eine Regierung sei nicht geeignet, fast 15.000 Betriebseinheiten in der DDR zu verwalten, betonte Johannes Ludewig, Leiter der Abteilung Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie Koordinator für die neuen Bundesländer im Bundeskanzleramt 1991-1997. Es habe Manager mit Markterfahrung gebraucht, die Herausforderungen, vor denen die Treuhand stand, zu bewältigen. 

Dem stimmte auch Bernhard Vogel, Thüringer Ministerpräsident a. D., zu: Niemand hatte mit der Wiedervereinigung gerechnet. Ein Neubeginn war unabwendbar. Zentrale Frage war jedoch, wie dieser gestaltet werden könne: „Wie macht man aus der maroden Wirtschaftsordnung eine wettbewerbsfähige?“ Die Treuhand habe – trotz Fehlern – wichtige Arbeit geleistet. Die Treuhand habe verhindert, dass Ostdeutschland zu einem „Süditalien“ wurde. Der Treuhand sei es gelungen, die Deindustrialisierung Ostdeutschlands zu verhindern.

Dennoch haben die Politik und Treuhand auch Fehler gemacht, so Ludewig: Die psychologische Beziehung der Menschen zu ihren regionalen Unternehmen wurde von der Treuhand nicht ausreichend erkannt und wertgeschätzt. Dass die Zentralen aller Dax-Unternehmen in Westdeutschland sitzen, sei dafür symptomatisch. Zudem werde die Leistung der Ostdeutschen nach der Einheit bis heute zu wenig anerkannt – Gespräche auf Augenhöhe würden zu wenig geführt. 

Dialog gefordert

Einen gesellschaftlichen Dialog forderten auch die Treuhandforscher auf dem dritten Panel des Tages. Marcus Böick, Historiker an der Ruhr-Universität Bochum und Autor des Werkes "Die Treuhand. Idee - Praxis - Erfahrung 1990-1994" erläuterte die große Diskrepanz in der gesellschaftlichen Wahrnehmung der Treuhand: Umfragen hätten gezeigt, dass die Arbeit der Treuhand vor allem Ostdeutsche über 40 Jahre stark emotionalisiert. Im Vergleich zeigten jüngere (West-)Deutsche nur äußerst geringes Interesse an der Aufarbeitung des „Treuhand-Komplexes“ (Pötzl). Die Auswirkungen zeigen sich heute im politischen Rechtsruck in Ostdeutschland. Neue Dialogformate können helfen, das Wirken der Treuhand generationsübergreifend aufzuarbeiten – ganz ohne Schuldzuweisungen. Neben Marcus Böick forderten auch Dierk Hoffmann, Historiker am Institut für Zeitgeschichte Berlin, und Norbert F. Pötzl vom Spiegel, die Treuhand jüngeren Generationen näherzubringen. „Das Thema gehört auf die Agenda von Schulen und Hochschulen.“

Prozess mit Schweiß und Tränen

Das letzte Panel des Abends leitete Bundestagspräsident a.D. und Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V., Norbert Lammert, ein. Laut Lammert rufe kein Thema mit Bezug zur Deutschen Einheit solch große Kontroversen hervor, wie die Treuhand – ob Mauerfall, Währungsunion oder Einheitsvertrag. Lammert führt dies darauf zurück, dass die Treuhand stark in die Lebenswirklichkeit der Menschen einwirkte. Ziel der Treuhandforschung müsse es daher sein, sich mit dem Thema gründlich und nüchtern auseinanderzusetzen – auch um der Instrumentalisierung der Debatte für politische Zwecke entgegenzuwirken. Aus dem „Gewaber von Vermutungen, Behauptungen und Verleumdungen“ sollen Sachverhalte destilliert werden, forderte Lammert. 

 

Norbert Lammert eröffnete das vierte Panel des Abends
Norbert Lammert eröffnete das vierte Panel des Abends © Lukas Axiopoulos, KAS

So widmeten sich die Zeitzeugen Richard Schröder, SPD-Fraktionsvorsitzender in der frei gewählten Volkskammer der DDR 1990, und Franz Schuster, Thüringer Wirtschaftsminister a.D., der konkreten Wirkungsgeschichte der Treuhand. Die Treuhand wurde noch von der Volkskammer der DDR eingesetzt. Schnell sei jedoch der Mythos aufgekommen, so Schröder, dass die Treuhand lediglich existiere, um die westdeutsche Industrie vor ostdeutschen Betrieben zu schützen. Es entstand ein Narrativ, nachdem die Treuhand eine rein westdeutsche Institution gewesen sei. Dass es auch im Osten den Ruf nach westdeutschen Investoren gab, werde oft vergessen – ebenso die Tatsache, dass ein ähnlicher wirtschaftlicher Prozess auch in den anderen ehemaligen sozialistischen Ländern vonstattenging. Die Privatisierung sei überall ein „Prozess mit Schweiß und Tränen“ gewesen. Lediglich in Deutschland fungiere die Treuhand als „Blitzableiter“ für alle auftretenden Probleme.

Die mangelnde Kenntnis über die Arbeit der Treuhand führe auch zu politischen Problemen, ergänzte Franz Schuster: Populisten von links und rechts versuchen gezielt die Treuhand als Sündenbock für die wirtschaftlichen Probleme des Ostens zu instrumentalisieren. Dagegen helfe nur eine faktenbasierte Aufarbeitung des tatsächlichen Geschehens. Darin zeige sich erneut: „Die beste Problemlöserin ist die Wahrheit.“