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Der Eros gerät in Verruf

Die Metoo-Diskussion droht sich zu verselbstständigen und Frauen und Männer auseinanderzudividieren
Metoo

Macht als sexuelles Druckmittel?

© Kameleon007/ iStock / Getty Images Plus

Dieser Artikel ist zuerst erschienen im liberal-Magazin 01.2018.

Harvey Weinstein, Kevin Spacey, Dustin Hoffmann, Dieter Wedel – die Liste der Filmgrößen, die sich offenbar über Jahre und Jahrzehnte hinweg sexuell übergriffig gegenüber Frauen und Männern, teilweise sogar gewalttätig verhalten haben, ist beeindruckend wie illuster.

Auffällig alte Männer sind es allesamt, deren beste Zeit ebenso lange zurückliegt wie die Hochphase ihrer Macht. Eine Macht, die ihnen ihre Übergriffe erlaubte und wirksam verhinderte, dass die Betroffenen in die Öffentlichkeit gingen – aus Scham und Furcht, als Lügner dazustehen. Eine Macht, die Geldgeber, Geschäftspartner und Angestellte wegschauen ließen. Allerdings waren die Eskapaden und narzisstischen Ausfälle der Altmachos auch gesellschaftlich toleriert. Als zum Beispiel Dieter Wedel Ende der 1990er-Jahre den „König von St. Pauli“ drehte, machten in der Boulevardpresse Berichte die Runde, nach denen der Star-Regisseur seine damalige Hauptdarstellerin Julia Stemberger mit recht unkonventionellen Mitteln dazu gebracht hatte, sich dem Fernsehpublikum in einer Stripszene mehr als offenherzig zu präsentieren. Damals wurde das mit einem Schulterzucken quittiert. Heute wäre ein Shitstorm das Mindeste, was Wedel zu erwarten hätte. Aber früher war es eben anders.

Unter dem Begriff #MeToo wird heute darüber debattiert, wie es Frauen und Männer miteinander halten wollen und sollen – und welche Rolle Macht dabei spielt. Nicht jeder Gedanke, der dabei in die Diskussion geworfen wird, ist unbedingt klug – wie etwa der, dass die Frauen, die zum Vorsprechen abends ins Hotelzimmer oder Büro der genannten Herren gebeten wurden, doch hätten wissen müssen, was da auf sie zukommt. Das wäre in etwa Stand der Diskussion der 1970er-Jahre, wonach Frauen, die nachts unterwegs sind und einen Minirock tragen, es selbst schuld seien, wenn sie vergewaltigt werden.

Die US-Schauspielerin Sharon Stone hat dem indirekt einen ebenso klugen wie vielsagenden Kommentar entgegengesetzt: Sie reagierte mit einem lauten Lachen auf die Frage eines CBS-Reporters, ob sie in Hollywood schon einmal „in einer unangenehmen Situation“ gewesen sei. „Ich bin seit 40 Jahren in diesem Geschäft. Können Sie sich das Geschäft vorstellen, in das ich vor 40 Jahren hineingekommen bin? So, wie ich ausgesehen habe?“, sagte die 60-Jährige.

 

Rose McGowern
Ein Opfer von vielen: Die Schauspielerin Rose McGowern hat mit ihren öffentlichen Anschuldigungen gegen Filmmogul Harvey Weinstein die #MeToo-Debatte ins Rollen gebracht. © Creative Commons/Attribution 2.0 Generic/pinguino k

Es muss nicht immer Macht und Geld sein

Ironischerweise gibt es im wohl bekanntesten Film mit Stone, dem Thriller „Basic Instinct“, eine explizite Szene, in der Michael Douglas seine Filmpartnerin Jeanne Tripplehorn quasi vergewaltigte. Douglas spielt einen Detective, Tripplehorn seine Psychologin. Auch wenn es eine fiktionale Erzählung ist – es müssen nicht immer Macht und Geld sein, die den Ton des sexuell Übergriffigen vorgeben. Mitunter ist es eben doch animalische, rohe Physis. In die Debatte, die mit Vehemenz vor allem in den sozialen Medien geführt wird, mischen sich zunehmend besorgte Stimmen. Anfang des Jahres haben die französische Filmschauspielerin Catherine Deneuve und weitere Frauen in einem Gastbeitrag für die Tageszeitung Le Monde vor einer Verselbstständigung der Diskussion in Richtung eines pauschalen Männerhasses gewarnt, der „das Klima einer totalitären Gesellschaft“ erzeugt. Die Frauengruppe sorgt sich um den Verlust der sexuellen Freiheit in unserer Gesellschaft und mahnt ein differenziertes Betrachten an. „Vergewaltigung ist ein Verbrechen. Aber hartnäckiges oder ungeschicktes Flirten ist kein Delikt, und eine Galanterie auch keinechauvinistische Aggression.“ Deneuve und ihre Mitstreiterinnen, unter ihnen auch die Autorin Catherine Millet, verteidigen „eine Freiheit, jemandem lästig zu werden, die für die sexuelle Freiheit unerlässlich ist“.

Ihren französischen Geschlechtsgenossinnen zur Seite springt in Deutschland Barbara Vinken. „Der Brief der 100 Französinnen hat recht, dass es eine Sprache über den Eros geben muss, in dem Frauen nicht Opfer, sondern Subjekte des Begehrens sind“, sagte die Professorin, die in München Romanistik lehrt, der Süddeutschen Zeitung. In #MeToo halt für sie der puritanische Diskurs nach, der Verführung ausnahmslos als Machtmissbrauch brandmarkt. Dennoch sagt sie klar: „Für den Kampf gegen Machtmissbrauch und Demütigung ist #MeToo wichtig. Aber wir müssen auch für eine Kultur der Verführung, für die Kunst der Libertinage, für die Freiheit der Liebe kämpfen.“ Wie viele andere stellt sie sich die Frage, wie Frauen und Männer überhaupt noch unbefangen zusammenkommen können. „Ich halte diese formalistische Vorstellung von Konsens für ein Todesurteil in Sachen Erotik … wenn Männer nicht Liebhaber sein dürfen, die mit ihrer und unserer Stärke, die unsere Schwäche ist, umgehen können, ist es schlecht um die Kultur bestellt.“

Genies brauchen Frauen, um Genies zu sein

Einen aufschlussreichen Blick auf Macht aus weiblicher Sicht – vorzugsweise am Filmset – liefert Regisseurin Doris Dörrie in ihrem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Darin weist sie darauf hin, dass das „männliche Genie immer andere in einer betonharten Hierarchie um sich herum braucht, die dafür sorgen, dass das Genie in Ruhe Genie sein kann. Für Frauen gibt es noch die hübsche Funktion der Muse.“ In der aufgeregten Debatte stellt sie heraus, was vorübergehend unterzugehen drohte: nämlich „dass Frauen mitnichten die besseren Menschen sind. Es gibt Regisseurinnen, die richtig ekelhaft sind, und reizende Regisseure, die alles andere sind als Tyrannen“. Somit ist es auch nicht allein Männern vorbehalten, dem Reiz der Macht zu erliegen und daran festzuhalten: „Es gibt das Prinzessinnen-Syndrom, das manche Frauen befällt, die eine Machtposition innehaben, aber dort gerne die einzige bleiben wollen und deshalb wieder nur Männer beschäftigen“, hat Dörrie beobachtet.

So steht denn bei #MeToo auch die Frage im Raum, wie wir als Gesellschaft mit Macht umgehen wollen und mit den Menschen, die damit unterschwellig oder offen, sexuell subtil oder ungehemmt aggressiv agieren. „Nur nette Macht gibt es nicht, sonst wäre es nicht die Macht“, stellt Dörrie treffenderweise fest und verweist auf Frank Zappa. Der hatte einst gesagt: „The boss is always the asshole.“ Verbal gesehen nicht unbedingt gute Kinderstube, aber er trifft den Kern von Macht. „Das hat nichts mit Despotismus und Machtmissbrauch zu tun, sondern mit Ausfechten und Aushalten von Führungspositionen“, findet Regisseurin Dörrie.

Peter Hein ist freier Journalist, ledig und objektiv gesehen in nicht mehr heiratsfähigem Alter. Die #MeToo-Diskussion verfolgt er von Anfang an und fragt sich mittlerweile, ob es noch möglich ist, einer Frau ein Kompliment zu machen, ohne dass dies gleich als subtile Form der sexuellen Belästigung wahrgenommen wird.