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Demonstrationen
Thailand: Die Jugend geht auf die Straße

Tausende Studenten fordern in Thailand demokratische Reformen. Mit ihren kreativen Demonstrationen könnten sie ein neues Kapitel in der turbulenten politischen Geschichte des Landes aufschlagen.
Zehntausende Menschen protestierten in Thailand gegen die Regierung.
Zehntausende Menschen protestierten in Thailand gegen die Regierung. © picture alliance / ZUMAPRESS.com | Chaiwat Subprasom

Zuerst zeigte sich der Frust nur online. Jetzt organisieren die jungen Menschen kreative Massenproteste. In Thailand fordern Tausende eine neue Verfassung, freie Wahlen und ein Ende der Schikanen gegen Aktivisten.

Es war die größte Demonstration seit dem Staatsstreich im Jahr 2014: Nach mehreren Jahren relativer politischer Ruhe haben sich vor zwei Wochen tausende Thailänder an einem Protest in Bangkok beteiligt. Die Menschen kamen bunt verkleidet und streckten ihre Hand zum 3-Finger-Gruß in die Höhe – eine Geste aus der TV-Serie „Hunger Games“, die zum Erkennungszeichen der Bewegung geworden ist.

Was wie ein Straßenfest aussah, könnte sich zu einem weiteren kritischen Punkt in der turbulenten Geschichte des Landes entwickeln. „Thailands politische Situation ist heikel und explosiv", warnte Ake Tangsubwattana, Dekan der Fakultät für Politik der Chulalongkorn-Universität.

Im Land ist eine neue Demokratiebewegung entstanden und sie ist vor allem im Internet bestens organisiert. Ihre Mitglieder, darunter viele Studenten und Schüler, fordern mehr politische Teilhabe und Bürgerrechte in einem Land, das viele Politologen als eine defekte Demokratie bezeichnen. Mehr noch, einige Mitglieder der neuen Bewegungen fordern sogar eine Debatte über die mächtigste Institution des Landes: die Monarchie, die laut Gesetz niemand kritisieren darf. Wer es dennoch wagt, riskiert lange Gefängnisstrafen.

Die meisten der Protestierenden gehen nicht so weit. Die Bewegung „Free People“, die prominenteste Gruppe, hat drei Forderungen an die gegenwärtige Regierung. Der erste Punkt ist die Auflösung des Parlaments sowie anschließende freie und faire Wahlen. Der zweite Punkt ist das Ende der Schikane von Aktivisten. Drittens verlangen sie eine neue, demokratischere Verfassung.

Thailand Proteste
© Adirach Toumlamoon / Shutterstock.com

Die Jugend stellt ihre Forderungen nicht nur auf der Straße. Das Internet spielt eine wichtige Rolle bei der Mobilisierung von Anhängern und der Organisation der Proteste. Auf Twitter nutzt jede Gruppe einprägsame Hashtags. Die Facebook-Seiten der Bewegungen Free People oder der Student Union of Thailand sind Hubs für unzufriedene Jugendliche geworden, auf der sie lustige Aktionen der nächsten Proteste absprechen. Ihre Demonstrationen verwandeln sich so zu Paraden, die noch jüngere Menschen anziehen. Kürzlich schlossen sich sogar Sekundarschüler der Bewegung an: Sie erhoben jüngst während des Morgenappels auf dem Schulhof ihre Hand zum Drei-Finger-Gruß.

In einem Land mit eingeschränkter Pressefreiheit haben die Jugendlichen dank des Internets auch besseren Zugang zu Informationen. Allerdings schränkt der Staat die öffentliche Debatte auch im Netz immer weiter ein. So hat die Regierung kürzlich Facebook gezwungen, eine bei den Regierungskritikern beliebte Seite zu blockieren.

Auch wenn in Thailand im März 2019 Wahlen stattfanden, kann das Land nicht als echte Demokratie betrachtet werden. Das Militär nutzte seine Regierungszeit nach dem Putsch 2014, um seine Macht zu zementieren. Vor allem aber haben die Generäle eine neue Verfassung entworfen. Die neue Charta räumt einem vollständig ernannten Senat eine wichtige Rolle bei der Wahl des Premierministers ein. Zwar wurde 2016 die Verfassung in einem von der Junta abgehaltenen Referendum angenommen. Allerdings kontrollierte die Armee die öffentliche Debatte über den Charta-Entwurf.

Die neue Verfassung half Putschist Prayuth Chan-ocha, auch nach der Wahl 2019 als Regierungschef an der Macht zu bleiben. Für Unzufriedenheit sorgte auch eine umstrittene Entscheidung des Verfassungsgerichts: Es befand die Finanzierung der Future Forward Party (FFP), die bei jungen Wählern äußerst erfolgreich war, als unzulässig und löste die Partei auf.

Auf das Urteil folgte Anfang des Jahres die erste Protestwelle. Unterstützer der FFP und Studenten organisierten kleinere Flashmobs im ganzen Land, vor allem an Universitäten. Menschenrechtsaktivisten und Anwälte unterstützten ihre Forderungen. Doch dann beendete die Ausbreitung von Covid-19 die Proteste abrupt. Die Demonstranten zogen sich nicht nur aus Angst vor dem Virus zurück. Die Regierung verhängte auch ein Notstandsgesetz, das öffentliche Versammlungen verbot.

Doch die Pandemie beendete nicht den Frust. Covid-19 könnte die Spannungen zwischen der thailändischen Regierung und einigen Teilen der Gesellschaft eher noch verstärken. Die Pandemie hat die thailändische Wirtschaft hart getroffen. Der wichtige Tourismussektor liegt darnieder. Den zahlreichen Exportunternehmen brechen auf der ganzen Welt die Kunden weg.

Mit drastischen Maßnahmen gelang es der Regierung zwar, die Krankheit erfolgreich einzudämmen. Die Beamten machten jedoch Fehler bei der Abfederung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie. So verlief beispielsweise die Verteilung von Soforthilfe für Bedürftige äußerst chaotisch. Die Versäumnisse führten dazu, dass sich auch Tagelöhner und Slumbewohner der Bewegung anschlossen.

Auch wenn die Pandemie in Thailand besiegt zu sein scheint, ist das Notstandsgesetz immer noch in Kraft. Die Regierung versuchte bisher nicht, die Proteste gewaltsam aufzulösen. Sie leitete aber rechtliche Schritte gegen einige ihrer Führer ein. Besonders kritischste und prominente Aktivisten, unter ihnen der Menschenrechtsaktivist Arnon Nampha, wurden verhaftet und wegen Aufruhrs angeklagt. Regierungsbeamte machen außerdem Hausbesuche, um die jungen Demonstranten und ihre Eltern zu einzuschüchtern.

Trotz der Verhaftung einiger Anführer werden die Proteste höchstwahrscheinlich weitergehen. Die Aktionen der Regierung könnten den Zorn der Menschen sogar noch verstärken. Premierminister Prayuth verspricht zwar, die Sorgen der Demonstranten ernst zu nehmen. Er scheint aber nicht zu größeren Zugeständnissen bereit zu sein.

Mit rein symbolischen Maßnahmen werden sich die Studenten kaum zufriedengeben. Dank ihrer dezentralen Organisationsstruktur im Internet benötigen sie keine starke Führung wie frühere Protestbewegungen. Die nächsten Demonstrationen haben sie für den 19. September geplant – sie sollen im gesamten Land stattfinden. In keinem Land putschte das Militär häufiger als in Thailand, die Hauptstadt Bangkok erlebte immer wieder blutige Straßenkämpfe. Wie dieses Kapitel der Geschichte des Landes enden wird, ist unmöglich vorauszusagen.

Husai Chantarawirod ist Regional Program Officer im Regionalbüro für Südost- und Ostasien in Bangkok.