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Demokratiebewegung
Hong Kong: „Eine Idee lässt sich nicht umbringen“

Hong Kong Lam Wong
Die drei Aktivisten vor ihrem Gerichtstermin am Montag. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Vincent Yu

Keine Überraschungen

Joshua Wong, Agnes Chow und Ivan Lam sind heute in Hong Kong zu Haftstrafen verurteilt worden. Zuvor hatten sie sich verschiedener Vergehen schuldig bekannt, unter anderem der Teilnahme, Anstiftung und Organisation nicht genehmigter Versammlungen. Die dafür vorgesehenen Strafen sind hart – bis zu drei Jahre Haft drohten den Aktivist:innen. Das Gericht hat das Strafmaß nicht ausgeschöpft, und die Angeklagten zu 13,5, 10 und 7 Monaten Haft verurteilt. Die Aktivist:innen bekannten sich wahrscheinlich schuldig, weil ihnen klar war dass sie verurteilt werden würden. Ein Schuldeingeständnis wird meistens strafmildernd berücksichtigt. Dass die zuständige Richterin nicht das Höchstmaß der Strafe verhängte, war vermutlich ebenfalls taktisch begründet: So kann man sich den Anschein von Milde und einem Rest Rechtstaatlichkeit geben. Das kann aber nicht davon ablenken, dass es harte Strafen sind. Die Isolationshaft bei dauerhaft angeschaltetem Licht, der Joshua Wong in seiner Untersuchungshaft ausgesetzt war, spricht jedenfalls nicht von Milde.

Interview

Trauriger November in Hongkong: Erst wurden auf Veranlassung Pekings vier Oppositions-Parlamentarier suspendiert. Chinas Staatspresse bezeichnete sie als Störenfriede, die unfähig seien, ihre Pflichten zu erfüllen. Daraufhin traten in Hongkong alle Parlamentarier der demokratischen Opposition zurück. Nun kamen die prominenten Demokratie-Aktivist*innen Joshua Wong, Ivan Lam und Agnes Chow in Haft. Sie bekannten sich schuldig, 2019 illegale Straßenproteste organisiert zu haben. Wie geht es weiter?

Im vergangenen Jahr gingen in Hongkong Millionen von Menschen auf die Straße. Sie protestierten gegen zunehmende Einflussnahme Pekings und wollten ihre Freiheit bewahren. Es folgten Tausende Festnahmen, Corona und ein drakonisches Sicherheitsgesetz. Seitdem hat Peking die Oberhand. Anna Marti, Chinaexpertin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, erklärt im Interview, warum der Kampf für Demokratie in Hongkong nun aussichtslos erscheint.

Frau Marti, wird Hongkongs Demokratiebewegung nun endgültig zerschlagen?

Für Demokraten sieht es in Hongkong jetzt tatsächlich düster aus. Seitdem das sogenannte Sicherheitsgesetz in Kraft getreten ist, hat sich Peking mit großer Gründlichkeit drangemacht, die Demokratiebewegung auszulöschen. Und auf der physischen Ebene mag das gelungen sein: Die massenhaften Demonstrationen für mehr Demokratie vom Sommer vergangenen Jahres sind längst Geschichte, im Parlament sitzen keine demokratischen Abgeordneten mehr.

Aber eine Idee lässt sich nicht umbringen, und die Idee von Demokratie und Selbstbestimmung ist in Hongkong weiterhin lebendig. Die Menschen wissen, was sie wollen – und was ihnen der Vertrag zwischen Großbritannien und China von 1997 zusichert. Die Menschen in der Hongkonger Demokratiebewegung haben darauf gesetzt, dass der internationale Aufschrei Peking zum Einlenken bewegen würde. Aber diese Hoffnung wurde enttäuscht. Peking ist internationalen Reputationsschäden gegenüber unempfindlich geworden. Das lässt leider nichts Gutes erahnen für diejenigen in Hongkong, die ihre demokratischen Rechte weiterhin einfordern wollen.

Hongkongs Sicherheitsgesetz ist seit einem halben Jahr in Kraft. Was hat es bislang bewirkt?

Das sogenannte Sicherheitsgesetz hat bereits bei Bekanntgabe Schockwellen ausgelöst. Die demokratische Partei Demosistō, deren bekannteste Vertreter Joshua Wong, Agnes Chow und Ivan Lam nun in Haft sind, löste sich umgehend auf. Viele andere Gruppierungen mit ähnlichen Zielen taten dasselbe. Und das lag nicht daran, dass man nicht gegen Gesetze verstoßen wollte – alle führenden Köpfe dieser Vereinigungen hatten zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Verfahren anhängig. Gegen dieses neue Gesetz mit seinen drakonischen Strafen wagte man aber nicht, zu verstoßen: In besonders schweren Fällen kann man auf Grundlage des Gesetzes nun nach festlandchinesischem Recht und von festlandchinesischen Richtern verurteilt werden, und zwar für zehn Jahre bis lebenslang – in festlandchinesischen Gefängnissen. Das, zusammen mit der Tatsache, dass Gerichte auf dem Festland eine Verurteilungsquote nahe 99 Prozent haben, zeigt, wie viel plötzlich auf dem Spiel steht.

Und so haben einige Menschen sich angesichts des Gesetzes dazu entschieden, die Stadt zu verlassen. Großbritannien hat großzügige Visaregelungen in Aussicht gestellt, Taiwan hat extra ein Büro eingerichtet um Hongkonger*innen die Ankunft in Taiwan leichter zu machen. Und wer es nicht auf legalem Weg nach Taiwan schafft, der versucht es bei Nacht und Nebel mit Booten. Allerdings: Wer dabei erwischt wird, wird verhaftet.

Das sogenannte Sicherheitsgesetz hat, neben den strafrechtlichen Bestimmungen, Peking auch institutionell weitreichenden Einfluss gegeben: Ein neues Sicherheitsbüro wurde eingerichtet, dessen festlandchinesisches Personal Immunität in Hongkong genießt. Dazu wurde eine Kommission eingerichtet, die für die Durchsetzung des Gesetzes zuständig ist. Die Kommission wird geleitet von einer Person, die von Peking direkt eingesetzt wird. Hongkongs Rechtstaatlichkeit, die für viele Firmen ein Grund war, sich mit ihren regionalen Hauptquartieren hier anzusiedeln, ist unberechenbar geworden.

Aufgrund der Entwicklungen in Hongkong fragt man sich regelmäßig, was wohl als nächstes passieren könnte. Womit rechnen Sie?

Pekings Ziel ist klar – aus „Ein Land – Zwei Systeme“, soll „Ein Land – Ein System“ werden. Und auf diesem Weg befindet sich Hongkong. Seitdem das Parlament in Hongkong keine Opposition mehr hat, gleicht es dem festlandchinesischen Parlament noch ein Stück mehr. Die Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam findet das übrigens „rationaler“, wenn ein Parlament keine Opposition hat. Mit Demokratie hat das nichts mehr zu tun.

Und auch der Rechtstaat wird zersetzt. Anstatt zu bewahren was übrig ist, hat der stellvertretende Direktor des Büros für die Sonderverwaltungszonen Hongkong und Macao, Zhang Xiaoming, verlauten lassen, dass der Kern des Hongkonger Rechtssystems Patriotismus sein soll. Patriotismus gegenüber der Volksrepublik, versteht sich. 

Wer wissen möchte, wie es in Honkong weiter geht, der sollte einen Blick über die Grenze werfen. Hongkong ist fahrplanmäßig auf dem Weg, eine von vielen chinesischen Städten zu werden.

Anna Marti ist designierte Leiterin des neuen FNF-Büros in Taiwan, das Anfang 2021 eröffnet wird.