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Bildung auf den Tisch

Wir präsentieren: Zeynep Dereli aus der Türkei
Zeynep Dereli

“Die Führung in der Türkei wird sich ändern und zwar viel eher als man denkt. Denn sie muss sich ändern, das Land muss sich anpassen, und zwar schnell,” sagt Zeynep Dereli, stellvertretende Vorsitzende der Demokratie und Fortschrittspartei, kurz DEVA, und Gründerin der ersten technischen K-12 Schule der Türkei, TINK. Wer wird der Hauptkatalysator dieser Änderung sein? Frauen, so behauptet sie. Denn “Frauen sind anpassungsfähig, wir haben diese intrinsische Fähigkeit dafür.” Im digitalen Zeitalter, so fügt diese Führungsperson aus der Politik und Bildung hinzu, hat die Eigenschaft der Frauen, sich anzupassen, sie konkurrenzfähiger gemacht, sie können sich neu organisieren und neue Fertigkeiten hinzulernen.

Die aufstrebende türkische Politikerin Zeynep Dereli glaubt, dass eine stärkere Vertretung von Frauen die politische Agenda zum Besseren verändern wird. Sehen Sie sich unten den Dokumentarfilm „Ein Tag im Leben von Zeynep Dereli“ an.

Documentarfilm

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Es gibt viele Gründe, der Einschätzung dieser aufstrebenden Türkischen Politikerin, Führungsperson in der Bildung, Geschäftsperson mit 20 Jahren Erfahrung in verschiedenen Sektoren und Mutter von zwei Kindern zu glauben. Wenn wir nur einen Grund hervorheben müssten, wäre das ihr fester Glaube an die grossartige Zukunft ihres Landes und seiner Frauen. “Das erste Wort, was mir in den Sinn kommt, wenn Sie mich fragen, wie ich mich nach meinem Umzug in mein Land fühle, ist hoffnungsvoll. Warum? Weil ich finde, dass es einen steigenden Bedarf für Frauen in der Politik in der Türkei gibt, als auch für Gleichstellung in allen Bereichen des Lebens.”

Zeynep Derli Portrait
© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Das Erbe der Stärkung der Frau auf dem Weg zum Comeback

Trotz des schlechten Namens, das sich die Türkei dieser Tage zum Thema Gender-Rechte macht, gibt es laut Dereli fest verankerte historische Gründe daran zu glauben, dass das Land es viel besser machen kann. “Als die Türkische Republik 1923 gegründet wurde, wurden wichtige Gesetzesreformen zur Sicherstellung der gleichen Rechte für Frauen und Männer und Bürgerrechte durchgeführt. In den 80er Jahren schaffte eine starke Frauenbewegung Bewusstsein in der Öffentlichkeit bezüglich der Verletzung der Frauenrechte und der Gewalt gegen Frauen im besonderen,” sagt sie und erinnert uns daran, dass das Land in den 90er Jahren schon eine Premierministerin hatte: Tansu Çiller.

Das Land hat in der letzten Dekade besonders hart daran gearbeitet, den Geschlechterunterschied in dem Bereich zu überbrücken, auf den sich Dereli fokussiert, und zwar der Bildung. Jedoch gibt es noch viel mehr, was für die Gleichheit getan werden könnte. “Obwohl sich ein erheblicher Fortschritt verzeichnet hat, die Gesamtzahl der in die Grundschule eingeschrieben Mädchen und Jungen zu steigern, liegt die Anzahl der Mädchen, die die Grundschule besuchen oder abschliessen immer noch hinter den Jungen.” Zusätzlich hebt sie die Gewalt gegen Frauen und die sogenannten “Ehren”morde als tiefverwurzelte, vorwiegende Probleme des Landes hervor.

Laut Dereli rühren diese Probleme von der Abwesenheit der gleichen Repräsentierung von Frauen in der Politik des Landes her. Nach den landesweiten Wahlen in der Türkei im Juni 2018 waren nur 17.32 Prozent der Abgeordneten in der Grossen Nationalversammlung der Türkei Frauen - weit unter dem globalen Durchschnitt von 25 Prozent. Auf der Kommunalebene sind Frauen sogar noch viel weniger vertreten. In den Kommunalwahlen 2019 machten Frauen 2.95 Prozent der Bürgermeister, 11 Prozent der Stadträte und 2.16 Prozent der Muhtare (Dorfvorsteher) aus. So Dereli.

Zeynep Dereli Zitat Führung wird sich ändern
© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Studien belegen, dass das Geschlecht der Abgeordneten einen klaren Einfluss auf ihre politischen Prioritäten nimmt. Somit ist es kritisch, dass es Frauen in der Politik gibt, damit sie die Anliegen von Frauen und anderen marginalisierten Wählern repräsentieren und dabei helfen, die Ansprechbarkeit der Politikgestaltung und Governance zu verbessern,” sagt Dereli. Sie fügt hinzu, dass es starke Beweise dafür gibt, dass je mehr Frauen in Ämter gewählt werden, es einen daraus resultieren Anstieg in der Politikgestaltung gibt, die sich mehr der Lebensqualität annimmt und die Prioritäten von Familien, Frauen und ethnischen Minderheiten widerspiegelt. Ihr Fazit: “Die politische Teilhabe von Frauen hat zutiefst positive und demokratische Auswirkungen auf die Gemeinden, die Legislative, politische Parteien und das Leben der Bürger und Bürgerinnen und hilft der Demokratie, das zu liefern, was sie verspricht.”

Jedoch ist Dereli des Gedankens überdrüssig, dass alle Frauen in einen Topf geworfen werden müssten. “Sie sind keine homogene Gruppe, auch nicht innerhalb eines Landes, z.B. meinem.” Laut Dereli möchten verschiedene Frauengruppen verschiedene Sachen und da sieht sie kein Problem. “Genau deswegen müssen nicht nur Frauen repräsentiert werden, sondern verschiedene Gruppen an Frauen, so dass sie diverse Themen zur Sprache bringen. Frauen in Städten und ländlichen Gebieten haben unterschiedliche Bedürfnisse, Frauen mit Kindern haben andere Prioritäten als Frauen ohne Kinder. Frauen, die arbeiten möchten, haben bestimmte Prioritäten. Die, die nicht arbeiten möchten, widerum ganz andere. Junge Frauen ähneln sich in ihren Bedürfnissen eher jungen Männern als älteren Frauen. Ich glaube, es geht hier mehr um eine gleichmäßige Repräsentierung die ganze Bandbreite hinweg.”

“Ich möchte nicht in einer Gruppe gefangen sein; Ich möchte in der Lage sein, allerlei Bedürfnisse der Gesellschaft anzusprechen, an unterschiedlichen Orten in verschiedenen Altersgruppen. Ich glaube das ist der richtige Weg in einer richtig funktionierenden Demokratie,” fasst die Politikerin zusammen.

Zeynep Dereli Zitat Frieden
© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Frauenfeindlichkeit hat nicht Zuhause begonnen

Schon vor ihrem Umzug in die Türkei und der Politik hat Dereli ihren Anteil an Sexismus abbekommen. Es ist ein öffentliches Geheimnis, dass ungleiche Behandlung in ihrem Karrierefeld wuchert: Finanzen, Investment Banking und Handel. “Ich war ihm ausgesetzt, psychologisch und manchmal auch emotional. Es hat nicht in der Türkei begonnen, es begann im Vereinten Königreich. Das wurde damals als natürlich angesehen - die Leute glaubten, dass Männer sich so verhalten würden. Sogar der Gebrauch von profaner Sprache kann abschreckend für eine Frau sein, denn wir möchten solch eine Sprache nicht hören. Das kann psychologisch missbrauchend werden. Einige Männer würden behaupten, dass ich die Karriereleiter erklimmen konnte, weil ich eine attraktive Frau bin.”

Zeynep Dereli Zitat männlicher sein müssen als Männer
© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Aus der Frustration mit der gelegentlichen Frauenfeindlichkeit, der sie den ersten zehn Jahren ihrer Karriere ausgesetzt war, verhalf ihr eine Geschichte eines ihrer wichtigsten Vorbilder und Mentoren, Lady Barbara Judge, eine Amerikanisch-Britische Rechtsanwältin und Vorreiterin für das Vorankommen von Frauen in von Männern dominierten Sektoren und den Behörden auf beiden Seiten des Atlantik. “Sie sprach davon, dass sie zu Beginn ihrer Karriere daran glaubte, sie müsse sich wie ein Mann verhalten. Sie wollte sich wie ein Mann anziehen und dem Rest der Männer auf ihrer Arbeit zeigen, dass sie mehr Mann als die Männer war. Das schafft eine gläserne Decke für Dich. Du wirst nie männlicher als die Männer sein, d.h. Du verlierst dabei. Eines Tages fragte sie ihr Chef, warum sie sich für ihre Weiblichkeit so schämen würde, für die weiblichen Werte, die sie mit sich bringt - Empathie, Teamarbeit, emotionale Intelligenz, Anpassungsfähigkeit…alles Dinge, bei denen sich Männer schwertun. Sie sagt, von dem Moment an begann sie sich wie eine Frau zu tragen, wie eine Frau zu kleiden, und sie hatte keine Angst mehr vor ihren Emotionen,” sagt Dereli.

Zeynep Dereli Zitat gläserne Decke
© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Manchmal schaffen wir uns unsere eigenen gläsernen Decken

Diese Geschichte zeigte ihr, dass sie sich ihre eigene gläserne Decke schafft, indem sie versucht mit Männern zu konkurrieren. “Wenn Du es als Nullsummenspiel betrachtest, verlierst Du.” Im Nachhinein war es diesem Verhaltenswechsel zu verdanken, dass sie ihre Emotionen als eine Bereicherung sah, die ihre analytischen Fertigkeiten komplementierten, und nicht als eine Last, was ihrer Karriere immens weitergeholfen hat. “Seitdem läuft alles gut. Der Grund, warum ich Ihnen das erzähle, liegt darin, dass viele Frauen Ähnliches durchmachen. Ich sage den Mädchen immer, dass sie sich vor ihren weiblichen Eigenschaften nicht schämen müssen, sie sollten sie annehmen und nutzen. Das Gleiche gilt für Männer - sie sollten stolz sein auf ihre männlichen Eigenschaften. Wir müssen uns so annehmen, wie wir sind.”

Zeynep Dereli ist optimistisch was die Zukunft der Stärkung der Frauen angeht, nicht nur in der Türkei. Für sie, steht das Beste für alle Frauen auf der Welt noch bevor. “Die neuen Umstände mit der COVID-19 Pandemie haben uns gezeigt, das Länder mit Frauen in der Führung diese Herausforderung besser gehandhabt haben. Ich befürchte, dies wird nicht die letzte Herausforderung sein, der wir ausgesetzt sein werden. Wir brauchen eine Führung, die sich Herausforderungen nicht nur mit emotionaler Empathie, aber auch mit Sorgfalt und Transparenz stellen kann - genau wie es eine Mutter tun würde.”

Für Dereli hat die Teilhabe von Frauen in der Politik einen eigenen Wert, und sie unterstützt persönlich eine grössere Einbeziehung von Frauen in entscheidungstragenden Positionen durch die Einführung von Quoten. “Wir brauchen positive Diskriminierung. Wir brauchen Quoten bis wir keine Quoten mehr brauchen. Besonders für Länder wie die Türkei brauchen wir sie,” sagt sie und fügt hinzu, dass je mehr Frauen in die Politik gehen, desto grösser der greifbare Gewinn für die Demokratie ist, einschliesslich einer grösseren Empfänglichkeit für die Bedürfnisse der Bürger und Bürgerinnen, einer gesteigerten Zusammenarbeit über die Parteien und ethnische Linien hinweg und einem nachhaltigeren Frieden.

Zeynep Derli Zitat stärkere Frauen
© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Politische Repräsentierung reicht nicht

Gleichheit im Sinne einer politischen Repräsentierung wird alleine nicht ausreichen, so Dereli. Entsprechende gesellschaftliche Unterstützung für Mütter und die Neudefinition der Rolle des Mannes in der Familie werden dringend gebraucht. “Was wir besonders brauchen ist Betreuung für kleine Kinder, damit die Frauen, sofern sie es wünschen, wieder zurück zur Arbeit gehen können,” sagt sie. Auf der anderen Seite sollten Männer ihren Beitrag zum Haushalt leisten. “Häusliche Pflichten werden als Frauensache angesehen - Männer mögen zwar helfen, sie teilen aber nicht die Verantwortung. Und wir können diesen Blickwinkel ändern, weil wir ein Zuhause teilen und die Familie gemeinsam gründen. Wir teilen unser Zuhause, und wir müssen auch die Verantwortung der Kinder und alles anderen im Haus teilen”, sagt Dereli schlussendlich.

Sie spricht aus Erfahrung, denn sie sah, dass es funktioniert, und zwar in ihrer eigenen Erziehung. “Ich komme aus einer interessanten Familie - mein Vater wurde von einer sehr starken, finanziell unabhängigen, sehr gut ausgebildeten Rechtsanwältin grossgezogen. Ich glaube genau weil mein Vater von einer starken Frau grossgezogen wurde, unterstützte er seine Töchter. Wir brauchen starke Frauen, damit sie starke Frauen schaffen, weil diese Männer grossziehen, die es verstehen, wie wichtig starke Frauen in ihrem Leben sind.” Und wie ist es um ihre eigene Hinterlassenschaft und Motivation bestimmt? Sie bekennt, dass sie es aufgrund ihrer zwei jungen Töchter als ihre mütterliche Pflicht ansieht, eine bessere Zukunft für jeden in der Türkei zu schaffen. “Ich glaube meine grösste politische Errungenschaft bis heute ist es, dass ich es geschafft habe, Bildung in den Augen der türkischen Öffentlichkeit zur Priorität unter den Tagesordnungspunkten zu machen. Es gibt tatsächlich noch viel Platz zur Verbesserung, zumindest wird es aber jetzt als vorrangig verstanden”, so schliesst sie ab. Man kann mit Sicherheit sagen, dass je mehr Frauen wie Zeynep Dereli in die Politik gehen - in der Türkei und auch in anderen Ländern, desto mehr die gesamte Gesellschaft davon profitieren würde.

 

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