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Desinformation
G7-Konferenz der Außenminister – Desinformationen endlich ernst nehmen

Durch Desinformation wird das demokratische Fundament untergraben. Umso wichtiger ist es, dass die G7-Staaten sich mit der Thematik beschäftigen.
G7
Auf dem vergangenen G7-Gipfel der Außenminister wurde das Thema der Desinformation erstmals intensiv behandelt. Die Teilnehmer: Josep Borrell, EU-Außenbeauftragter (vorne, l-r), Dominic Raab, Außenminister von Großbritannien, Antony Blinken, Außenminister der USA, Bundesaußenminister Heiko Maas (2. Reihe,l-r), Motegi Toshimitsu. Außenminister von Japan, Außenminister Marc Garneau, Außenminister von Kanada, Luigi Di Maio (3. Reihe, l-r), Außenminister von Italien, und Jean-Yves Le Drian, Außenminister von Frankreich, in London. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Stefan Rousseau

Internationale Desinformationskampagnen stehen ganz oben auf dem Themen-Tableau der Außen- und Entwicklungsminister, die heute in London zum Treffen der G7-Staaten zusammenkommen. Im Fokus stehen russische Propaganda und Desinformationen, die unter anderem durch sogenannte Troll-Fabriken wie die Internet Research Agency in St. Petersburg, verbreitet werden. Diese hatte nicht nur versucht, Einfluss auf die US-Wahl 2016 zu nehmen – auch auf europäische Wahlen und gesellschaftliche Diskussionen zielen russische Kampagnen ab. Vorrangiges Ziel hierbei: Deutschland. Das ergab jüngst eine Studie des „EU vs Disinformation Projekts“ des Europäischen Auswärtigen Dienstes. Eine Analyse der Friedrich-Naumann-Stiftung zeigt, wie Russlands Informationspolitik versucht, die Meinung in Deutschland zu beeinflussen.

Es ist überfällig, dass das Thema Desinformationen in der Runde der G7-Staaten diskutiert wird. Zwar waren Desinformationskampagnen bereits beim Gipfeltreffen 2018 Thema als die Einrichtung eines sogenannten Rapid Response Mechanismuses beschlossen wurde. Doch bei den aktuellen Ankündigungen fällt den Außenministerinnen und -ministern nicht mehr ein, als dass gemeinsame Antworten auf Desinformationen gesucht und kommuniziert werden müssten. Man solle gemeinsam mit „Wahrheit” und „Widerlegung” reagieren, so der britische Außenminister Dominic Raab. Doch das greift zu kurz.

Der Kampf gegen Desinformationen benötigt internationale Zusammenarbeit, insbesondere zwischen demokratischen Staaten. Dass das Thema stärker in der Außenpolitik und in den diplomatischen Beziehungen adressiert werden muss, ist eine der zehn Forderungen gegen Desinformation, die die Friedrich-Naumann-Stiftung jüngst veröffentlicht hat. Diese Forderungen betrachten Maßnahmen gegen Desinformation holistisch. Es genügt bei Weitem nicht, lediglich Forderungen an Social-Media-Plattformen zu stellen, über die gezielte Desinformationen verbreitet werden oder Gesetze gegen “Fake News” zu fordern. Letzteres ist strikt abzulehnen, wird aber immer wieder gefordert – auch aus dem Kreise der G7.

Desinformationen werden nicht nur gegen andere Länder eingesetzt. Gerade autoritäre Regime und populistische Präsidenten verwenden sie auch gegen die eigene Bevölkerung. Neben der Wählerbeeinflussung hat insbesondere die COVID-19-Pandemie gezeigt, dass Desinformationen über Gefahren und Auswirkung des Virus die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger beeinträchtigen können. Durch die vernetzte Weltgemeinschaft haben Desinformationen zudem Einfluss auf Menschen, die in der Diaspora leben. Gesundheitliche Desinformationen, die zum Beispiel in Indien massiv über Messenger verbreitet werden, haben so auch Einfluss auf die indischstämmige Bevölkerung unter anderem in Großbritannien und den USA.

Die Idee, mit “Wahrheit” auf Desinformationen zu reagieren, verkennt, dass Desinformationen vor allem auf die Emotionen und nicht die Ratio der Menschen abzielen. Die meistens über (audio-)visuelle Medien verbreiteten Desinformationen – wie Videos, Bilder, Grafiken oder Memes – lassen Menschen vor allem Wut, Trauer oder Freude empfinden. Emotionen lassen sich eher selten mit „Faktenchecks” begegnen. Hier braucht es andere Gegenstrategien. Taiwan und Südkorea begegnen Desinformationen beispielsweise mit Humor.

Desinformationskampagnen, Propaganda und Cyberangriffe sind längst Alltag geworden. Sie treten nicht nur während Wahlen auf, sondern kontinuierlich. Sie sind darauf ausgelegt, langsam und schleichend Gesellschaften zu destabilisieren, das Image von Staaten zu ändern (insbesondere im Falle Chinas) und sogar militärische Operationen vorzubereiten, wie im Vorfeld der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland. Gesellschaften müssen durch geeignete Bildungsmaßnahmen über der Existenz von Desinformationskampagnen informiert werden – hier ist Finnland ein gutes Vorbild. Medienkompetenz ist dafür unerlässlich. Es braucht dahingehend Bildungsangebote für jedes Alter. Aber auch Journalistinnen und Journalisten brauchen ein besseres Verständnis für den Umgang mit Desinformationen. Denn häufig verhelfen klassische Medien durch ihre Berichterstattung Desinformationen zu größerer Reichweite. Vor allem aber kann die Wiederholung der Botschaften – auch in einer Kontextualisierung – dafür sorgen, dass bei den Lesenden Zweifel gesät werden. Eine Untersuchung des Tübinger Leibniz-Instituts zeigte Ähnliches für Verschwörungserzählungen: Schon die Konfrontation mit diesen zöge negative gesellschaftliche Auswirkungen nach sich. Es muss also genau abgewogen werden, über was wie zu berichten ist. Vor allem aber brauchen Journalistinnen und Journalisten Schutz vor denjenigen, die sie – regelmäßig angestachelt durch Desinformationen und Verschwörungserzählungen – und damit die Pressefreiheit angreifen.

Dass das Thema auf der G7-Konferenz adressiert wird, ist äußerst wichtig. Die Maßnahmen, die gegen Desinformationen ergriffen werden, müssen umfassend sein. Illiberalen Forderungen wie einem Verbot von Desinformationen muss widerstanden werden. Es gibt keine einfache Lösung. Doch gerade weil das demokratische Fundament – nicht nur der G7-Staaten – von Staaten wie Russland und China durch Desinformationskampagnen angegriffen wird, braucht es eine gemeinschaftliche, umfassende und nachhaltige Antwort. Es braucht Lösungen, auf die sich demokratische Staaten einigen und die anschlussfähig für andere Staaten sind. Die Zeit drängt.