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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

G7-Gipfel
Offensive für eine offene Welt

Karl-Heinz Paqué analysiert die Verschiebung des internationel wirtschaftlichen Gefüges
Hafen Singapur

Das letzte Jahrzehnt war nicht gut für die Globalisierung. Bis dahin war seit den frühen fünfziger Jahren die Weltwirtschaft zügig zusammengewachsen. Außer in kurzen Rezessionsphasen nahmen die Exporte und Importe stets stärker zu als die weltweite Wertschöpfung. Das Wachstum sorgte fast automatisch für Integration. Viele regionale Großräume der Welt haben davon massiv profitiert: Zunächst wuchs Westeuropa zusammen und schlug transatlantische Brücken zu den Marktwirtschaften Nordamerikas. Es folgten seit den frühen neunziger Jahren das postsozialistische Osteuropa, große Teile Ostasiens sowie die Bevölkerungsgiganten China und Indien, die sich neu öffneten. Selbst in Afrika und Südamerika gab es zumindest zaghafte Ansätze, und Mexiko rückte an die USA und Kanada heran.

Nach der Weltfinanzkrise 2008/9 kam dieser Prozess ins Stocken und Stottern. Manche Beobachter sprachen schon von De-Globalization, andere wie der Londoner Economist von „Slowbalization“. Bedenklicher noch war die qualitative Veränderung: China begann eine globale Machtpolitik, die Handel und Investitionen in neo-imperialem Stil zur Schaffung wirtschaftlicher Abhängigkeiten nutzte, allen voran gegenüber Afrika und der südlichen Peripherie Europas. Das Drama des Brexits – wenn auch in letzter Minute mit einem Deal – nahm in Europa seinen Lauf; und die USA unter Trumps „America First“-Politik fuhren einen scharfen protektionistischen Kurs. War die Erholung des Welthandels nach der Finanzkrise schon eher schleppend, gab es in den letzten Jahren nur Rückschritte und neue Gefahren. Die unilaterale Geopolitik drängte den liberalen Freihandel in den Schatten.

Dies ist der Hintergrund, vor dem die Bundestagsfraktion der Freien Demokraten Mitte Januar parlamentarisch eine neue Initiative in der Handelspolitik gefordert hat. Der Zeitpunkt hätte nicht besser gewählt sein können, bietet doch die Präsidentschaft von Joe Biden eine neue Chance, mit Amerika die Tür zu neuen Ansätzen der Integration aufzustoßen. Im Zentrum steht die Schaffung eines transatlantischen Wirtschaftsraums als europäische Antwort auf die Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP), die 15 Länder im ostasiatischen Raum einschließlich China im November abschlossen. Es steht zu befürchten, dass dieses Abkommen, das 30 Prozent der Weltbevölkerung umfasst, zu einem neuen Trendsetter von Standards im Handel mit Waren und Dienstleistungen wird. Einige der beteiligten Länder – allen voran China – sind weit entfernt von einer liberalen Konzeption des freien und fairen Handels, haben aber eine beträchtliche und wachsende Marktmacht. Die Uhr tickt; Schritt für Schritt neigt sich die Waage zu Gunsten Chinas.

Da muss gegengesteuert werden, und zwar von Europa und Amerika zusammen. Die alte transatlantische Welt ist noch immer ein gewaltiges wirtschaftliches Machtzentrum, der größte Markt der Welt. Vor allem aber liegen westlich und östlich des Nordatlantik die globalen Zentren liberaler Werte von Demokratie, Marktwirtschaft und Rechtsstaat. Hier sind die Ideen des Freihandels erfunden worden; und nur hier werden sie umfassend umgesetzt, und zwar in einem Geist des fairen Wettbewerbs, der sich grundsätzlich vom Staatskapitalismus unterscheidet, wie er etwa in China und Russland auf jeweils unterschiedliche Art betrieben wird.

Die USA unter Biden und Europa müssen also handeln. Allerdings sollte dies pragmatisch geschehen: Der Versuch eines umfassenden Abkommens à la TTIP ist schon vor einigen Jahren, also vor Donald Trump, auf Grund gelaufen. Dies lag übrigens nicht nur an amerikanischen Instinkten des Protektionismus, die in der Geschichte der USA eine lange Tradition haben. Es lag vor allem auch an der Kompromisslosigkeit von grün-geneigten Globalisierungsgegnern in Europa und besonders in Deutschland, die überall die Macht amerikanischer Großkonzerne witterten, denen unterstellt wurde, die europäischen Sozial- und Umweltstandards sowie den Rechtsstaat systematisch aushebeln zu wollen. Es wird Zeit, dass diese Gespenster weggejagt werden und eine pragmatische Vernunft einkehrt. Amerika ist und bleibt ein Verbündeter – und zwar nicht nur in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, sondern auch in den Grundprinzipien der liberalen globalen Gestaltung. Die größten Gefahren für eine faire Globalisierung gehen nicht vom US-Kapitalismus aus, sondern vom Aufstieg autoritärer Regime und ihren geopolitischen Ambitionen, in die sich ihre Handelspolitik nahtlos einfügt.

Wohlgemerkt: In der neuen Welt der Geopolitik gibt es durchaus einen stabilen Platz für liberale Visionen und Ansätze. Sie müssen sich allerdings ein Stück weit den Realitäten anpassen. Also: keine ambitiösen multilateralen Großprojekte, sondern eher maßgeschneiderte Abkommen auf bilateraler oder plurilateraler Ebene, die Schritt für Schritt zu einem globalen liberalen Netzwerk ausgebaut werden können – und zwar zu den Standards, die durch transatlantischen Anstoß und nicht durch die harte Hand Chinas gesetzt werden. Das ist die Grundidee der FDP-Initiative. Sie will – mit Entschlossenheit, aber auch mit Demut vor der Realität – die Globalisierung wieder in Gang bringen. Dazu zählt die Arbeit an einem „abgespeckten“ transatlantischen Abkommen genauso wie die Ratifizierung von CETA, dem Abkommen mit Kanada, sowie weitere bilaterale Handelsverträge der EU. Dazu zählt aber auch die Reform der World Trade Organisation (WTO) in einer Weise, die den Vereinigten Staaten nach Trump erlaubt, diese überragend wichtige Instanz des fairen Handels wieder zu akzeptieren und aktiv zu unterstützen. Dazu braucht es einer Wiederentdeckung der gemeinsamen transatlantischen Interessen, um dann in harter Verhandlung mit China die WTO zu modernisieren und schlagkräftiger zu machen.