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Staatsgerichtshof
Ein „Hüter der Verfassung“?

Vor 100 Jahren wurde der Staatsgerichtshof in Leipzig errichtet
Justitia
Die Justitia auf dem Gerechtigkeitsbrunnen auf dem Römerberg in Frankfurt. © picture alliance / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt/Geisler-Fotopres  

„Bonn ist nicht Weimar“. Das von dem Schweizer Journalisten Fritz Allemann 1956 eingeführte geflügelte Wort entsprach – wie wir seit längerem wissen – nur teilweise der historischen Realität. Denn der Staat von Weimar scheiterte 1933 weder an seiner Verfassung noch an seiner heute vor 100 Jahren errichteten Verfassungsgerichtsbarkeit.

Am 9. Juli 1921 erschien das Reichsgesetz über den Staatsgerichtshof der Weimarer Republik, der beim Reichsgericht in Leipzig angesiedelt war. Angekündigt war das höchste Gericht bereits knapp zwei Jahre zuvor in Artikel 108 der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919. Es stand verfassungsgeschichtlich in der Tradition der von den Liberalen im 19. Jahrhundert geforderten Kontrolle der damals monarchischen Regierungen. Erstmals war ein Staatsgerichtshof aber nun demokratisch legitimiert.

Generell aber gab es zahlreiche Probleme bei den Kompetenzen und den Zuständigkeiten des neuen Gerichts, das im Übrigen ad hoc zusammentrat und sich aus Richtern des Reichsgerichts und mehrerer Oberverwaltungsgerichte zusammensetzte. Es entschied zum Beispiel keine Organklagen, das heißt verfassungsrechtliche Streitigkeiten auf der Reichsebene. Es fehlte vor allem die Kompetenz zur Prüfung von Gesetzen auf deren Verfassungsmäßigkeit im Rahmen einer abstrakten und konkreten Normenkontrolle; auch Verfassungsbeschwerden durch die Staatsbürger waren nicht vorgesehen. Das bekannteste Verfahren blieb der 1932 ausgetragene Prozess des Staates Preußen gegen das Reich nach der Absetzung der sozialdemokratischen Regierung durch den sogenannten „Preußenschlag“ der Reichsregierung unter Reichskanzler Franz von Papen. Das Urteil war ein problematischer Kompromiss, der am Ende den Untergang Weimars noch weiter beschleunigte. Trotz seiner offenkundigen Mängel galt der Leipziger Staatsgerichtshof für die Parteien der demokratischen Mitte, wie zum Beispiel der liberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP), stets als „Hüter der Verfassung“ (Hans Kelsen). Dementsprechend wurde er von den Nationalsozialisten 1933 ohne formellen Beschluss außer Funktion gesetzt.

Es kann nach dem Gesagten also nur sehr eingeschränkt davon die Rede sein, dass das 1951 gegründete Bundesverfassungsgericht in der Bundesrepublik Deutschland an diesen Weimarer Staatsgerichtshof historisch angeknüpft hätte. Zwar fungiert das Karlsruher Gericht auch als Staatsgerichtshof, aber im Vergleich zu ihm besitzt es viel umfassendere Kompetenzen als sein Pendant vor 1933. Das betrifft nicht nur Streitigkeiten unter Verfassungsorganen oder zwischen Bund und Ländern, sondern es ist hier insbesondere an die konkrete Normenkontrolle und die Verfassungsbeschwerde im Falle von Verfassungsverletzungen zu denken. Dadurch soll in Karlsruhe insbesondere die von Liberalen angemahnte Schutz der Grundrechte effektiv gewährleistet werden. Gerade in Fragen der Bürgerrechte und des Schutzes des demokratischen Rechtsstaates hat sich das Bundesverfassungsgericht in den letzten Jahrzehnten bewährt. Dies hat sich bei den wiederholten Klagen von Gerhart Baum und Burkhard Hirsch in Karlsruhe deutlich gezeigt. Im Gegensatz zu seinem historischen Vorgänger, dessen Ansehen in der Weimarer Demokratie unsicher blieb und dessen Kompetenzen äußerst gering ausfielen, hat sich das Bundesverfassungsgericht in den sieben Jahrzehnten seines Bestehens als „Hüter der Verfassung“ und Verteidiger der liberalen Werte unseres Grundgesetzes erwiesen. Anders als sein entfernter Vorläufer hat das Bundesverfassungsgericht den Bürgern zur Durchsetzung ihrer Freiheitsrechte gegenüber dem Staat verholfen.