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Türkei Bulletin
Erdgasfund im Schwarzen Meer

Underground Natural Gas Storage Facility in Turkey
© picture alliance / AA | Ali Atmaca

Am 26. Dezember 2022 gab Präsident Recep Tayyip Erdoğan bekannt, dass sich die von der Türkei im Schwarzen Meer entdeckten Erdgasreserven auf rund 710 Milliarden Kubikmeter belaufen, was aktuell einem Handelswert von rund einer Milliarde Dollar entspricht. Die Entdeckung wurde bei Bohrungen im Sakarya-Gasfeld in der exklusiven Wirtschaftszone der Türkei im Schwarzen Meer nahe der Seegrenze zu Rumänien und Bulgarien gemacht und wird als “Riesenreserve” bezeichnet, da sie mehr als 500 Milliarden Kubikmeter umfasst.

Die Infrastruktur für den Fund wurde im Zuge des Energiewettbewerbs im östlichen Mittelmeerraum geschaffen. Um sich in diesem Wettbewerb zu positionieren, hatte Ankara ursprünglich eine Flotte von zwei Erkundungs- und drei Bohrschiffen ins Mittelmeer geschickt. Als die erhofften Ergebnisse im östlichen Mittelmeer und in der Ägäis ausblieben, wurden die Erkundungs- und Bohraktivitäten auf das Schwarze Meer verlagert. Nach detaillierten seismischen Untersuchungen im Mai 2019 wurden in der Region tatsächlich Erdgasreserven entdeckt, worauf im Sommer 2020 schließlich ein weiteres Bohrschiff ins Schwarze Meer entsandt wurde. Die Nachricht vom ersten Erdgasfund im Umfang von 320 Milliarden Kubikmetern erfolgte während der Bohrung im Sakarya-Gasfeld im August 2020. Bei derselben Bohrung wurden auch noch weitere 85 Milliarden Kubikmeter an Erdgasreserven entdeckt. Damit gehören die Tiefeseebohrungen zu den zweitgrößten Gasfunden weltweit im Jahr 2020. Mit der jüngsten Entdeckung beläuft sich die Reserve nun auf insgesamt 710 Milliarden Kubikmeter.

Der jährliche Erdgasverbrauch der Türkei liegt bei 45 bis 50 Milliarden Kubikmetern, wovon bislang fast der gesamte Bedarf durch Importe gedeckt wird. Die Funde im Sakarya-Gasfeld am Schwarzen Meer könnten demnach den Erdgasbedarf der Türkei bei gleichbleibendem Verbrauch für zehn bis zwölf Jahre decken.

Das geförderte Erdgas soll zunächst über eine 170 Kilometer lange Pipeline zur Filyos-Erdgasaufbereitungsanlage an der westlichen Schwarzmeerküste gebracht werden. Von dort soll das erste Erdgas aus dem Sakarya-Feld bereits im ersten Quartal 2023 in das türkische Erdgasnetz eingespeist werden. Jedoch wird dem Netz zunächst nur eine eher symbolische Menge von 3,5 bis 4 Milliarden Kubikmetern zugeführt. Eine wirtschaftlich sinnvolle Einspeisung ins Netz wird dann absehbar ab 2024 erfolgen. Am Ende eines Vierjahreszeitraums soll schließlich die maximale jährliche Fördermenge von 15 Milliarden Kubikmetern erreicht werden. Das entspricht beinahe der Gasmenge, die die Türkei über die Blue-Stream-Pipeline aus Russland bezieht, und könnte den Erdgasbedarf aller Wohngebäude in der Türkei decken. Aufgrund der Alterung der Bohrlöcher dürfte die Produktion nach 2030 allerdings zurückgehen, sofern keine neuen Entdeckungen in dem Erdgasfeld gemacht werden.

Insgesamt handelt es sich um den ersten Offshore-Erdgasfund überhaupt in der Türkei, der damit von großer Bedeutung für das Land ist. Auch wenn daraus nicht der gesamte Energiebedarf des Landes gedeckt werden kann, dürfte die Türkei nun dennoch zum Erdgasproduzenten aufsteigen. Es wird erwartet, dass aus der wirtschaftlichen Rendite ein wesentlicher Beitrag zum Abbau des Leistungsbilanzdefizits des Landes geleistet werden kann. Die jährlichen Ausgaben für Erdgas belaufen sich in der Türkei auf etwa 12,5 Milliarden Dollar. Davon könnten nun jährlich 4 bis 5 Milliarden Dollar eingespart und die Gesamtausgaben somit um mindestens ein Drittel gesenkt werden. Die Entdeckungen werden außerdem die Verhandlungsposition Ankaras auf dem internationalen Erdgasmarkt stärken, wenn neue Verträge unterzeichnet werden. So scheint sich das Land in Richtung einer Verringerung der Energieabhängigkeit und Diversifizierung seiner Ressourcen zu bewegen.

Nicht zuletzt bietet die Entdeckung einen wichtigen Anreiz für künftige Erkundungs- und Bohrtätigkeiten, denn sie verändern die bisherige Ausgangslage, wonach es in der Türkei keine Reserven an fossilen Brennstoffen gebe oder deren Abbau sich wirtschaftlich nicht rechne.

Dennoch steht angesichts des hohen und weiter steigenden Gesamtbedarfs des Landes an Erdgas sowie der bislang erwarteten, relativ geringen förderbaren Erdgasmenge die Frage nach langfristigen Kosten und Nutzen auf der Tagesordnung. Auch das Fehlen detaillierter Informationen über die Reserven und das Ausbleiben einer Bestätigung durch internationale unabhängige Prüfinstitutionen werden derzeit in der Türkei kritisch diskutiert. Trotz vieler offener Fragen haben die Erdgasfunde im Schwarzen Meer der Debatte über die Energieversorgung der Türkei einen wichtigen Impuls gegeben.

 

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