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Dänemark
Dänemark: Koalitionsspielchen für Fortgeschrittene

Dänemark steht vor den Parlamentswahlen

Nicht einmal zwei Wochen nach der Europawahl wählen die Dänen ein neues Parlament. Insbesondere aus liberaler Sicht sind Wahlen in EU-Ländern, in denen mehrere liberale Parteien nebeneinander existieren, hochinteressant, eröffnen sie oftmals ungeahnte Koalitionsmöglichkeiten. Auch für die allseits beliebte EU-Kommissarin Margrethe Vestager könnte der Wahlausgang entscheidend sein, obwohl sie gar nicht zur Wahl steht.

Die Wahlkampfstände, die dänische Parteien in den Fußgängerzonen unseres nördlichen Nachbarlandes für die Europawahl eingerichtet hatten, mussten gar nicht erst abgebaut werden. Lediglich die Plakate der Spitzenkandidaten wurden ausgetauscht. Aufgrund einer Besonderheit des dänischen Wahlrechts findet die Wahl zum Folketing– dem dänischen Parlament – zehn Tage nach der Europawahl statt. Indes hat der Ausgang der Europawahl die Vorhersagen für den Ausgang der nationalen Wahl gehörig durcheinandergewirbelt.

Herbe Verluste für rechtspopulistische Parteien

So verloren – entgegen dem europäischen Trend – insbesondere rechte und antieuropäische Parteien bei der Europawahl enorm an Zuspruch: Die rechtspopulistische Dänische Volkspartei büßte 15,8 Prozent ein, die „Volksbewegung gegen die EU“ musste 4,4 Prozent Verlust hinnehmen und die konservative Volkspartei 2,9 Prozent. Insgesamt belaufen sich die Verluste des rechten Parteienspektrums bei der Europawahl auf knapp 25% des dänischen Elektorats. Zu den Gewinnern zählten die beiden liberalen Parteien, die rechtsliberale Venstre(künftig vier MdEP statt zwei) und die linksliberale Radikale Venstre (künftig zwei MdEP anstatt einem), sowie Sozialdemokraten und Volkssozialisten.

Morten Østergaard, Parteivorsitzender von Radikale Venstre, zeigte sich am Wahlabend hochzufrieden: „Dies ist ein besseres Resultat, als wir je zu träumen gewagt hätten. Wenn mir das jemand vor einem Monat gesagt hätte, hätte ich ihm entgegnet, dass die Welt leider nicht so gut ist.“ Auch Ministerpräsident und Venstre-Chef Lars Løkke Rasmussen war bewegt vom guten Abschneiden seiner Partei: „Das ist ein großer, großer Abend für Venstre.“ Anders als die weiteren Anwärter auf das Amt des Kommissionspräsidenten, Manfred Weber in Deutschland oder Frans Timmermans in den Niederlanden, stand Margrethe Vestager von der linksliberalen Radikale Venstrein Dänemark gar nicht zur Wahl.

Europawahl als Vorzeichen für die Parlamentswahl?

Schien noch im April ein Sieg der oppositionellen Sozialdemokraten bei den anstehenden Parlamentswahlen laut Umfragen eine ausgemachte Sache, so verunsicherte der überraschende Erfolg der regierenden Venstre-Partei bei der Europawahl nicht nur die Demoskopen. Sogleich stellte der amtierende Ministerpräsident Løkke Rasmussen den Sozialdemokraten eine große Koalition in Aussicht. Für Dänemark, das politisch traditionell in Blöcken denkt, wäre eine solche Lösung höchst ungewöhnlich. Hinzu kommt, dass eine solche Koalition aller Voraussicht nach trotzdem keine eigene Mehrheit hätte und als Minderheitsregierung auf die Duldung durch weitere Parteien angewiesen wäre.

So könnte die zweite liberale Kraft, die linksliberale Radikale Venstre, zum Zünglein an der Waage werden. Diese begrüße das Gedankenexperiment einer großen Koalition als nahezu einzige Partei, allerdings nicht ganz uneigennützig. So könnte Radikale Venstre als die künftige Minderheitsregierung stützende Partei trotz formeller Unabhängigkeit Einfluss auf die Regierungspolitik ausüben, Løkke Rasmussen erneut zum Ministerpräsidenten wählen und sich im Gegenzug die Unterstützung der Regierung für Margrethe Vestager als EU-Kommissionspräsidentin sichern. Passend zu dieser Hypothese signalisierte der noch amtierende Ministerpräsident am vergangenen Dienstag seine Unterstützung für Vestager. Unter den Kandidaten für das Amt des Kommissionschefs sei sie die stärkste, sagte Løkke Rasmussen in Brüssel.

Doch dafür muss sich seine rechtsliberale Partei bei der heutigen Parlamentswahl erst einmal gegen die Sozialdemokraten als stärkste Kraft behaupten, um den Weg für eine linksliberale Kommissionspräsidentin freizumachen. So geht Demokratie in Dänemark.

 

Markus Kaiser leitet das Referat Europa der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.