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Coronavirus
Ein Land steht still: Quarantäne-Tagebücher aus Israel

Zwei Praktikanten aus dem Stiftungsbüro in Jerusalem berichten über ihre Zeit während ihrer Quarantäne in der Fremde
Tel Aviv während der Corona-Pandemie
Tel Aviv während der Corona-Pandemie © picture alliance/Xinhua

Das Jerusalemer Stiftungsteam freut sich immer wieder an der Frische und Inspiration, die junge StudentInnen mitbringen, wenn sie für ein Praktikum kommen. Die temporären Kolleg(inn)en nehmen am Büroleben und an Gesprächen teil, die mit Persönlichkeiten in Israel und in den Palästinensischen Gebieten geführt werden. Praktikantin Janne Luise Piper und Praktikant Janis Weingärtner befanden mitten in ihrem Praktikum, als sich die Corona-Pandemie immer weiter ausbreitete. Während einer politischen Exkursion sind beide in Kontakt mit einer Person gekommen, die Tage nach dem Zusammentreffen positiv auf das Virus getestet wurde. Beide mussten in häusliche Quarantäne und dort beobachten, ob sie Symptome entwickeln. Ihre Erlebnisse während der Isolation haben sie in einem Tagebuch dokumentiert. 

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Praktikantin Janne Luise Piper führte ein Tagebuch während ihrer Quarantäne-Zeit

Mein Name ist Janne Luise Piper und ich bin Praktikantin bei der Friedrich-Naumann-Stiftung in Jerusalem. Seit einigen Tagen befinde ich mich in Heimquarantäne. Grund dafür ist ein Zusammentreffen mit einem Infizierten des neuartigen Corona-Virus in Beit Jala bei Bethlehem vor einigen Tagen. Trotz und Unverständnis über die weltweit starken Restriktionen und Maßnahmen zu Beginn meiner Quarantäne-Zeit verwandelten sich nach und nach in ein Begreifen der Ernsthaftigkeit. Die weltweit ergriffenen Maßnahmen verschärften sich während meiner Isolation fast stündlich.

09.03.2020, Tag 1 in Quarantäne

Erschrocken las ich am gestrigen Abend die Nachricht von Ulrich Wacker, dem Direktor der FNF Jerusalem, als ich gerade von einem Wochenendausflug in Tel Aviv zurück in Jerusalem eintraf. Anscheinend hatten wir Tage zuvor bei einem Besuch in der Heimatstadt des palästinensischen Projektleiters der Stiftung Kontakt zu einem Corona-Infizierten gehabt. Also ab in Quarantäne. In einer Nacht- und Nebelaktion packte ich meine Sachen, da ich derzeit in einem kleinen Airbnb in Jerusalem unterkam, und die Quarantäne vorzugsweise in einem mir zur Verfügung stehenden Zimmer in Tel Aviv antreten wollte. Es ging also wieder zurück an die Küste und ich begab mich in eine merkwürdige Isolation inmitten einer pulsierenden Stadt am Mittelmeer.

10.03.2020, Tag 2 in Quarantäne

Noch nehme ich alles mit Humor: Endlich mal einen Tag im Bett liegen und nichts tun; eine witzige Anekdote, die ich zum Besten geben kann, wenn ich wieder zuhause in Deutschland bin.

Ich habe einen kleinen Balkon, der fast direkt an den viel frequentierten Rothschild Boulevard in Tel Aviv grenzt und ich fühle mich beinahe als Teil des Geschehens. Es ist Purim, das jüdische Fest, was an die Errettung des jüdischen Volkes aus drohender Gefahr in der persischen Diaspora erinnert. Die Straßen sind bunt, die Israelis verkleidet, es tönt Musik aus allen Ecken. Und ich sitze mittendrin, mit leichter Wehmut, mein lange ausgeklügeltes Kostüm nun nicht ausführen zu können.

Als die Sonne untergeht, widme ich mich ab und an den Nachrichtentickern von „Haaretz“ oder „The Times of Israel“, was sich als sehr deprimierendes Abendprogramm entpuppt. Im Laufe meiner Recherche werden für mich wenig erfreuliche Beschlüsse bekanntgegeben. Eine Freundin hatte es vor der Bekanntgabe der Einreisestopps gerade noch ins Land geschafft - „Glück gehabt“ befanden wir. Doch dieses Glück zeigt sich begrenzt, denn der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu fordert alle Touristen dazu auf, umgehend das Land zu verlassen, so ein in sozialen Medien umherschwirrendes Gerücht. Das bedeutet auch, dass sich eine ganze Reihe befreundeter Praktikanten aus Europa, die sich derzeit noch in Israel befinden, im Laufe der folgenden Stunden dazu entschließen werden, das Land zu verlassen. Ich denke „Wie übertrieben!“ und lausche von jetzt an einfach nur den Purim-Gesängen.

11.03.2020, Tag 3 in Quarantäne

Mein Tag beginnt mit schlechter Laune. Ich würde mir gerne etwas zu essen kaufen, aber ich darf nicht. Ich würde gerne spazieren gehen, aber ich darf nicht. Ich würde gerne in zwei Wochen ein krankes Familienmitglied in Deutschland besuchen, aber ich darf nicht.

Regelrecht ausgesetzt fühle ich mich der höheren Gewalt jenes Virus, der tagein tagaus Medien und Alltagsgespräche beherrscht. Ausgesetzt fühle ich mich ebenfalls der Macht dieses Staates, der mich auf diesem Fleckchen Erde im Nahen Osten gefühlt einsperrt, denn er lässt niemanden zu mir und ich darf nirgendwo hin. Aktuell darf ich ja sowieso nur in meinem Quarantäne-Zimmer sitzen, wobei ich mir mit der Lektüre von amüsanten Verschwörungstheorien über den bösen Virus die Zeit ganz gut vertreibe.

Als ich meinen Unmut über die aus eigener Kraft veranlasste Isolation Israels vor einigen Tagen gegenüber einer Gruppe befreundeter Israelis äußerte, entgegneten diese mir nur: „You should be happy! You are on the safest place on earth now!“

Noch nie zuvor habe ich jedoch ein derart hohes Maß an Sicherheitsvorkehrungen aller Art miterlebt, wie sie derzeit weltweit und besonders drastisch in Israel getroffen werden. Ich erlebe eine dementsprechend ungewohnt starke Einschränkung meiner persönlichen Freiheiten. Ein in Demokratien altbekanntes Dilemma erscheint wieder an der Oberfläche: Freiheit oder Sicherheit? Die Tatsache, dass das größtmögliche Maß an Sicherheit nur unter Einschränkung individueller Freiheiten erreicht werden kann, ließ mich allzu strikte Sicherheitsmaßnahmen stets als einengend empfinden. Im Angesicht einer Zeit, in der sich unsere Gesellschaft aufgrund von Terror und Unübersichtlichkeit zunehmend den wachsenden Sicherheitsbedürfnissen der Bevölkerung anpasst, gilt es meiner Meinung nach, Freiheit unaufhörlich zu betonen und zu verteidigen.

„Corona ist anders“, sagt man mir. „So etwas kannten wir bisher noch nicht.“ Auf der einen Seite bin ich äußerst fasziniert von der Konsequenz, mit der die israelische Regierung Maßnahmen ergreift, um die eigene Bevölkerung zu schützen (oder vielleicht doch ein politisches Kalkül auszuspielen?), auf der anderen Seite bin ich schwer frustriert über die Einschränkungen, die ich mir tagtäglich gefallen lassen muss. „Sei doch froh“, sagt man mir abermals, „hier bist du sicher.“ Aber es hilft nichts, ich bleibe unvernünftig und wäre zurzeit doch lieber frei, als sicher.

12.03.2020, Tag 4 in Quarantäne

Mein Groll gegenüber Israel war unberechtigt, wenn auch gestern noch meiner Gefühlslage entsprechend. Ich brauchte wohl einen Buhmann, ein Feindbild, wenn man es so will, dem ich all meine durchkreuzten Pläne ankreiden konnte. Da eignete sich die israelische Regierung mit ihrer durchgehend sicherheitspolitisch, von Abschottungsszenarien geprägten Rhetorik durchaus gut. Ich war gestern etwas zu emotional, gestehe ich mir ein, ein Feindbild in dieser Situation ist einfach Quatsch.

Meine Universität in Deutschland schließt, Büros machen zu, das öffentliche Leben kommt zum Stillstand. Die USA haben einen Einreisestopp für alle Europäer angeordnet.

Man munkelt auch schon, dass Bibi Netanjahu die Schließung von Universitäten und Schulen im gesamten Land anweisen wird. Noch habe ich Hoffnung, mein Auslandssemester in Israel nicht ganz in Wasser fallen zu lassen…

Die Zeit in Quarantäne ist einerseits einfach nur langweilig, andererseits wird jede Stunde eine neue dramatischere Meldung bekanntgegeben und die sozialen Medien explodieren dementsprechend vor Corona-Reaktionen – was ich alles mit großer Neugierde verfolge. Es geht drunter und drüber. Ich spreche mit Freunden aus Italien, aus den USA, aus Frankreich und überall sind es dieselben Ängste: Die Angst vor der Krankheit, die Angst vor dem Zusammenbruch des öffentlichen Lebens, die Angst vor gähnender Langeweile und einem Gefühl der Nutzlosigkeit. Überall stellt man sich dieselbe Frage: Vielleicht hatte ich es auch einfach schon?

Im Internet wird alles immer absurder, während alles unglaublich normal erscheint, wenn ich aus meinem Zimmer auf den Rothschild Boulevard schaue. Die Anrufe von zuhause verwirren mich. Von „Komm zurück! Das hat doch alles keinen Sinn mehr“ bis „Erstmal abwarten!“ ist alles dabei. Ich fühle mich noch relativ entspannt, denn alles verliert nach und nach an Relevanz und ich nehme alles mit einer gewissen Leichtigkeit und Gleichgültigkeit hin, was mich selbst ein wenig erschreckt.

Ein großer Makel dieser Quarantäne ist der mich quälende Bewegungsmangel. Ich habe mich gefühlt schon wund gelegen und wünsche mir nichts sehnlicher als einen ausgiebigen Spaziergang. Doch auch hierfür lassen sich Lösungen finden – mein Zimmer ist zum Glück groß genug, um ein paar einsame Tanzeinheiten einzulegen. Also tanze ich ein Stündchen, widme mich dann wieder dem deprimierenden und zugleich faszinierenden Nachrichtensturm und denke über meine Optionen für die nächsten Wochen und Monate nach.

13.03.2020, Tag 5 in Quarantäne

Heute morgen kam die Nachricht meiner israelischen Partner-Uni, dass das gesamte Semester, auf das ich mich doch seit gut einem Jahr vorbereitet habe, wahrscheinlich gar nicht stattfinden wird. An Online-Alternativen wird noch gebastelt. Sehr ernüchternd!

Was soll ich jetzt tun? In Deutschland scheint gerade auch alles den Bach runterzugehen, wenn nicht sogar mehr als aktuell im Heiligen Land. Hier habe ich ein Zimmer in einer (noch) pulsierenden Großstadt und bin nur wenige Gehminuten vom Strand entfernt. Eventuell ergeben sich ja auch noch Möglichkeiten, mein Praktikum zu verlängern oder ein neues zu suchen. Es gibt also schlagende Argumente, erst einmal hier zu bleiben.

In Deutschland gibt es für mich gerade rein gar nichts zu tun, außer die Zeit mit meinem Freund und meiner Familie zu verbringen, was jedoch auch durchaus verlockend ist. Von zuhause kommen wieder Nachrichten: „Was passiert, wenn du das Land nicht mehr verlassen kannst? Flüge werden nach und nach komplett eingestellt!“

Davor habe ich noch keine Angst, auf ein Mindestmaß an Mobilität kann doch nicht verzichtet werden, so meine Sicht der Dinge. Vielleicht bin ich naiv, das kann schon sein.

Ich habe zum ersten Mal Angst davor, dass sich jemand in meinem Bekanntenkreis infiziert und das Gesundheitsrisiko des Coronavirus für mich persönlich greifbar wird.

Erst einmal werde ich finale Nachrichten und Vorschläge meiner Partneruni abwarten. Irgendeine Alternative muss es doch geben!  Es bleibt also spannend und ich muss zugeben, dass mir genau diese Spannung auch ein ganz bisschen gefällt. Das aufwühlende Nichtwissen wird von einem stürmischen Frühjahrsgewitter untermalt – sehr passend, finde ich.  

14.03.2020, Tag 1 in Freiheit

Es ist Shabbat, die Sonne scheint und ich genieße meinen ersten Spaziergang in Freiheit. Tel Aviv ist auch für den Shabbat seltsam ruhig, die Menschen wirken ein wenig angespannt. Diese Stadt ist nicht mehr dieselbe wie vor einer Woche, als die Promenade auch an einem Samstag noch von Touristen, Sportlern und Strandgängern gesäumt wurde. Mit Wehmut spaziere ich an eher leeren Cafés und Bars vorbei und vermisse den Trubel, die Dynamik, die Lautstärke. Am Abend desselben Tages verschärft seine Maßnahmen im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus erneut beträchtlich und ordert eine „neue Alltagsroutine“ an. Nun kommen auch von der israelischen Uni und aus Deutschland bestimmtere Nachrichten: „Du solltest nachhause fliegen, es werden noch viel drastischere Maßnahmen ergriffen werden – auch in Israel“. Zum ersten Mal erwäge ich ernsthaft, dieses bunte, anstrengende und aufregende Land zu verlassen.

 

Janne Luise Piper studiert Soziologie, Politik und Wirtschaftswissenschaften mit dem Nebenfach Internationale Beziehungen an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Sie ist Stipendiatin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit 

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Praktikant Janis Weingärtner beschreibt (auf Englisch) seine Erfahrung während der Isolation

My name is Janis Weingärtner, I am currently interning at Friedrich Naumann Foundation for Freedom in Jerusalem and had to spend six days in quarantine last week.

When my parents visited Israel three years ago, I never would have thought that I would end up having to spend six days in quarantine due to coincidentally drinking coffee with the owner of their then hotel in Bethlehem. The fact that he, a Palestinian, is married to a German, who we found out to have known my uncle about 30 years ago, only adds up to the curiosity of this incidence.

It all started on Saturday the 29th of February, when two colleagues of mine and I took a tour of Bet Jala, which is close to Bethlehem, and dropped by the hotel owners place to say hello. Unfortunately, over the course of the past week he got diagnosed with the Coronavirus. We got to know about it on Sunday the 8th of March, which meant that I would have to spend another six days in quarantine in order to complete the 14 days necessary.

Monday morning then started with me trying to figure out what one could do when not being allowed to leave the house. Fortunately, the office gave me a few tasks to complete and offered to do some grocery shopping for me. So, I pretty much spent the day philosophizing on what I would want to eat for the rest of the week. I went for Ptitim, Chicken, Avocados, Tomatoes, Cucumbers, Oranges, Eggs, Hummus and Labaneh and was pretty satisfied with my decision. Big shoutout to my colleagues’ husband who did the shopping and helped me carry the bags up to my apartment (whilst keeping a safety clearance of 5 meters). I wish I had different things to tell about Tuesday and Wednesday, but even though I thought it to be impossible, they were even less eventful than Monday. However, I discovered that sitting on the terrace and enjoying the sun whilst doing work is not the worst thing that could have happened to me. The last three days were quite rainy and thus compromised my plans of spending most of my time in quarantine in the warm Israeli sun. However, I managed quite well to get through them by working, sleeping, reading and talking to friends and family in Germany.

To me, it feels a bit surreal that up until now, almost everyone I know has a Corona story to tell and the world more and more moves towards a state of exception. I quite well remember sitting with my friends back in Munich for lunch when the virus had just started to spread in China but had not yet proliferated internationally. I remember us not really taking it seriously, thinking that we would never really have to deal with it. But thinks have developed differently over the past few weeks and months. My parents were supposed to visit me in Israel last week but had to cancel due to Israel’s new entry policy, which then dictated a 14 days quarantine for every German entering the country (as of today, a 14 days quarantine is obligatory for every person entering the country, regardless the origin they travelled from). A friend of mine in Munich was supposed to take part in an international conference in New York, that he has been preparing for for months, but the conference got cancelled due to entry bans. My roommate in Germany was supposed to go back to university next week, but her courses got postponed until the end of April. I feel very calm about the virus itself but having to deal with ever changing circumstances and a high degree of uncertainty whilst being away from home can get tough from time to time. However, I am generally very optimistic and thankful for the positive sides that go along with this state of exception, as families and friends draw near and we all get the chance to bethink of the things that really matter.

 

Janis Weingärtner is studying political science and law at the Ludwig-Maximilians-University of Munich with focus on international relations and international law. He is deputy chairman of the Federal Association for Security Policy at the Munich universities.