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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Corona-Maßnahmen
Lockdown 2: Corona-Chaos

Hinter einer Fülle von Maßnahmen sucht man vergeblich nach einer Strategie. Der Staat versagt.
Merkel Spahn Corona Lockdown
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU, r) spricht mit Jens Spahn (CDU), Bundesminister für Gesundheit, im Bundestag nach der Debatte nach der Abgabe der Regierungserklärung zur Bewältigung der Corona-Pandemie. © picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Um es gleich vorweg zu sagen: Niemand bestreitet, dass die Corona-Bekämpfung für jede Regierung eine ungeheuer schwierige Aufgabe ist. Und niemand behauptet, es ginge um leichte gesellschaftliche Entscheidungen. Trotzdem ist das November-Bild der Bundesregierung das schlechteste seit Ausbruch der Covid19-Krise vor neun Monaten.

Der Grund ist simpel: Es fehlt, was Experten und die FDP-Fraktion im Bundestag beklagen, eine langfristige Strategie. Dass sie fehlt, merkt man an den wiederholten Korrekturen von Einzelmaßnahmen. „Nachjustieren“ nennt man das inzwischen euphemistisch, aber es sieht eher aus wie der Tatendrang der Ratlosigkeit. Drei Beispiele:

Ende Oktober wurde beschlossen, Kinos, Theater, Restaurants, Sportstätten und praktisch den ganzen Freizeit- und Kulturbetrieb zu schließen, aber Geschäfte offen zu lassen - ohne jede Evidenz für die Angemessenheit dieser Differenzierung. Jetzt, nachdem die „Brechung der Welle“ nur unzureichend funktioniert - die Neu-Infektionen steigen nicht mehr exponenziell, sondern verharren auf einem zu hohen Niveau - wird an der Regulierung des Geschäftszutritts gebastelt, und zwar mit willkürlichen, rechtlich fragwürdigen Hausnummern der Verkaufsfläche. Soll das wirklich die Welle brechen, wenn die Verletzung der Regeln des „Social Distancing" sich im Adventsgeschäft in der Schlange vor dem Laden und nicht mehr drin abspielt?

Hoch und heilig wurde seinerzeit versprochen, Schulen und Kitas offenzulassen, komme was da wolle. Denn es gab keine belastbare Evidenz, dass sie dazu neigen, Hotspots zu werden oder deren Entstehen zu begünstigen. Nun verlängert man die Winterferien, eine scheinbar bequeme Lösung, um „Social Distancing“ zu erlauben, bevor die Familien an Weihnachten mit Verwandten zusammenkommen. Aber dies geschieht um den Preis der Aufgabe eines bedeutenden selbst postulierten Prinzips, dem Vorrang der Bildung, solange es irgendwie geht. Wie wäre es mit einer Verschiebung der Ferien um drei Tage nach vorne? Kann man nicht das Signal retten, dass auf Schule eben nicht verzichtet wird?

Ebenso einmütig wurde wieder und wieder betont, man wolle bundeseinheitliche Regeln, ohne dabei im Übrigen zu hinterfragen, ob das bei regional sehr ungleichem Infektionsgeschehen Sinn macht. Kaum waren die neuesten Beschlüsse gefasst, bröckelte dann wieder die Front: Schleswig-Holstein weicht nach unten, Bayern nach oben ab, was die Restriktionen betrifft. Berlin, Hessen und Nordrhein-Westfalen wollen die Hotels für Verwandtenbesuche öffnen, andere nicht. Das mag sogar sinnvoll sein, aber die ständigen Wiederholungen von Appellen und Ankündigungen des einheitlichen Handelns, die dann nicht eingehalten werden, zerstören das Vertrauen der Bevölkerung.

Auch international ist das Bild, das Deutschland abgibt, zunehmend düster - und dies zur Zeit seiner noch immer laufenden EU-Ratspräsidentschaft. Wenn der bayrische Ministerpräsident, wie jüngst geschehen, auf die Ankündigung Österreichs, den Skibetrieb mit scharfen Hygienekonzepten und ohne Après-Ski zuzulassen, mit dem Gegenschlag von Quarantäne für bayrische Skitouristen bei Rückkehr aus dem Ausland reagiert, dann ist dies mehr als ein diplomatischer Affront. Es ist eine glatte Widerlegung all des politischen Geredes über europäische Zusammenarbeit in Sachen Corona. Schlimmer noch die Lage, was die Finanzierung des EU-Corona-Hilfspakets betrifft: Polen und Ungarn demonstrieren geradezu genussvoll, dass sie es finanzpolitisch gar nicht nötig haben, dem Druck in Richtung Rechtsstaat nachzugeben. Wo sind die diplomatischen Bemühungen Deutschlands, eine Lösung zu finden, so schwierig dies sein mag?

Fazit: Es wird höchste Zeit, dass die Bundesregierung eine langfristige Strategie zur Corona-Bekämpfung vorlegt, die dann auch durchhaltbar ist. Kern müsste sein, die Risikogruppen stärker zu schützen und ansonsten auf all jene inzwischen bekannten Maßnahmen zu setzen, die in der Praxis der Wirtschaft und des Geschäftslebens allem Anschein nach vernünftig funktionieren: Maskenpflicht, Mindestdistanzen, Trennscheiben, digitale statt analoge Beratungen, mehr digitaler und zeitversetzter Unterricht in der Schule etc., etc. Das Leben muss weitergehen: besser organisiert und strukturiert, aber nicht „locked down“. Bis dann in einigen Monaten endlich der Impfstoff kommt.