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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Bundesverkehrswegeplan
Kein Stoppsignal für den Straßenverkehr!

Die Grünen sind mit ihrer Kritik am Bundesverkehrswegeplan 2030 auf dem Holzweg. Wir brauchen smarte Mobilität.
Autobahn
© picture alliance/dpa | Julian Stratenschulte

Im Schatten von Corona passierte in dieser Woche Bemerkenswertes: Die Grünen plädierten für einen deutschlandweiten Stopp von laufenden Straßenausbauprojekten sowie eine neuerliche Komplettüberprüfung der Planungen nach Gesichtspunkten des Klimaschutzes.

Die politische Motivation für diese Forderung liegt auf der Hand: Die Fridays für Future-Bewegung kritisiert die Grünen für ihre bisherige pragmatische Haltung in Landesregierungen, an denen sie beteiligt sind – wie etwa in Baden-Württemberg, Hessen und Schleswig-Holstein. Dort wurden regelmäßig Straßenbauplanungen im Rahmen größerer politischer Kompromisspakete doch in den Koalitionsverträgen durchgewunken – mit der Unterschrift der Grünen. Anschließend gab es dann halbherzige Distanzierungen von den Projekten, sobald es zu lokalen Protesten kam, an denen sich Umweltschützer und oft auch aktive Grüne beteiligten, so jüngst bei der Abholzung des Dannenröder Forstes bei Frankfurt. Es wird nun zunehmend schwer für die Ökopartei, diesen doppelzüngigen Spreizschritt aufrecht zu erhalten. Er könnte sogar zu neuen Parteigründungen führen – so wie schon geschehen im Südwesten der Republik mit der „Klimaliste Baden-Württemberg“, die bei der bevorstehenden Landtagswahl in 70 Wahlkreisen antreten will.

Grund genug für die Grünen, lautstark nach klimapolitischer Aktivität zu rufen. Was sie fordern, ist allerdings falsch und gefährlich. Sie verkennen, dass ein fortschrittliches Zukunftsmodell für Deutschland nur heißen kann, dass Mobilität modernisiert, aber nicht behindert wird. Es gilt, Ökonomie und Ökologie miteinander zu versöhnen und nicht gegeneinander auszuspielen.

Mit Blick auf den Bundesverkehrswegeplan (kurz: BVWP) 2030 heißt dies: Nichts ist im Detail in Stein gemeißelt, aber drei Leitlinien müssen im BVWP 2020 dringend erhalten bleiben und eher noch stärker betont werden:

  1. Deutschland ist eine Nation mit traditionell starken ländlichen Regionen. Diese müssen an die urbanen Ober- und Mittelzentren gut angebunden bleiben, wenn wir auf Dauer vitale Wirtschafts- und Siedlungsstrukturen auch abseits der Metropolen haben wollen. Deshalb muss ein gewisser Infrastrukturausbau vorangetrieben werden, will man nicht die entlegeneren Räume wirtschaftlich veröden lassen. Kommunikation und Verkehrsnetze sind dabei von überragender Bedeutung. Dies gilt übrigens völlig unabhängig von der großen technologiepolitischen Frage, ob der Verbrennungsmotor in modernisierter Form oder der Elektromotor zur Antriebsquelle Nummer 1 werden wird. Beim Individualverkehr im ländlichen Raum wird es im Wesentlichen bleiben müssen, auch ohne fossile Brennstoffe. Oder würden die Grünen so weit gehen, dies zu leugnen?

 

  1. Deutschland ist ein Transitland. Mehr noch: Es ist in Europa das zentrale Transitland schlechthin. Nicht nur die eigene wirtschaftliche Zukunft hängt daran, dass es leistungsfähige Straßen- und Bahnverbindungen durch unser Land gibt: in Nord-Süd- genauso wie in West-Ost-Richtung. Die großen Strukturen sind dabei längst gelegt worden – in den 1960er und 1970er Jahre im Westen und in den 1990er und 2000er Jahren im Osten. Der weitere Ausbau ist – historisch betrachtet – eher Kleinkram, allerdings überaus wichtig auch für unsere Nachbarn. Er ist eine Frage nicht nur des Erhalts eigener wirtschaftlicher Stärke, sondern auch europäischer Solidarität. Wollen die Grünen diese Solidarität aufkündigen? Tatsächlich lässt ihre skeptische Position zum Bau des Fehmarn-Sund-Tunnels in Schleswig-Holstein und der Rheintalbahn in Baden Schlimmes vermuten.

 

  1. Deutschland ist - global betrachtet - ein Zwerg, was den Ausstoß von Treibhausgasen betrifft, aber das Land hat beachtliches politisches und wirtschaftliches Gewicht. Bei unvoreingenommener Betrachtung des BVWP 2030 fällt jedenfalls schon auf, wie kleinteilig die verbleibenden Projekte im Weltmaßstab sind. Mühelos ließe sich ihr klimapolitischer Effekt durch andere Maßnahmen kompensieren, etwa die offensive Aufforstung von großen landwirtschaftlichen Flächen zur Verbesserung der Klimabilanz. Jedenfalls sind die Abholzung von tropischen Regenwäldern sowie der aggressive Ausbau des Straßennetzes in asiatischen Ländern, allen voran China, für das Weltklima von weit größerer Bedeutung. Sollte nicht dort der Schwerpunkt einer globalen Transformation liegen – statt die Abrundung der Infrastruktur in Deutschland zu behindern oder zu stoppen, koste es was es wolle?

Kurzum: Die Polemik der Grünen gegenüber dem BVWP 2030 ist nicht nur politisch opportunistisch, sondern auch ökonomisch und ökologisch gefährlich. Ihrem Ziel „weniger Mobilität um jeden Preis“ muss eine Vision des Mehr an „smarter Mobilität“ entgegengesetzt werden. Die Diskussion ist eröffnet.  

„Fast ein bisschen elitär“

Autobahnbaustelle

Der Ausbau der A 49 müsse sofort gestoppt werden, meinen die Grünen. Auch müsse es ein generelles Moratorium Autobahnausbau geben. Mit dem früheren hessischen Verkehrsminister und Kuratoriumsmitglied Florian Rentsch sprechen wir über die Forderungen und individualisierte Mobilität in Deutschland.

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