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Brüssel, vergiss den Libanon nicht!

Der Libanon benötigt angesichts steigender Flüchtlingsströme Hilfe - auch bei der eigenen Prioritätensetzung
Saad Hariri

Premierminister Saad Hariri auf der Investitionskonferenz für Infrastrukturprojekte am 6.3. in Beirut

© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Die Tragödie im syrischen Ost-Ghouta droht die Flüchtlingskrise auch im Libanon weiter zu verschärfen. Angesichts anstehender internationaler Geberkonferenzen in den nächsten Wochen und wegweisender Investitionen steht der Zedernstaat vor der immensen Aufgabe, die zahlreichen Herausforderungen angemessen zu verdeutlichen. Am heutigen 6. März wird, mit der vorbereitenden Investorenkonferenz in Beirut, der Startschuss für einen Konferenzmarathon gegeben, bei dem einiges auf der Strecke zu bleiben droht.

Der jahrelange Widerstand syrischer Rebellen in Ost-Ghouta findet aktuell seinen blutigen Höhepunkt. Mit russischer Unterstützung rücken die Truppen des Assad-Regimes immer weiter vor. Wie so oft sind es Zivilisten, die unfreiwillig Opfer der Kampfhandlungen werden. Trotz internationaler Vereinbarungen finden weiterhin heftige Gefechte statt, und es kursieren Gerüchte, wonach fliehende Zivilisten an der Nutzung der Fluchtkorridore gehindert werden. Die traurige Bilanz bislang: über 700 Tote, tausende Verletzte und eine schwierige Versorgungslage trotz Hilfskonvois. Ein Ende des Dramas ist nicht in Sicht, und es steht zu erwarten, dass die Flüchtlingskrise durch diese tragische Entwicklung weiter verschärft werden könnte.

Im kleinen Nachbarland Syriens, dem Libanon, ist die Situation seit Jahren angespannt. Der wirtschaftlich heruntergekommene Zedernstaat beherbergt laut offizieller UN Daten mehr als eine Million syrische Flüchtlinge und steht durch eine Kürzung der Finanzmittel vom World Food Programme unter hohem Druck. Die sozialen Spannungen in den Aufnahmegemeinden sind in den letzten Monaten zwar nicht gestiegen, im Vorfeld der anstehenden Wahlen ist eine Zunahme fremdenfeindlicher Töne im Wahlkampf aber durchaus wahrscheinlich.

Als kleines und wirtschaftlich geschwächtes Land ist der Libanon stark auf internationale Partnerschaften und Kooperationen angewiesen. Erst vor kurzem stattete der deutsche Bundespräsident dem Zedernstaat einen Besuch ab und besprach die deutsch-libanesischen Beziehungen mit seinem Amtskollegen. Nun stehen für Libanon wichtige und herausfordernde Monate bevor, die wegweisend für seine zukünftige Entwicklung sein werden. Gleich drei internationale Geberkonferenzen finden in kürzesten Abständen statt – jede ein großes Projekt für sich und, in Anbetracht der ebenfalls baldigen Parlamentswahlen im Mai, in einer ohnehin turbulenten Zeit.

Die anstehenden internationalen Konferenzen

Geplant ist zunächst die Rom-II-Konferenz Mitte März, um die für die libanesischen Sicherheitskräfte und die Armee benötigten Finanzmittel sicherzustellen. Die anschließende Paris-IV-Konferenz (CEDRE) folgt nur wenige Wochen später am 6. April. Um sich von der ursprünglichen Prämisse der vorangegangenen drei Pariser Konferenzen abzuheben – dort ging es primär um staatliche Unterstützung – sollen zukünftige Investitionen in die libanesische Infrastruktur nun primär von privaten Investoren kommen. Schließlich steht am 24. April die Konferenz in Brüssel an, welche sich der Hilfen im Kontext der sich weiter verschärften Flüchtlingskrise widmet.

Beirut

Beirut - Die Hauptstadt Libanons ist voller Potential

© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Am heutigen 6. März findet nun der Auftakt für diesen Konferenzmarathon statt. In Beirut trifft man sich zu ersten Sondierungen, um die Pariser CEDRE Konferenz gemeinsam vorzubereiten. Dabei geht es zunächst um die Reichweite, die das geplante Kapitalinvestitionsprogram vorsehen soll. Vorschläge für Partnerschaften in Bereichen wie Energie, Wasserversorgung, Telekommunikation und Abfallentsorgung sollen den Investoren schmackhaft gemacht werden. Neben Regierungsagenturen finden sich Vertreter diverser Banken sowie Versicherungs- und Entwicklungsorganisationen ein, um ein realistisches Bild der Herausforderungen und Handlungsoptionen zu erhalten. Verbindliche Entscheidungen werden zwar erst im Rahmen der CEDRE-Konferenz getroffen, doch die konkrete Vorbereitung ist essentiell – schließlich geht es um Gesamtinvestition von 16 Milliarden US Dollar über einen Zeitraum von zehn Jahren.

Infrastruktur oder Flüchtlingsproblematik?

Es ist nachvollziehbar, dass sich die libanesische Regierung somit zunächst auf die Pariser Konferenz konzentriert. Doch während das primäre Augenmerk auf den möglichen künftigen Investitionen liegt, droht die nächste Flüchtlingskonferenz in Brüssel sträflich vernachlässigt zu werden. Bisher jedenfalls scheinen der libanesischen Regierung entweder die Möglichkeiten oder der Willen zur Vorbereitung zu fehlen. In Anbetracht der humanitären Katastrophe in Syrien und insbesondere Ost-Ghouta ist dies jedoch kurzsichtig. Der Libanon trägt noch immer die Hauptlast als Refugium für zahlreiche syrische Flüchtlinge. Gerade für den Zedernstaat sind internationale Hilfen dringend notwendig, die man auf der Brüssel Konferenz sichern könnte. Da aber aktuell alle Ressourcen auf die Vorbereitung der Rom- sowie CEDRE-Konferenzen verwendet werden, läuft man Gefahr, die eigene Position bezüglich der akuten Herausforderungen bei der Bewältigung der katastrophalen Lage der Flüchtlinge nicht ausreichend vorzubereiten und das Maß an benötigter Unterstützung durch die internationale Staatengemeinschaft nicht klar zu verdeutlichen. Dies wäre fatal für den kleinen Staat am Mittelmeer. Die Bemühungen um Investitionen in eine stabilere wirtschaftliche Zukunft dürfen die gegenwärtigen Probleme der Flüchtlingskrise nicht verdrängen. Es kommt somit nicht nur auf den Libanon, sondern auf alle Beteiligten in Brüssel an, die richtige Balance zu finden.

Dirk Kunze leitet das Projektbüro Libanon und Syrien der Stiftung für die Freiheit in Beirut.

Philip Müller ist Praktikant im Stiftungsbüro Beirut.