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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Brexit
Goodbye Britain! Welcome Britain?

Ein neuer Standortwettbewerb steht vor der Tür der EU. Neue liberale Konzepte sind gefordert.
Paqué
© Thomas Imo/photothek.net

Mit dem Brexit am 1. Februar 2020 verändern sich die Außengrenzen der Europäischen Union (EU). Damit wird sich auch deren Politik verändern. Unser Vorstandsvorsitzender Professor Paqué erklärt wie und warum.

Nach 47 Jahren Mitgliedschaft - vom 1. Januar 1973 bis zum 31. Januar 2020 - verlässt das Vereinigte Königreich die EU. Der Abschied von den Briten wurde in dieser Woche im Europäischen Parlament mit bewegenden Reden und Gesten gewürdigt - jedenfalls von der überwältigenden Mehrheit der Abgeordneten. Die Ausnahme natürlich: Nigel Farage und seine Kollegen der Brexit-Fraktion, die nach einer EU-Hasstirade mit EU-Niedergangsprognose ihres Vorsitzenden im höhnischen Triumphzug das Plenum verließen. Diese würdelose Prozession machte noch einmal deutlich, wie tief gespalten Großbritannien auch nach dem Brexit mit Blick auf Europa bleiben wird. Manche liberale Beobachter wie Jonathan Fryer sehen sogar das Ende der Einheit der britischen Nation nahen.

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Kein Zweifel, das Vereinigte Königreich steht vor gewaltigen politischen Herausforderungen. Wie könnte es auch anders sein - nach 3 1/2 Jahren erhitzter interner Debatte und einem 52:48-Pro-Brexit-Votum 2016 sowie zwei Parlamentswahlen. Deren letzte im Dezember 2019 brachte zwar eine deutliche Zustimmung zum Brexit-Konzept Boris Johnsons, aber die Motivation vieler Wähler ist eher im Verdruss zu suchen als in tiefer innerer Überzeugung - nach dem Motto: endlich Schluss mit diesem furchtbaren Thema. Es bleibt also eine britische Nation mit tiefen Spaltungen zurück: Jung vs. Alt, Schottland vs. England, urbane vs. ländliche Regionen, etc., etc.

Dagegen nehmen sich die wirtschaftlichen Probleme für das Vereinigte Königreich eher überschaubar aus, jedenfalls auf kurze und mittlere Sicht. Die Vorstellung, Großbritannien würde gleich nach dem Brexit ökonomisch in die Knie gehen, war immer abwegig. Klar ist zwar, dass das Land seinen spezifischen Standortvorteil für den Aufbau von industriellen Wertschöpfungsketten innerhalb der EU verlieren wird. Aber dieser Verlust wirkt sich erst sehr langfristig aus und ist ohnehin begrenzt, da der Anteil des Verarbeitenden Gewerbes an der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung schon seit Jahrzehnten relativ niedrig ausfällt. Wichtiger sind für Großbritannien ohnehin professionelle Dienstleistungen, der Finanzmärkte sowie Branchen der (wissenschaftsnahen) Informationstechnologie.

Und hier liegen - spiegelbildlich - die Hauptprobleme für die EU, gerade mit Blick auf die bevorstehenden Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen. Das Institut für Weltwirtschaft hat jüngst in einer Studie gezeigt, dass die Briten eine gar nicht so schlechte Startposition für die Gespräche haben, und zwar weil ihr geplantes Zollniveau zwar niedriger als das der EU ausfallen wird, aber die gewählte Zollstruktur die EU besonders hart trifft. Wichtiger noch ist ihr Potenzial als starker Konkurrent um die Ansiedlung globaler Dienstleistungen, vor allem durch niedrige Steuern und einen großzügigen Rahmen der Regulierung. Genau dies lag ja immer dem Argument der Brexiteers zugrunde, das EU-befreite Großbritannien werde zu einem „Singapur an der Themse“, direkt vor der Haustür der EU.

Es wird für die EU kaum ein Weg daran vorbeiführen, sich dem Wettbewerb zu stellen: durch Senkung der Steuern und eine liberalere Regulierung.

Paqué
Karl-Heinz Paqué

Darauf müssen die EU und deren Mitgliedsländer entschlossen reagieren, vor allem auch Deutschland mit dem Finanzplatz Frankfurt am Main. Den Instrumenten in den Verhandlungen zu einem Handelsabkommen sind dabei durchaus Grenzen gesetzt, weil die Briten bei ihrem notorischen Handelsdefizit im industriellen Bereich „zur Not“ auch auf dortige Liberalisierung verzichten, wenn sie nur die Autonomie im Finanz- und Dienstleistungsbereich bewahren. Es wird also für die EU kaum ein Weg daran vorbeiführen, sich dem Wettbewerb zu stellen: durch Senkung der Steuern und eine liberalere Regulierung. Also: eine völlig neue Agenda!

Natürlich hat die EU auch einige starke Trümpfe in der Hand. Ganz oben steht dabei der Zugang zu den großen Brüsseler Fördertöpfen für die Wissenschaft, die von britischen Universitäten bei deren hohen akademischer Qualität (nicht nur in Oxford und Cambridge!) bisher reichlich genutzt wurden. Hier könnte für die Briten ein extrem wichtiges Netzwerk zusammenbrechen, auch übrigens mit wirtschaftlichen Folgen zum Beispiel in der Informationstechnologie. Die EU und einzelne Mitgliedsländer könnten im Übrigen durch eine deutliche Aufstockung der Töpfe den Wettbewerb um wissenschaftliche Exzellenz gegenüber dem Vereinigten Königreich kräftig anzuheizen, was im Übrigen für die volkswirtschaftliche Innovationskraft empfehlenswert wäre. Längst sind auch deutsche Universitäten und Hochschulen konkurrenzfähig und Teil der globalen Arbeitsteilung der besten Köpfe.

Alles in allem also ein komplexes Bild mit vielen Dimensionen. Eines ist dabei allerdings heute schon klar: Europa wird sich verändern, Rivalität und Wettbewerb werden zunehmen. Um so wichtiger ist es, dass die Zusammenarbeit der EU und ihrer Mitgliedsländer mit Großbritannien in außen- und sicherheitspolitischen Fragen nicht leidet. Denn das kann sich das demokratische Europa als Ganzes politisch nicht leisten - gerade mit Blick auf China und Russland.