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Brexit
Es wird ernst

Das Brexit-Drama geht in die Zielgerade. Höchste Zeit, zu einem Ergebnis zu kommen.
Karl-Heinz Paqué

Karl-Heinz Paqué

© Photothek / Thomas Imo

Die letzte Februarwoche hat einen neuen Akt im Brexit-Drama eingeläutet –mit überraschenden Positionskorrekturen wichtiger politischer Akteure in Großbritannien. Das könnte eine Chance für die Rückkehr zur Vernunft sein. So sieht es unser Vorstandsvorsitzender Professor Paqué.

Man reibt sich die Augen: In dieser Woche erklärte Theresa May erstmalig, dass der Brexit auch verschoben werden könnte – von Ende März auf Ende Mai, und dies, nachdem sie offenbar schon über 100 Mal explizit formuliert hatte, dass am 29. März 2019 als Brexit-Termin nicht zu rütteln sei.

Fast zur gleichen Zeit erklärt Jeremy Corbyn, dass Labour nach einem eventuellen Scheitern des Labour-Amendments zum Verbleib in der Zollunion ein zweites Referendum befürworte. Auch dies ist eine Abkehr von seinem bisherigen Standpunkt. Inzwischen ist das Labour-Amendment gescheitert. Was nun?

Ebenfalls zur gleichen Zeit kommt Bewegung in die Front der Brexiteers. Einer ihrer wichtigsten Wortführer, Jacob Rees-Mogg, erklärt überraschend, er könne bei einer entsprechenden politischen Erklärung der EU zum Backstop und dessen Befristung durchaus mit diesem leben.

Bei aller Komplexität in der Diskussion geht es damit zweieinhalb Jahre nach dem Brexit-Votum um drei klare Alternativen, an denen wohl nicht mehr viel zu ändern ist: (1) der "May-Deal" eines geordneten Brexit, ausgehandelt mit der EU, (2) ein Brexit ohne Deal, (3) ein Verzicht auf den Brexit. Die ersten beiden Alternativen setzen keine Fristverlängerung und keine zweite Volksabstimmung voraus, die Dritte allerdings sehr wohl.

Betrachtet man die Situation nüchtern, ohne sich vom Schaukampf der Amendments im britischen Unterhaus irritieren zu lassen, ist eigentlich der Entscheidungsweg ganz einfach. Er besteht im verbleibenden Monat März aus maximal drei Stufen:

In der ersten Stufe wird Mitte März der May-Deal zur Abstimmung gestellt, möglicherweise garniert von einer politischen Protokollerklärung der EU hinsichtlich der Befristung der von Brexiteers so ungeliebten Backstop-Regelung. Mehr ist aus Brüssel nicht zu erwarten – zu Recht, denn ewiges Weiterverhandeln würde auch die EU der Lächerlichkeit preisgeben. Kommt der May-Deal durch, ist der geordnete Brexit Ende März beschlossene Sache.

Scheitert der May-Deal, kommt es zur zweiten Stufe: Labour würde – glaubt man Jeremy Corbyn – dem Unterhaus die Entscheidung für eine zweite Brexit-Volksabstimmung vorlegen. Sagt das Unterhaus dazu "nein", kommt es doch termingerecht zum Brexit, allerdings ohne Deal – mit allen wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen. Das wäre bedauerlich, ist aber dann unvermeidbar, eine unabweisbare demokratische Entscheidung. Sagt das Unterhaus allerdings "ja", bedarf es im nächsten Schritt einer Fristverlängerung.

Dies ist dann die dritte Stufe. Die EU muss einstimmig einer solchen Fristverlängerung zustimmen. Sie würde es sicherlich tun, gäbe es doch dann einen klaren und triftigen Grund für mehr Zeit. Auch jene Nationen, die gegenüber dem Gewähren einer Fristverlängerung zu Recht kritisch sind, allen voran Frankreich und Spanien, würden zustimmen. Die Frage wäre allerdings: Wie viel Zeit ist überhaupt nötig?

Eigentlich kann ein zweites Votum recht schnell abgewickelt werden. Es müsste wahrscheinlich in zwei Wahlgängen erfolgen: zunächst die Wahl zwischen den drei obigen Alternativen, also (1) Brexit mit May-Deal, (2) Brexit ohne Deal und (3) Remain. Käme es im ersten Wahlgang nicht zu einer absoluten Mehrheit, müsste in einem zweiten Wahlgang eine Woche oder zwei Wochen später zwischen beiden relativ präferierten Alternativen entschieden werden. Anschließend müsste das Parlament dem Votum folgen – und würde dies dann wohl auch tun.

Je früher die Entscheidung kommt, umso mehr Zeit bleibt, die Gesellschaft wieder zusammenzuführen.

Prof. Dr. Dr. h. c. Karl-Heinz Paqué
Karl-Heinz Paqué

All dies müsste eigentlich in der ältesten Demokratie der Welt unter Einsatz aller organisatorischen Kräfte innerhalb weniger Wochen möglich sein. Natürlich gäbe es einen hochemotionalen Wahlkampf mit offenem Ausgang, der das Land weiter spalten könnte. Aber was ist die Alternative, wenn das Unterhaus sich auf nichts anderes einigen kann? Der Grund für die Gefahr weiterer Spaltung ist doch der bereits vorhandene tiefe Riss in der Gesellschaft. Zu kitten ist dieser nur nach einer letztmaligen umfassenden öffentlichen Diskussion und einer dann endgültigen Entscheidung. Und je früher diese kommt, umso mehr Zeit bleibt, um politisch alles zu tun, die Gesellschaft wieder zusammenzuführen – egal wie das Ergebnis aussieht.

Es bleibt das Problem der fast parallel stattfindenden Wahl zum Europäischen Parlament. Auch da ließe sich argumentieren, dass innerhalb von fast zehn Wochen – zwischen Mitte März und Ende Mai – ohne Weiteres die Kandidaten und Listen für die Europawahl zusammengestellt werden könnten. Es gäbe dann einen furiosen, fast parallelen Wahlkampf um Brexit und Europa-Parlament. Aber warum nicht? In jedem Fall wäre Mitte des Jahres endgültig klar, wie die Zukunft aussieht.

Genau dieser klare Schnitt ist inzwischen dringend nötig. Das Vereinigte Königreich und Europa müssen endlich von diesem enorm belastenden Thema erlöst werden. Denn es lenkt ab von den großen Fragen der Globalisierung, die auf dem Tisch liegen und die nach Antworten rufen: so zum Beispiel das Verhältnis zu China, Russland und den Vereinigten Staaten sowie die Zukunft der Welthandelsordnung. Und dann natürlich auch die künftige Gestalt Europas und die Struktur der Europäischen Union – mit oder ohne das Vereinigte Königreich: stärkere Zentralisierung oder variable Geometrie der Zusammenarbeit?

Jedenfalls ist es unerfindlich, warum das Vereinigte Königreich nach zweieinhalb Jahren interner Diskussionen und Verhandlungen mit der EU noch länger brauchen sollte, um die Grundsatzfrage des Austritts oder Verbleibs zu entscheiden. Es wird ernst. Und es wird Zeit zu handeln.