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Bolivien
Wahlsieg oder Wahlbetrug

Die wundersame Entwicklung der Präsidentenwahl in Bolivien
Evo Morales
Evo Morales könnte der zweite sozialistische Präsident werden, der in Lateinamerika ohne internationale Anerkennung im Amt ist. © picture alliance / AP Photo

Am 20. Oktober fanden in Bolivien Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt. Offizielle, amtliche Wahlergebnisse gibt es für beide Wahlen bisher nicht. Die staatliche Wahlkommission erklärte lediglich, dass von den 166 zu wählenden Abgeordneten die Partei des amtierenden Präsidenten Morales die absolute Mehrheit gewonnen hat, genaue Zahlen oder eine Anzahl der Mandate wurden nicht genannt.

Noch verwirrender und besorgniserregender ist jedoch der Ausgang der Präsidentschaftswahlen. Amtsinhaber Morales durfte laut Verfassung eigentlich nicht zur Wiederwahl antreten. Morales hielt daraufhin im Februar 2016 ein Referendum ab, um eine Wiederwahl zu ermöglichen, das die Bevölkerung aber mehrheitlich ablehnte. Doch Morales gab sich damit nicht zufrieden, im Laufe der nächsten beiden Jahre besetzte er das Verfassungsgericht mehrheitlich mit politischen Gewährsmännern und, „oh Wunder“, das so zusammengesetzte oberste Rechtsorgan kippte die Verfassung und negierte das Ergebnis des Referendums, indem es im Dezember 2018 erklärte, es sei das legitime Menschenrecht Morales, zu kandidieren.

Zur Wahl stellten sich zahlreiche Kandidaten, wovon laut Umfragen nur zwei ernsthafte Chancen auf den Wahlsieg hatten, Amtsinhaber Evo Morales, der nun seine vierte Amtszeit anstrebt, sowie der Ex-Präsident und sein Herausforderer Carlos Meza. Mit deutlichem Abstand folgten in den Umfragen auf den nachfolgenden Plätzen Oscar Ortiz, der konservativ-liberale Kandidat des Wahlbündnisses „Bolivien sagt NEIN“ (Bolivia dice No), sowie der Kandidat der Christdemokratischen Partei, Chi Hyun Chung. 

Dementsprechend sahen auch die während des Wahlabends präsentierten vorläufigen Wahlergebnisse aus. Nach Auszählung von 84 Prozent der Stimmen um 20 Uhr bolivianischer Zeit entfielen auf Morales 45,3 Prozent und seinen Herausforderer Meza 38,2 Prozent. Nach bolivianischem Wahlrecht gewinnt ein Kandidat im ersten Wahlgang entweder mit der absoluten Mehrheit von über 50 Prozent oder aber wenn er mehr als 40 Prozent und einen Abstand von zehn Prozentpunkten auf den zweitplatzierten Kandidaten hat. Erfüllt kein Kandidat diese Voraussetzungen, so kommt es zur Stichwahl. Morales hatte die bisherigen drei Wahlen immer auf dieser Basis im ersten Wahlgang gewonnen. Die Prognosen um 20 Uhr, die eine Stichwahl klar prognostizierten, waren daher schon an sich ein deutliches Signal seiner schwindenden Zustimmung im Wahlvolk. Damit nicht genug, erklärten die beiden dritt- und viertplatzierten, Ortiz und Chung, noch am Wahlabend ihre Unterstützung für Carlos Meza für den notwendigen zweiten und entscheidenden Wahlgang, was eine Niederlage von Morales in der Stichwahl sehr wahrscheinlich machte. Doch dann passierte das „Wunder“, um 20 Uhr stoppten abrupt die Wahlergebnisse, die Wahlkommission erklärte aufgrund „Ungereimtheiten“ müsse man die Stimmen nun konkret auszählen. Die fehlenden 16 Prozent der Stimmen bezogen sich überwiegend auf die ländlichen Bereiche Boliviens mit hoher indigener Bevölkerung, wo traditionell die Zustimmung zu Amtsinhaber Morales als erstem und einzigem indigenen Präsidenten Südamerikas sehr hoch ist. 

So erklärte sich Morales noch am Wahlabend auf Basis der vorläufigen Ergebnisse Stand um 20 Uhr zum Sieger im ersten Wahlgang, weil dort seine Hochburgen lägen. Die Opposition dagegen vermutete schon zu diesem Zeitpunkt, dass der Stopp der Wahlergebnisse die Vorbereitung einer gezielten Wahlfälschung sei. Im Laufe des Montags kam es auch in mehreren Städten Boliviens zu Demonstrationen und es folgten Verhaftungswellen gegen die Demonstranten. Im Laufe des Tages schienen sich bei der nun wiederaufgenommenen Auszählung eine Bestätigung der Ergebnisse anzubahnen, bis kurz nach 20 Uhr bolivianischer Zeit die Wahlkommission überraschend den Sieg von Evo Morales im ersten Wahlgang nach Auszählung von 95,6 Prozent der Stimmen verkündete. Demnach entfielen auf Morales 46,86 Prozent und auf seinen Herausforderer Meza 36,73 Prozent, was einen denkbar knappen Vorsprung von zehn Prozentpunkten für den Amtsinhaber bedeuten würde. Sofortige Reaktionen der USA sowie der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und internationalen Wahlbeobachter, die Aufklärung und Transparenz des Wahlergebnisses forderten, blieben bisher unbeantwortet.

Nicht nur in Anbetracht des äußerst knappen Überschreitens der Zehn-Prozentpunkte-Differenz, sondern insbesondere aufgrund des abrupten Abbruchs der Veröffentlichung von Auszählungsergebnissen und der Unterstützung Mezas durch die anderen Kandidaten der Opposition noch am Sonntagabend hat das plötzlich für Morales so „bequeme“ Wahlergebnis einen mehr als „faden Beigeschmack“. Wenn es der Wahlkommission nicht gelingen sollte, überzeugende Argumente für diese „wundersame“ Entwicklung zu liefern, könnte – sollte die internationale Gemeinschaft konsequent bleiben - mit Evo Morales neben Nicolas Maduro der zweite Sozialist ohne internationale Anerkennung sein Amt fortführen. Welche Auswirkungen dies auf die Glaubwürdigkeit der lateinamerikanischen Demokratien insgesamt hat, ist derzeit schwer einzuschätzen, stabilisierend wirken die heutigen Geschehnisse in La Paz jedenfalls nicht.