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Bildung
Gamification in deutschen Schulen

Das digitale Klassenzimmer

Lernen im digitalen Klassenzimmer

© picture alliance/Daniel Reinhardt/dpa

An den Lehrern (allein) liegt es selten. 90 Prozent der befragten Lehrer outeten sich bereits vor fünf Jahren in einer Umfrage des IT-Verbands Bitkom als „Technik-Fans“ oder zumindest digitalen Trends gegenüber sehr aufgeschlossen. Die Offenheit und Neugierde stehen allerdings im krassen Gegensatz zum grauen digitalen Schulalltag. Vielerorts ist der Beamer mit weitem Abstand noch immer das am häufigsten eingesetzte technische Hilfsmittel. Dabei braucht es für die Weichenstellung hin zur digitalen Schule nicht nur Geld und neue Hardware, sondern auch eine zeitgemäße Form der Wissensvermittlung. Tablets oder Whiteboards allein genügen nicht.    

Freude beim Arbeiten und Lernen lässt sich gerade durch Spiele fördern. Die Affinität der Pädagogik zum Spiel ist nicht neu. Innovativ sind allerdings didaktische Ansätze, digitale Spiele auch für das formale Lernen im Unterricht einzusetzen. Kurz gesagt geht es bei der Gamification darum, bekannte Elemente und Mechanismen aus Computerspielen auf ein nichtspielerisches Umfeld zu übertragen – etwa auf den Schulunterricht. Drei Faktoren sind dabei entscheidend: Feedback, Herausforderung und Community. 

Feedback kann auf unterschiedliche Arten erfolgen: in Form von Fortschrittsbalken, Ranglisten oder (Erfahrungs-)Punkten. Eine weitere Möglichkeit sind Auszeichnungen: Sie werden für bestandene Aufgaben verliehen und visualisieren somit den Spielfortschritt. Das ermöglicht auch den Vergleich mit anderen Spielern. Zweitens spielen Herausforderungen eine besondere Rolle. Die Herausforderung kann in einem übergeordneten Endziel liegen – zum Beispiel: „Rette die Prinzessin!“. Daneben fordern einzelne Level die Nutzer während eines Spiels immer wieder positiv heraus.  Schließlich gibt es Community-Elemente: Wie bei kommerziellen Onlinespielen sind die Nutzer hier miteinander verzahnt und lösen gemeinsam knifflige Aufgaben. 

Das Programm „Classcraft“ etwa wurde vorrangig für den Schulunterricht entwickelt und will nach eigenem Versprechen „Leben in den Unterricht bringen“. Doch der entscheidende Unterschied zwischen Spiel und Schule: Spiele beruhen auf Freiwilligkeit, der Schulunterricht dagegen nicht. Trotz dieser Ausgangslage bauen Anwendungen wie „Classcraft“ in zweifacher Hinsicht auf die Freiwilligkeit ihrer Nutzer: Zum einen soll das spielerische Arrangement zusätzliche Anreize bieten, neben neu hinzukommenden, spieleeigenen Regeln auch die bereits bestehenden einzuhalten – und das aus freien Stücken. Zum anderen soll die Anwendung die Schüler dazu bewegen, „die Extrameile zu gehen“ und beispielsweise eine aufgetragene Aufgabe nicht nur fristgerecht zu erledigen, sondern dies auch schneller und mit besserem Ergebnis zu tun und darüber hinaus bestenfalls weitere freiwillige Aufgaben
zu erfüllen. 

Der Blick in die Praxis zeigt jedoch: Noch gibt es ein großes Missverhältnis zwischen den vorliegenden Produkten und den technischen wie kreativen Potenzialen der Gamification. Seit der ersten wissenschaftlichen Erwähnung im „NMC Horizon Report“ 2011 hat sich wenig getan. Von einer hohen strukturellen Implementierung ist man noch weit entfernt. Der Mangel an konkreten Projekten scheint demnach weniger enttäuschten Erwartungen geschuldet als vielmehr konzeptionellen Schwierigkeiten bei der Überführung theoretischer Annahmen in die Realität des deutschen Unterrichts.

Zur Autorin

Sonja Ganguin ist Professorin für Medienkompetenz- und Aneignungsforschung am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft sowie Direktorin des Zentrums für Medien und Kommunikation (ZMK) an der Universität Leipzig. Sie promovierte zum Thema „Computerspiele und lebenslanges Lernen“ und ist Expertin für die Bereiche E-Learning und Medienpädagogik.